Dresdner Genetiker rüsten Mäusegehirn auf
Dresden, 3. Juni 2021. Der Genetiker Dr. Lei Xing aus Dresden hat mit einem Trick aus der menschlichen Evolution Mäuse mit größerem Neokortex gezüchtet, die schlauer und mutiger als ihre normalen Artgenossen ohne aufgerüstetes Gehirn sind. Das geht aus einer Mitteilung des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in Dresden hervor, an dem Lei Xing in der Gruppe von Prof. Wieland Huttner forscht.
Gen „ARHGAP11B“ ist beim Menschen der Neokortex-Booster
Die Huttner-Gruppe hatte zuvor bereits entdeckt, dass das Gen „ARHGAP11B“ mindestens mitverantwortlich dafür ist, dass der Neokortex im menschlichen Gehirn dreimal so groß wie beim Schimpansen wächst. Der Neokortex wiederum ist jener Teil der Großhirnrinde, der für logisches Denken, Sprache und andere höhere kognitive Fähigkeiten des Menschen zuständig ist.
Gedächtnisspiele in Prag
Lei Xing hat nun gemeinsam mit Kollegen vom tschechischen Zentrum für Phänogenomik in Prag ausprobiert, was langfristig mit einem Maus-Embryo passiert, in den er diesen menschlichen Erbgut-Schalter einpflanzt. Und tatsächlich: Den Mäusen mit dem „ARHGAP11B“-Gen wuchs ein größerer Neokortex und sie stellten sich bei Tests in Prag auch ziemlich clever an.
Gen-Mäuse finden den Weg zum Wasser besser
„In einem dieser Tests setzten wir eine Gruppe von Mäusen in ein spezielles Käfigsystem, in dem sich in den Ecken Wasserflaschen befanden“, skizziert Lei Xing eines der Experimente mit seinen Schlaumäusen. „Nach einer Weile begrenzten wir den Wasserzugang für die Mäuse auf nur eine Ecke und änderten die Position der Wasserflasche jeden Tag. Die Mäuse mussten also das Muster erkennen, nach dem sich der Standort der Wasserflasche veränderte. Wir fanden heraus, dass die ARHGAP11B-Mäuse mit ihrem größeren Gehirn weniger Fehler beim Finden der Wasserflasche machten als die Wildtyp-Mäuse mit ihrem normal großen, also kleineren Gehirn.“ In einem anderen Test erwiesen sich die genetisch aufgerüsteten Mäuse auch als mutiger, sie hatten zum Beispiel weniger Angst vor Licht als wilde Nager.
Hoffnung auf Therapie gegen Schüttelkrankheit
Derartige Experimente sind seit jeher unter Tierschützern umstritten. Sie argumentieren damit, dass die Forscher an den Mäusen aus bloßer Neugier genetisch herummodeln, ohne abschätzen zu können, inwieweit die Tiere dabei leiden. Die Wissenschaftler halten dagegen, dass diese Grundlagenforschung einerseits ethischen Regeln folgt, andererseits künftig zu bahnbrechenden neuen Therapien gegen neurologische Krankheiten von Menschen führen kann. Diese Experimente könnten beispielsweise bis zur Mitte der Dekade zu einer wirksamen Stammzell-Therapie gegen die Schüttelkrankheit „Morbus Parkinson“ führen, hatte Wieland Huttner bereits früher prognostiziert. Und zu den aktuellen Versuchen sagt er: „Unsere Studie legt also nahe, dass die durch ARHGAP11B verursachte Vergrößerung des Neokortex tatsächlich zu einer besseren kognitiven Leistung führt, was wichtige Hinweise auf die Rolle dieses menschenspezifischen Gens in der Evolution des Menschen gibt.“
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: MPI-CBG, Oiger-Archiv
Wissenschaftliche Publikation:
Lei Xing, Agnieszka Kubik-Zahorodna, Takashi Namba, Anneline Pinson, Marta Florio, Jan Prochazka, Mihail Sarov, Radislav Sedlacek, Wieland B Huttner: “Expression of human-specific ARHGAP11B in mice leads to neocortex expansion and increased memory flexibility”, EMBO J (2021) e107093, doi: 10.15252/embj.2020107093
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