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Ostdeutsche Stahlindustrie braucht mehr bezahlbaren Ökostrom

Elektroofen von SMS im Edelstahlwerk Shanghai von Baosteel. Foto: SMS via Wirtschaftsvereinigung Stahl

Elektroofen von SMS im Edelstahlwerk Shanghai von Baosteel. Foto: SMS via Wirtschaftsvereinigung Stahl

Otto-Brenner-Stiftung: Elektro-Stahlwerke im Osten sind besonders auf „grünen“ Strom und Wasserstoff angewiesen

Berlin/Riesa/Eisenhüttenstadt, 5. Juli 2023. Die ostdeutsche Stahlindustrie ist technologisch besser als anderswo auf eine abgasarme oder gar freie Produktion vorbereitet. Sie ist aber umso mehr darauf angewiesen, dass Ökostrom beziehungsweise Wasserstoff zu vertretbaren Preisen und in ausreichenden Mengen verfügbar werden. Grund: In Ostdeutschland arbeiten besonders viele Stahlwerke, die Schrott in der strombetriebenen Elektrolichtbogen-Technologie erzeugen. Das hat eine Studie der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung ergeben.

CO2-freie Produktion in Elektrostahlwerken prinzipiell möglich

„Mittelfristig wird die Elektrolichtbogenroute mit weniger Kohlendioxid und im Zielbild ohne Kohlendioxid-Ausstoß Stahl produzieren können, wenn der Strom aus erneuerbaren Energiequellen kommt“, kommentierte Bezirksleiter Dirk Schulze von der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen die Befunde. „Die Politik muss aber den Wandel mit einem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und einem Industriestrompreis unterstützen. Darüber hinaus brauchen wir zügig den Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur und die Erzeugung plus den Import großer Mengen an grünem Wasserstoff.“

Im Osten besonders viele Sekundärstahl-Produzenten

Ist Ostdeutschland sind laut der Studie mit sechs der bundesweit 21 Standorte die Sekundärstahl-Produzenten stark vertreten, die Rohstahl aus Stahlschrott erzeugen. Die Primärstahlindustrie sei dagegen – trotz des großen Werkes in Eisenhüttenstadt – insgesamt unterrepräsentiert. Folge: Die Kohlendioxid-Emissionen stammen in der ostdeutschen Elektrolichtbogen-Route zu 95 Prozent aus der Stromerzeugung und damit zu einem noch deutlich höheren Anteil als bei den Primärstahlerzeugern.

Elektrolichtbogenofen schmilzt den Schrott

Bei der Sekundärstahlproduktion schmelzen die Arbeiter vorsortierten Stahlschrott im Elektrolichtbogenofen (EAF) ein und verarbeiten ihn zu neuem Rohstahl verarbeitet, heißt es in der Studie. Der Schmelzprozess erfolge bei Temperaturen von bis zu 3500 Grad Celsius. „Diese Temperaturen entstehen größtenteils durch Zufuhr elektrischer Energie über Graphitelektroden, die den Lichtbogen erzeugen“, erklären die Studienautoren. „Darüber hinaus wird ein weiterer Teil der benötigten Energie (rund 6 %) über erdgasbasierte Brenner zugeführt.“

Nur 0,3 statt 1,7 Tonnen CO2 pro Tonne Stahl

Die Ökobilanz solcher Elektrostahlwerke fällt in der Regel günstiger aus als die der klassischen Hochöfen: „Bei einer jährlichen Produktionsmenge von zirka zwölf Millionen Tonnen Stahl über die Sekundärroute ergeben sich Emissionen von rund 0,3 Tonnen CO2 pro Tonne Elektrostahl, von denen 95 % auf den Strommix zurückzuführen sind“, heißt es weiter in der Studie. „Im Vergleich dazu ist die Primärstahlerzeugung über die Hochofen-Konverter-Route mit Emissionen von rund 1,7 Tonnen CO2 pro Tonne Rohstahl über 80 % emissionsintensiver.“

Die Industriestrompreise sind in Deutschland weit höher als in konkurrierenden Ländern wie China. Grafik: Otto-Brenner-Stiftung

Die Industriestrompreise sind in Deutschland weit höher als in konkurrierenden Ländern wie China. Grafik: Otto-Brenner-Stiftung

Strom für deutsche Stahlwerke fast fünfmal so teuer wie in China

Das Kernproblem, um die ostdeutsche Stahlindustrie umweltfreundlich und dennoch international wettbewerbsfähig zu halten, bleiben von daher die hohen deutschen Strompreise: Die liegen für die Stahlerzeuger hier um knapp 400 Prozent höher als in China und um 150 Prozent höher als in der Türkei. Einige Unternehmen wie beispielsweise „Feralpi Stahl“ in Riesa gehen deshalb dazu über, besondere Stromverträge mit regionalen Versorgern zu schließen. Im konkreten Falle in Sachsen beteiligt sich das Stahlwerk gemeinsam mit Sachsenenergie und den Stadtwerken Riesa am Bau eines 150-Megawatt-Solarparks im sächsischen Zeithain-Jacobsthal. Das soll für umweltfreundlich erzeugten und vergleichsweise preiswerten Strom für ein neues, elektrisch betriebenes Walzwerk sorgen, das 2024 in Betrieb gehen wird.

Zusatz-Brenner mit Wasserstoff statt Erdgas?

Darüber hinaus ist denkbar, auch die Erdgasbrenner in den Elektrostahlwerken durch Wasserstoffbrenner zu ersetzen. Dies würde aber voraussetzen, dass umweltfreundlich erzeugter Wasserstoff in ausreichenden Mengen und zu bezahlbaren Preise verfügbar wird. Bisher ist Elektrolyse-Wasserstoff weit teurer als Erdgas oder aus Erdgas gewonnener Wasserstoff.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Otto-Brenner-Stiftung, Oiger-Archiv

Wissenschaftliche Publikation:

André Küster Simic und Janek Schönfeldt: „Transformation der Sekundärstahlroute – Technische, wirtschaftliche und personalwirtschaftliche Herausforderungen mit Fokus auf die neuen Bundesländer“, Hg.: Otto-Brenner-Stiftung, Frankfurt am Main 2023, Fundstelle im Netz hier

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt