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Automaten bauen heißt Leben nachbauen

Steht archetypisch für die Menschmaschine: Die technologisch durch den demiurgischen Ingenieur nachgebaute "Maria". Hier ein Nachbau in der Dresdner Ausstellung "Der Schlüssel zum Leben". Foto: Heiko Weckbrodt

Steht archetypisch für die Menschmaschine: Die technologisch durch den demiurgischen Ingenieur nachgebaute „Maria“. Hier ein Nachbau in der Dresdner Ausstellung „Der Schlüssel zum Leben“. Foto: Heiko Weckbrodt

Faszinierende Mechanikausstellung in Dresden reflektiert 500 Jahre Suche nach dem „Schlüssel zum Leben“

Dresden, 3. Juni 2022. Die Wunsch, künstliche Lebewesen zu erschaffen, selbst zum Demiurg, zum Schöpfer zu werden, beschäftigt die Menschen schon seit Jahrhunderten. Dabei setzten die Erfinder, Künstler und Handwerker und Fürsten auf teils ganz verschiedene technologische Ansätze, um sich ihrem Gott zu nähern. Man denke nur an die alchimistischen Humunkuli des Spätmittelalters, an die goldene Gattin, die sich der Schmied Ilmarinen in der finnischen „Kalevala“ schmiedet, an den durch magische Worte erweckten jüdischen Golem oder an den mechanischen Schachtürken, an die Maria-Androidin in Metropolis, Carel Capeks „Roboter“, die künstlichen Robben in japanischen Seniorenheimen oder die Klonkrieger in „Starwars“ – die Liste der Beispiele ließe sich noch lange fortsetzen. Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) widmen dieser alten Suche ab heute die faszinierende Sonderausstellung „Der Schlüssel zum Leben. 500 Jahre mechanische Figurenautomaten“ in der Kunsthalle im Dresdner Lipsiusbau.

Trommelnder Automaten-Bär von 1625 aus dem Mathematisch-Physikalischen Salon Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Mechanische Krabbelkrebse für die höfische Tafel

Zu sehen sind dort beispielsweise mechanische Krebse, die einst auf herzöglichen Tafeln herumkrabbelten, ein trommelnder Bär, ein digital erweitertes Theatrum Mundi, sprechende Puppen und stählerne Boxer. Insgesamt umfasst die Schau 79 Exponate – darunter kunstvolle historische Automaten, Nachbauten, aber auch virtuelle Rekonstruktionen von jenen Objekten, deren Originale verschollen, zerstört oder nicht beschaffbar sind.

Video-Kurzimpressionen aus
der Ausstellung (hw):

„Die Endlichkeit unseres eigenen Lebens überwinden“

„Die Begeisterung für Automaten hat eine lange Tradition“, betont Direktor Peter Plaßmeyer, vom Mathematisch-Physikalischen Salon, der viele der älteren Schaustücke beigesteuert hat. „Sie reicht vom 16. Jahrhundert bis ins Heute“. Dabei wollen die Kuratoren aber die Automaten aber nicht nur als Kuriosität für staunende Eliten an Fürstenhöfen, als Jahrmarktspektakel aus der Zeit vor der Fernseh- und Streaming-Ära verstanden wissen. Und sie stellen nicht allein das Faszinosum frühmoderner Technologie und Handwerkskunst in den Fokus. „All dies hat auch eine philosophische Dimension“, meint SKD-Generaldirektorin Marion Ackermann. Sie sieht hinter dem Bau von Menschmaschinen, Automaten, Robotern und Androiden auch die uralte Sehnsucht der Menschen durchschimmern, „die Endlichkeit unseres eigenen Lebens zu überwinden.“

Den Figurenautomaten „Prozession des Bacchus“ hat vermutlich Hans Schottheim in Augsburg um 1580 gefertigt.  Foto: Heiko Weckbrodt

Den Figurenautomaten „Prozession des Bacchus“ hat vermutlich Hans Schottheim in Augsburg um 1580 gefertigt. Foto: Heiko Weckbrodt

Im 18. Jahrhundert wuchs Idee, dass ein Organismus nichts anderes als ein Mechanismus ist

Denn die raschen technologischen Fortschritte von Uhrmacherkunst, Materialverarbeitung, Automaten- und Dampfmaschinenbau zündeten einen neuen Gedanken in den Köpfen neuzeitlicher Tüftlern, der über die Produktion ehrgeiziger Kuriositäten hinausstrebte: „Im 18. Jahrhundert kam die Idee auf, dass ein Organismus wie ein Mechanismus funktioniert“, erklärt Peter Plaßmeyer. Und von da war es kein großer Schritt mehr zur nächsten logischen Schlussfolgerung, dass sich nämlich „Leben mechanisch nachbauen lässt“.

Womöglich Saurons allsehendes Auge am Eingang zur Ausstellung "Der Schlüssel zum Leben"? Foto: Heiko Weckbrodt

Womöglich Saurons allsehendes Auge am Eingang zur Ausstellung „Der Schlüssel zum Leben“? Foto: Heiko Weckbrodt

Der Fürst als Demiurg

Das sieht auch Igor Jenzen ganz ähnlich. Der ehemalige Direktor des Museums für Sächsische Volkskunst und der Puppentheatersammlung war einer der Initiatoren der Automatenausstellung. Er ist davon überzeugt, dass dieser Schöpfer-Gedanke bereits für die höfischen Kunsthandwerker und deren Herren eine Rolle spielte: „Automaten zu bauen heißt, das Leben nachzubauen“, argumentiert er. „Insofern haben sich auch schon die Fürsten als Demiurgen verstanden.“

Dieses Theatrum Mundi mit einer Großmogul-Szene entstand in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Weil jeder Start das mechanische Theater beansprucht, projizieren nun Beamer digitale Kopien der ursprünglichen Bewegtfiguren auf einen Schirm vor dem Exponat. Foto: Heiko Weckbrodt

Dieses Theatrum Mundi mit einer Großmogul-Szene entstand in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Weil jeder Start das mechanische Theater beansprucht, projizieren nun Beamer digitale Kopien der ursprünglichen Bewegtfiguren auf einen Schirm vor dem Exponat. Foto: Heiko Weckbrodt

Mechanische Ente von de Vaucanson versetzte Zeitgenossen in Erstaunen

Die technologischen Fortschritte zwischen Renaissance und industrieller Revolution gab der Suche nach dem „Schlüssel des Lebens“ dann neuen Schwung: Die Ingenieure und Berufserfinder konstruierten nicht nur immer bessere Fabrikmaschinen, sondern auch zunehmend raffiniertere Nachbauten organischer Geschöpfe. Ein Beispiel ist der Franzose Jacques de Vaucanson, der 1745 den ersten automatischen Webstuhl entwickelte, aber später auch eine mechanische Ente baute, die Wasser trinken, mit den Flügeln schlagen und schnattern konnte, ja sogar einen künstlichen „Verdauungstrakt“ hatte. Vaucansons Ente ist in der Schau immerhin als Videoprojektion zu sehen – ähnlich wie ein silberner mechanischer Schwan, den der britische Uhrmacher James Cox als Vorzeigeobjekt für eine regelrechte Massenproduktion von Tierautomaten baute.

Wenn man 10 Reichspfenning einwarf, lieferte dieser mechanische Storch Schokolade. Die MUM-Automaten GmbH hatte diesen Verkaufsautomat nach 1925 in Niedersedlitz gebaut. Foto: Heiko Weckbrodt

Wenn man 10 Reichspfenning einwarf, lieferte dieser mechanische Storch Schokolade. Die MUM-Automaten GmbH hatte diesen Verkaufsautomat nach 1925 in Niedersedlitz gebaut. Foto: Heiko Weckbrodt

Automaten wurden zum omnipräsenten Massenprodukt

Kommerziell sehr viel erfolgreichere Abfallprodukte solcher faustischen Gesellenstücke waren die vielen Verkaufs- und Unterhaltungsautomaten, die vor allem im frühen 20. Jahrhundert fast schon omnipräsent auf Rummeln wie auch im Stadtbild wurden. Eine kleine Auswahl mit regionalem Bezug – Dresden und Leipzig gehörten lange Zeit zu den Hochburgen des Automatenbaus – ist im Lipsiusbau zu sehen: eine Jukebox einer aus dem Erzgebirge in die USA ausgewanderten Familie zum Beispiel. Ein nach 1925 in Niedersedlitz entwickelter mechanischer Storch, der bei Münzeinwurf Schokolade auswarf. Oder ein „Boxomat“, den Hermann Pieper 1931 in Schkeuditz baute und in dem zwei Metallboxer aufeinander eindroschen.

Cobotics: Mensch und Maschine sollen künftig enger zusammenarbeiten, auch ohne Schutzzäune. Foto: Kuka

Cobotics: Mensch und Maschine sollen künftig enger zusammenarbeiten, auch ohne Schutzzäune. Foto: Kuka

Schon das frühe 20. Jahrhundert liebäugelte mit der Idee, Mensch und Maschine zu verschmelzen

Aus dieser massenhaften Verbreitung immer elaborierterer Automaten gewann dann bald auch der – schon damals gleichermaßen beängstigende wie faszinierende – Gedanke mehr und mehr Raum, Mensch und Maschine miteinander zu verschmelzen. Marc Zuckerbergs Metaversum, die neuere Kobotik oder Elon Musks Gehirnimplantat-Chips sind insofern gar keine ganz und gar neuen Ideen, sondern beruhen vielmehr auf Konzepten, die bereits im frühen 20. Jahrhundert entwickelt wurden.

Wo endet der Mensch, wo beginnt die Maschine? Szenenfoto aus der Neuverfilmung des Cyborg-Thrillers "Robocop". Abb.: MGM

Wo endet der Mensch, wo beginnt die Maschine? Szenenfoto aus der Neuverfilmung des Cyborg-Thrillers „Robocop“. Abb.: MGM

Archetypisch für die damals wachsende Vorstellung von der „Menschmaschine“ und vom „Maschinenmenschen“ steht der Science-Fiction-Klassiker „Metropolis“ aus dem Jahr 1927, der samt einer lebensgroßen Repro der Androidin „Maria“ in der Automatenausstellung zu sehen ist.  Darin beschwört Fritz Lang eine dystopische Zukunftswelt herauf, in der Arbeiter zu Menschmaschinen degradiert werden, während sich der reiche Ingenieur seinen Maschinenmenschen maßschneidert. Ein ähnliches Sujet taucht fast ein Jahrhundert später auch wieder beim Theaterrequisistenbauer Christian Werdin auf: Sein Figurenautomat „Drei Schreiber“ symbolisiert Entfremdung und endlose Monotonie im Arbeitsalltag vieler Menschen der Gegenwart.

Video (Wintergatan) von
der "Marble Machine":

Youtube-Murmelmaschine: Wer dient hier wem?

Eine klangvolle, aber eben auch ambivalente Musikclip-Projektion findet sich fast am Ende der Ausstellung: 2016 landete Martin Molin mit seiner „Marble Maschine“ einen Riesen-Youtube-Hit. Über 210 Millionen Mal wollten Menschen bisher sehen und hören, wie der schwedische Musiker eine eigenartige Murmelmaschine anwirft, die wie ein höfischer Spielautomat aus Holz anmutet. Beim Anblick des Künstlers, der da ständig hin und her hetzt, um seine Maschine an den richtigen Stellen anzukurbeln, mit Murmeln zu füttern und Hebel umzulegen, fragt man sich allerdings, was er in letzter Instanz da tut: Bedient dieser Mensch diese Maschine als lenkender Schöpfer – oder dient er ihr?

"Schlüssel zum Leben" liegen massenhaft am Eingang der Ausstellung herum. Damit können Besucher die Erklärungen zu den Exponaten aktivieren. Foto: Heiko Weckbrodt

„Schlüssel zum Leben“ liegen massenhaft am Eingang der Ausstellung herum. Damit können Besucher die Erklärungen zu den Exponaten aktivieren. Foto: Heiko Weckbrodt

Kurzinfos zur Ausstellung:

  • Titel: „Der Schlüssel zum Leben. 500 Jahre mechanische Figurenautomaten“
  • Ort: Kunsthalle im Dresdner Lipsiusbau (Haupteingang von der Brühlschen Terrasse)
  • Öffnungszeiten: 3. Juni bis 25. September 2022 , täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr
  • Eintrittspreise: acht, ermäßigt sechs Euro
  • Weitere Infos zur Ausstellung gibt es hier im Netz.
  • Tipp 1: Am Eingang sollte sich der Besucher je einen der namensgebenden „Schlüssel zum Leben“ ausborgen, denn nur damit lassen sich die Beschreibungen auf den Monitoren und die Vorführungen zu den einzelnen Exponaten starten
  • Tipp 2: Zur Ausstellung haben die SKD einen reich illustrierten und mit informativen Fachbeiträgen zur Automatengeschichte versehenen Begleitkatalog veröffentlicht: „Der Schlüssel zum Leben. 500 Jahre mechanische Figurenautomaten“, Sandstein Verlag, Hsg.: Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Peter Plaßmeyer, Hagen Schönrich und Igor A. Jenzen. 224 Seiten, 270 Abbildungen, 28 x 23 cm, Klappenbroschur, 38 Euro, ISBN 978-3-95498-682-8

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Presserundgang, Ausstellungskatalog

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt