Astrophysik & Raumfahrt, News, Wirtschaftspolitik, zAufi

Kosmos statt Kohle: Lausitz bekommt Großforschungszentrum für Astrophysik

Supermassives Schwarzes Loch im Zentrum einer Akkretionsscheibe (Künstlerische Darstellung; NASA/JPL-Caltech)

Statt mit Braunkohle-Gruben beschäftigt sich die Lausitz künftig mit Schwarzen Löchern. Abb. (künstlerische Darstellung): NASA/JPL-Caltech)

Bund und Land wollen damit Kohleausstieg erleichtern

Görlitz/Bautzen, 29. September 2022. Die Lausitz bekommt mit dem „Deutsche Zentrum für Astrophysik“ (DZA) ein neues Großforschungszentrum mit über 1000 Mitarbeitern und 170 Millionen Euro Jahresbudget. Das geht aus einer Mitteilung der Helmholtz-Gemeinschaft hervor. Der Bund und der Freistaat Sachsen wollen damit den Strukturwandel im Zuge des Braunkohleausstiegs in der Lausitz unterstützen.

In Görlitz und im Landkreis Bautzen konzentriert

Ein Schwerpunkt der Forschung wird die Auswertung digitaler Daten sein, die in der Astrophysik in sehr großen Mengen entstehen, teilte Helmholtz mit. Das federführende Desy-Zentrum will das DZA in Görlitz ansiedeln. Geplant ist eine dreijährige Aufbauphase. „Wir bauen ein Zentrum für Digitalisierung, das die Datenströme astronomischer Observatorien
rund um den Globus zusammenführt“, kündigen die Initiatoren an. „Zudem betreiben wir Forschung im Granit der Lausitz, einem Ort größter seismologischer Ruhe. Dort soll ein Untergrundforschungslabor, das Low Seismic Lab, entstehen. Aus diesem Grund haben wir die Mittel der Konzeptphase in eine Probebohrung in der Gemeinde Ralbitz-Rosenthal investiert. Ãœber diesen Antrag hinaus schlagen wir die Lausitz als Standort des Einstein-Teleskops, ein bereits geplantes europäisches Großprojekt, vor.“

„Mindestens 3000 zukunftsfähige Arbeitsplätze am Zentrum und im Umfeld“

Weiter versprechen sie: „Mit seiner einzigartigen Kombination von Forschung und Entwicklung in der IT, Sensortechnik und Materialforschung und seinem Bedarf an Fertigungsstätten wird das DZA ökonomische Impulse setzen und mindestens 3000 zukunftsfähige Arbeitsplätze am Zentrum und im Umfeld schaffen.“ Geplant sei unter andere, „ein Technologiezentrum, in dem unter anderem neue Halbleitersensoren, Silizium-Optiken und Regelungstechniken für Observatorien entwickelt werden. Aufbauend auf der Erfahrung und dem modernen Umfeld der Industrie in Sachsen werden so durch Ausgründungen neue Firmen und weitere hochwertige Arbeitsplätze entstehen.“

Chemieforschung in alter Zuckerfabrik Delitzsch

Ein zweites Großforschungszentrum ist für das mitteldeutsche Kohlerevier geplant. Hier hat das Delitzsch bei Leipzig das Rennen gemacht: In einer ehemaligen Zuckerfabrik entsteht das „Center for the Transformation of Chemistry“ (CTC). Das hat die Uni Leipzig mitgeteilt, die an dem Zentrum beteiligt ist. Das ebenfalls für 1000 Forschende und einen Jahresetat von 170 Millionen Euro ausgelegte Zentrum soll neue kreislaufwirtschaftliche Ansätze liefern, um die Chemieindustrie unabhängiger von fossilen Ausgangsstoffen zu machen. „Um die Versorgung und das Funktionieren der gesamten Wirtschaft am Standort Deutschland zu sichern, ist es dringend notwendig, Ausgangsstoffe, Prozesse und Produkte neu zu denken und die bisher linear geprägte chemische Industrie, die zudem große Mengen Kohlenstoffdioxid sowie giftige Abfälle und Abwässer produziert, langfristig als widerstandsfähige Kreislaufwirtschaft zu etablieren“, betonte CTC-Initiator Prof. Peter H. Seeberger vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung.

Im Mittelpunkt stehen laut der TU Dresden, die am CTC beteiligt ist,  innovative Synthese- und Recyclingkonzepte für die Anorganische Molekül- und Materialchemie. Neben neuartigen elektrochemischen Verfahren liege ein besonderer Fokus auf der Wiedergewinnung kritischer Ressourcen wie Phosphor, Seltene Erden oder Lithium, etwa durch Extraktion aus Abfällen und Reststoffen (Batteriematerial, FCC-Katalysatoren) sowie (katalytische) Methoden zur Synthese von Basischemikalien.

„Starke Impulse“

Die Resonanz auf beide Entscheidungen war bisher durchweg positiv. „Mit dem Deutschen Zentrum für Astrophysik und dem Center for the Transformation of Chemistry konnten sich zwei spannende Ideen durchsetzen, die starke Impulse für die Forschung und die Wirtschaft in der gesamten Region liefern werden“, kommentierte beispielsweise Prof. Sebastian M. Schmidt vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR).

„Ein Meilenstein für die Wissenschaft“

„Die Entscheidung zum Aufbau dieses Zentrums ist wegweisend, ein Meilenstein für die Wissenschaft, für den Freistaat Sachsen und für die Menschen in der Lausitz“, erklärte die Dresdner TU-Rektorin Professorin Ursula M. Staudinger über das DZA. „Die TU Dresden bringt hier ihre herausragende Expertise in den Bereichen Data Analytics, Künstliche Intelligenz, High Performance Computing und Green Electronics ein und übernimmt zugleich weitere Verantwortung im Strukturwandel in der Region.“

„Daten sind auch im All die Grundlage für jedes neue Projekt“

„Mit dem Deutschen Zentrum für Astrophysik entsteht in Sachsen etwas weltweit Einzigartiges“, betonte derweil Dirk Röhrborn vom sächsischen Hightech-Branchenverband „Silicon Saxony“ die jüngsten Weichenstellungen für die Lausitz. „Ob private Weltraum-Initiativen, Planungen für Mond- und Marsmissionen, neue Kommunikationssatellitennetzwerke, Weltraum-Bergbau oder Projekte zur Entschärfung von bedrohlichen Asteroiden: Daten sind auch im All die Grundlage für jedes neue Projekt. Jeder Akteur, der Weltraumdaten auswertet, Modelle rechnet und Szenarien simuliert, wird von dem hochmodernen Datacenter und seinen Big Data und KI-Werkzeugen profitieren.“

„Die Entscheidung für die beiden Großforschungszentren sind getroffen“, hieß es dazu vom sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU). „Jeweils 1,2 Milliarden Euro für eine Einrichtung im Mitteldeutschen und eine Einrichtung im Lausitzer Revier. Gemeinsam mit Sachsen-Anhalt bauen wir das Zentrum ,Chemresilienz‘ in Mitteldeutschland auf.“ Und mit Blick auf das Lausitzer Zentrum betonte er: „Dieses Vorhaben bietet große Chancen für Ausgründungen und schafft für Branchen der Hochtechnologie einzigartige Möglichkeiten zur Technologieentwicklung.“

„Beide Konzepte haben das Potential, völlig neue Innovationen zu generieren, die perspektivisch zu Anwendungen und damit attraktiv für die Ansiedelung von Unternehmen werden“, ergänzte der sächsische Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow (CDU). „Das Deutsche Zentrum für Astrophysik wird vom wissenschaftlichen Direktor der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, Prof. Dr. Günther Hasinger geführt. Die Astrophysik ist eine Hightech-Wissenschaft mit großer Innovationskraft. Gleitsichtbrillen, Zeranfelder, wesentliche Bestandteile von Mobiltelefonen, Navi oder schnelle elektronische Banküberweisungen via Satellit wären ohne astronomische Forschung undenkbar. Dabei ist das Portfolio des DZA so vielfältig, dass es Jobs im wissenschaftlichen, aber noch deutlich mehr im nicht-wissenschaftlichen Bereich schaffen wird.“

Lukas Rohleder ist Geschäftsführer des sächsischen Energietechnologie-Branchenverbandes "Energy Saxony". Foto: Heiko Weckbrodt

Lukas Rohleder. Foto: Heiko Weckbrodt

Auch skeptische Stimmen

Allerdings regt sich auch vorsichtige Skepsis aus der Wirtschaft, wie ein Astrophysik-Zentrum auf absehbare Zeit helfen soll, den Strukturwandel in der Lausitz zu unterstützen und neue Jobs für Kohlekumpel zu schaffen. „Sowohl erfreut als auch überrascht“, äußerte sich beispielsweise die Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden über die Entscheidung. „Aus der Lausitz in die Tiefen des Universums schauen, riesige unterirdische Teleskope, Tunnelsysteme und Supercomputer, das klingt ohne Zweifel spektakulär und nach Zukunft“, betonte IHK-Hauptgeschäftsführer Lukas Rohleder, meinte aber auch: „In Anbetracht der Tatsache, dass im DZA hauptsächlich Grundlagenforschung betrieben werden wird, deren Ergebnisse womöglich erst in 30 bis 50 Jahren in praktische Anwendungen münden, bleibt hingegen abzuwarten, welche Potenziale die Standortentscheidung für die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die Zukunftssicherung der vom Kohleausstieg betroffenen Regionen der Lausitz einschließlich der Kompensation wegfallender Wertschöpfung entfalten kann.“

Zur Erinnerung: Für das geplante Großforschungszentrum in der Lausitz hatte es auch ganz andere, praxisnähere Vorschläge gegeben. Dazu gehörten Projektskizzen, die die Zukunft des Bauens, großformatige Ansätze für eine Wasser-Kreislaufwirtschaft oder auch die nächsten Entwicklungsschritte der Mikroelektronik in den Fokus des Reviers rücken wollten.

Autor: hw

Quellen: Helmholtz-Gemeinschaft, TUD, Desy, IHK DD, SSK, SMWK, DZA, Silsax

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt