„Long Covid“: Wohlstandsverluste bleiben auf lange Sicht
Dresden, 23. Juni 2021. Angesichts der jüngsten Corona-Lockerungen und Impffortschritte wachsen die sächsische und die ostdeutsche Wirtschaft nun wieder und werden voraussichtlich bis Ende 2021 ihr Vorkrisen-Niveau wieder erreichen. Das hat Prof. Joachim Ragnitz vom Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo in Dresden heute prognostiziert. „Wir kommen damit aber noch nicht zurück auf den Wachstumspfad“, betonte er. „Unsere Wohlstandsverluste werden wir lange nicht zurückgewinnen.“
3,1 Prozent Bip-Plus für dieses Jahr prognostiziert – wenn keine 4. Corona-Welle rollt
Die Ifo-Forscher gehen davon aus, dass das sächsische Bruttoinlandsprodukt (BIP) derzeit bereits wieder steigt und im dritten Quartal 2021 sogar recht kräftig zulegen wird. Danach wird das Wachstum allerdings bis ins nächste Jahr hinein langsam wieder aufflauen. Unterm Strich legt die Wirtschaft in Sachsen laut dieser neuen Prognose im Jahr 2021 um 3,1 Prozent zu und im Jahr 2022 um 3,9 Prozent. Damit würde Sachsen etwas unter dem Bundesschnitt liegen, aber eben auch leicht über den ostdeutschen Wachstumsquoten (2,4 beziehungsweise 3,6 Prozent). Damit hat Ifo Dresden seine eigenen, etwas optimistischeren Prognosen vom Winter 2020/21, um rund ein Prozentpunkt herunterkorrigiert. Damals habe das Institut nicht mit einer neuen Corona-Welle und einem weiteren Lockdown gerechnet, erklärte Joachim Ragnitz. Insofern stehe auch die neue Prognose unter dem Vorbehalt, dass keine vierte Corona-Welle Deutschland lähme.
Job-Motor läuft nur langsam wieder an
Auch neue Jobs seien zu erwarten, so Ifo. Allerdings werde der Arbeitsmarkt hinter der wirtschaftlichen Entwicklung hinterher hinken: Die Zahl der Erwerbstätigen steige 2021 in Sachsen voraussichtlich um nur 0,1 Prozent und im Folgejahr um 1,2 Prozent.
Handelskriege, Embargos, Brexit – schon vor Corona häuften sich die Dämpfer
Die direkten und indirekten Corona-Folgen werden Sachsen und Ostdeutschland allerdings noch auf Jahre hin ausbremsen, ist der Vize-Chef von Ifo Dresden überzeugt. Einerseits habe die Pandemie einige Entwicklungen katalysiert, die schon vor der Seuche sichtbar waren. Dazu gehören der Fachkräftemangel, der sich durch die vorübergehende Abschottung gen Tschechien und Polen auch nicht gerade entspannt hat, aber auch die Verschiebung von Handelsumsätzen ins Internet. Außerdem hatte vor allem die Industrie bereits 2019 geschwächelt. Gründe dafür waren unter anderem Donald Trumps Handelskriege, Störungen in den globalen Lieferketten, der Brexit und der demografische Wandel.
Viele Betriebe haben Eigenkapital in Corona-Krise aufgezehrt
Die Umsatzeinbrüche und Begleitkosten von Corona, Ausgangssperren und Einschlüssen zehrten angeschlagene Betriebe dann noch weiter aus: Viele Unternehmen zehrten ihr Eigenkapital auf, um die Krise zu überleben. Durch staatliche Corona-Hilfen überkompensierte Geschäftseinbußen hält Ragnitz hingegen eher für Einzelfälle. „Meine Einschätzung ist, dass sich die Eigenkapital-Situation vieler Unternehmen verschlechtert hat“, erklärte er auf Oiger-Nachfrage. „Das wird sich mittelfristig negativ auf die Investitionsfähigkeit auswirken.“ Und obgleich auch einige Unternehmen mit ausreichend Kapitalreserven die Corona-Krise für Weiterbildungen und Innovationen genutzt haben, kürzten andere Betriebe ihre Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zusammen, um nicht pleite zu gehen. Das wiederum senkt die Innovationskraft der Wirtschaft und damit ihre langfristige Wettbewerbsfähigkeit. „Ich rechne damit, dass es zu vielen Unternehmenschließungen kommen wird.“ Zwar spiegele sich diese Befürchtung bisher nicht in den Insolvenzstatistiken. Doch die geben laut Ragnitz eben nur einen Teil der Lage wieder: Für viele inhabergeführte Unternehmen habe eine Insolvenzanmeldung gar keinen Sinn, deshalb tauchen sie in diesen Übersichten nicht auf, sondern schließen ihren Betrieb einfach.
Ifo-Forscher: Infrastruktur-Programme wären besser als neue Mehrwert-Senkungen
Von neuen staatlichen Konjunkturprogramme nach Art der Mehrwertsteuer-Senkungen im vergangenen Jahr rät der Professor dennoch ab: Ohnehin sei zu erwarten, dass die Endverbraucher in der Krise gespartes Geld nun bald ausgeben. Weitere Kaufanreize könnten in dieser Situation eher zu Preissteigerungen und mehr Inflation führen statt zu einer Belebung. „Für sinnvoller würde ich Infrastrukturprogramme halten“, sagt der Ökonom: Staatliche Förderungen zum Beispiel für die Digitalisierung, den Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes oder das Bahnnetz würden nach seiner Meinung Impulse geben, die langfristiger wirken.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quelle: Ifo Dresden
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