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Ein Hertz für ein Herz: Nanowatt-Chips für die kranke „Pumpe“

Winzige Nanowatt-Chips sollen künftig auf kranken Kerzen verankert werden, um sie im richtigen Rhythmus zu halten - und zwar ohne Batterie und Kabel. Visualisierung: Dall-E

Winzige Nanowatt-Chips sollen künftig auf kranken Kerzen verankert werden, um sie im richtigen Rhythmus zu halten – und zwar ohne Batterie und Kabel. Visualisierung: Dall-E

Celtro Dresden arbeitet an batteriefreien Mini-Herzschrittmachern, die sich ein ganzes Menschenleben selbst mit Zell-Strom versorgen

Dresden, 11. August 2023. Herzschrittmacher sollen künftig ohne Batterien auskommen, die Chirurgen regelmäßig austauschen müssen, sondern sich ihre Energie aus dem menschlichen Körper selbst ziehen. Daran arbeitet derzeit „Celtro“: Das junge Unternehmen in Dresden entwickelt dafür nun eine neuartige medizinische Elektronik, die mit wenigen Nanowatt Leistung auskommt, wie sie eben auch menschliche Herzzellen ganz von selbst liefern.

Gerd Teepe. Foto: privat

Gerd Teepe. Foto: privat

Diabetes-Nanochips und Konsumelektronik sollen folgen

„Und mit Herzschrittmachern wird da nicht Schluss sein“, betont Celtro-Chef Gerd Teepe. „Danach werden kleine Messgeräte für Blutzucker, Sauerstoffsättigung und vieles anderes kommen.“ Die Nanowatt-Elektronik werde ganz neue Produkte ermöglichen, andere stark verbessern – und neue Märkte erschließen. Auch Nanowatt-Chips für die Konsumelektronik und das Internet der Dinge stehen auf der Celtro-Agenda.

Gemeinsame Unternehmung von Chipexperten und Kardiologen

Dass dies mehr sind als bloße Hoffnungen, sondern realistische Chancen birgt, hängt nicht zuletzt mit dem interdisziplinären Team zusammen, dass sich 2019 zu „Celtro“ zusammengeschlossen hat. Gründer Gerd Teepe war jahrelang als Ingenieur und später auch Manager bei Motorola, AMD und Globalfoundries tätig, mit an Bord sind zudem Kardiologen, Finanzer und andere Experten. Heute umfasst die Belegschaft – inklusive Gründe – acht Beschäftigte und sie wird Kopf um Kopf weiter wachsen, wie die Celtro-Chef versichert. Wie viele junge Hochtechnologie-Firmen hat sich das Unternehmen erst mal ein Labor angemietet, will mit wachsender Mannschaft später auch eine größeres Domizil beziehen. Die Herzschrittmacher-Chips entwickelt und designt das Celtro-Team selbst, die Produktion soll dann aber ein Auftragsfertiger („Foundry“) übernehmen.

Heutige Medizinelektronik bleibt hinter Möglichkeiten moderner Chiptechnik zurück

Das Konzept dahinter: Heutige Herzschrittmacher sind im Vergleich zu den Modellen vor Jahrzehnten zwar auch schon stark miniaturisiert, brauchen aber immer noch Batterien und Kabel, die eher oder später gewechselt werden müssen und immer Infektionsrisiken bergen. Ein Grund für diesen Energiehunger ist die darin verbaute Elektronik, die technologisch oft noch von vorgestern ist: „Die Medizinelektronik ist bei älteren Strukturen stehengeblieben, die noch relativ viel Strom verbrauchen“, erklärt Teepe.

Video von "Nano Dimension" über
die Nanowatt-Elektronik von Celtro:

Körperprozesse laufen langsamer ab als Gigahertz-Welt – und dies erlaubt sparsamere Elektronik

Neuere digitale Uhren beziehungsweise Smartwatches sind dagegen bereits im Mikrowatt-Bereich angelangt. „Und mit modernen Chiptechnologien ist sogar Mikroelektronk möglich, die mit wenigen Nanowatt auskommt“, ist der Celtro-Chef überzeugt. Denkbar ist dies beispielsweise mit Halbleiterprozessen wie 22FDX, wie sie sein ehemaliger Arbeitgeber Globalfoundries in Dresden verwendet, aber auch mit modernen FinFET-Schaltkreisen der Sub-10-Nanometer-Welt, wie sie beispielsweise TSMC beherrscht. Die wurde bisher meist für Einsatzzwecke gebaut, bei denen viel zu berechnen war, was letztlich auch wieder den Stromverbrauch erhöht. Doch im menschlichen Körper bemessen sich die meisten Vorgänge eben nicht in Gigahertz, also in vielen Milliarden Vorgängen pro Sekunden: „Das Herz schlägt nur mit einem Hertz, also ungefähr einmal pro Sekunde“, erklärt Teepe. Um nun ein krankes Herz den richtigen Rhythmus zu geben, bedürfe es nur weniger Rechenoperationen – und nur schwachen elektrischen Impulsen an den richtigen Stelle: Wenn man die richtige Stelle anpeile, könne eine einzelne Zelle eine Kaskade auslösen und gewissermaßen die Nachbarzellen dazu „überreden“, den Impuls weiterzugeben, so dass sich der ganze Herzmuskel danach richte.

Elektroden saugen Energie aus Ministrömen in und an menschlichen Zellen

Derartige Mikro-Herzschrittmacher sollen Chirurgen dann durch Schlüsselloch-Operationen auf dem Herz des Patienten verankern. Seinen Energiebedarf soll der Schaltkreis durch eine Vielzahl kleiner Elektroden an der Chip-Unterseite decken. Die zusammengeschalteten Mikronadeln sollen die kleinen Ströme verwerten, die stets bei den elektro-biochemischen Signalprozessen an und zwischen den Körperzellen entstehen. Dabei kombinieren sie die Ausbeute zahlreicher Zellen. Diese Energie-Ernte speichern die Chips dann in winzigen Kondensatoren ab und setzen sie auf Abruf für die Anregungsimpulse am Herzen und für ihren Eigenbedarf ein. „Damit werden Herzschrittmacher möglich, die ein ganzes Menschenleben lang halten und sich selbst mit Energie versorgen“, ist Teepe überzeugt.

Celtro-Chef Teepe sieht neuen Milliardenmarkt am Horizont

Wenn das Konzept an Prototypen bewiesen hat, dass diese Nanowatt-Elektronik wirklich funktioniert, stehen im Anschluss klinische Studien und medizinische Zertifizierungen auf der Agenda. Da dies ein junges Unternehmen schnell finanziell überfordern kann, will sich das Celtro-Team dann Partner aus der medizintechnischen Industrie suchen. Wann der erste Herzschrittmacher mit Nanowatt-Technologie wirklich ein pochendes Herz in Schwung hält, wagt sich Teepe noch nicht zu prognostizieren – aber es wird wohl noch einige Zeit dauern. Dennoch ist er vom Zukunftspotenzial dieser Technologie fest überzeugt. „Durch die Nanowatt-Elektronik erschließen wir ein ganz neuen Markt, der durchaus Milliardenumsätzen erreichen kann.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quelle: Celtro, Auskünfte Teepe

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt