Auch IHK Dresden sieht Rechtsanspruch kritisch und der Bitkom plädiert lieber für ein Anreizsystem
Berlin, 26. Oktober 2020. Die meisten Deutschen halten nicht viel von der Idee von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), einen Rechtsanspruch auf Heimarbeit („Home Office“) per Gesetz in Deutschland einzuführen. Das geht aus einer Telefonumfrage unter 1005 Menschen im Auftrag des deutschen Digitalwirtschafts-Verbandes „Bitkom“ aus Berlin hervor.
Der Heil-Plan: Arbeitnehmer in geeigneten Jobs sollen selbst wählen dürfen
Hintergrund: Eingedenk der Erfahrungen in der Corona-Krise will SPD-Minister Heil ein Recht auf Heimarbeit für alle Erwerbstätigen einführen, deren Tätigkeit von Zuhause aus ausgeübt werden kann. Sie sollen ihren Arbeitsort per Gesetz an einer bestimmten Anzahl von Tagen im Jahr frei wählen dürfen.
56 % sind dagegen – die Jüngeren sind aber eher dafür
Doch laut der Umfrage der Verbands-Tochter „Bitkom Research“ lehnen 56 Prozent der Deutschen solch einen Rechtsanspruch ab, nur 40 Prozent würden ihn begrüßen. Allerdings unterscheidet sich das Meinungsbild je nach Altersgruppe: Die 16- bis 29-Jährigen würden solch ein Gesetz mit 51 Prozent mehrheitlich begrüßt, die Menschen ab 30 Jahren hingegen lehnen den Heil-Plan ab.
IHK Dresden: Heimarbeit ist zukunftsweisende Arbeitsmodell – aber eignet sich nicht für alle
Ähnlich sehen das auch regionale Wirtschafts-Vertreter. „Man muss das sauber trennen“, betonte etwa Lars Fiehler, der Sprecher der Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden: „Einerseits sehen wir im Home Office ganz klar ein Zukunftsmodell für das moderne Arbeiten, das auch jenseits von Corona viele Vorteile für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer bietet, etwa mit Blick auf Zeit und Kosten.“ Andererseits betrachte die Kammer den geplanten Rechtsanspruch kritisch: „Heimarbeit eignet sich nicht für den Kellner, kaum für den Fabrikarbeiter und für viele andere Tätigkeiten eben auch nicht. So ein Gesetz könnte einen Keil in die Belegschaften treiben zwischen jene, die Home Office machen können, und jene, die das nicht können und sich dann benachteiligt fühlen.“
Befragte fürchten Ungerechtigkeiten durch Heimarbeits-Recht
Diese Bedenken spiegeln sich auch in der Bitkom-Umfrage. Viele Bundesbürger befürchten demnach eine Zwei-Klassen-Gesellschaft unter den Arbeitnehmern: Jeder Zweite erwartet durch das Gesetz Ungerechtigkeiten gegenüber Kollegen, deren Tätigkeit nicht für Homeoffice geeignet ist. 40 Prozent rechnen mit weniger Austausch mit Kollegen. Ein Drittel meint, Kollegen im Homeoffice würden weniger arbeiten. Jeder Fünfte sieht einen unzulässigen Eingriff in die unternehmerische Freiheit.
Wirtschaftskammer: Für Heimarbeitsplätze gibt es schon viele strenge Regeln
Hinzu kämen viele praktische und rechtliche Probleme, die oft gar nicht bedacht würden, warnte der Dresdner IHK-Sprecher Fiehler. „Das oft gezeigte Bild der jungen Frau, die mit einem Kaffee-Pott und einem Apple-Laptop in der Wohnküche sitzt und da Homeoffice macht, hat mit der Rechtslage und Praxis in Deutschland wenig zu tun.“ So habe gerade die Corona-Zeit gezeigt, dass Heimarbeit nur bedingt funktioniert, wenn die Eltern wegen geschlossener Kitas und Schulen parallel dazu auf ihre Kinder aufpassen müssen. Zudem gebe es durch die Arbeitsplatzverordnung und andere Vorschriften sehr strenge Regeln, wie Heimarbeit zu gestalten sei, vom Lichteinfall über die Ergonomie am Heimarbeitsplatz bis hin zu Luftzirkulation, Arbeitszeitabrechnung und Datensicherheit. Außerdem sei Heimarbeit auch nicht zum Nulltarif zu haben. Daher müsse sich der Betrieb an den Anschaffungs- und Betriebskosten eines Heimarbeitsplatzes beteiligen.
Digital-Verband schlägt Steuer-Boni für umweltschonende Heimarbeit vor
„Homeoffice sollte nicht staatlich verordnet werden, sondern die Entscheidung darüber, wie gearbeitet wird, muss beim Arbeitgeber liegen“, meint Bitkom- Präsident Achim Berg. „Moderne flexible Arbeitsformen sind kein Selbstzweck und müssen im Einklang mit der Unternehmenskultur stehen und zu den innerbetrieblichen Prozessen passen.“ Er spricht sich vielmehr für ein Anreizsystem aus: „Wer regelmäßig zu Hause arbeitet und dabei hilft, Staus zu vermeiden und die Umwelt zu schonen, sollte dafür belohnt werden und steuerlich mit Berufspendlern gleichgestellt werden. Arbeitnehmer, die jetzt in der Krise aus beruflichen Gründen in ihre Heim-IT investieren, sollten zudem einen einmaligen Steuerbonus erhalten.“
Bitkom: Ausgaben für Homeoffice auch ohne eigenes Arbeitszimmer anerkennen
Damit flammt auch die alte Diskussion darüber auf, warum der Fiskus nur Investitionen von Wohlhabenden in Heimarbeitstechnik durch steuerliche Boni belohnt – nämlich dann, wenn ein eigenes Arbeitszimmer vorhanden ist. Langfristig, so fordert daher der Bitkom, sollten Ausgaben für die informationstechnologische Ausstattung eines häuslichen Arbeitsplatzes – unabhängig davon, ob ein Arbeitszimmer vorhanden ist oder nicht – pauschal als Werbungskosten geltend gemacht werden können.
Ifo: 60 % der Akademiker arbeiteten im April 2020 daheim
Laut Umfragen des Wirtschaftsforschungsinstituts „Ifo“ hatten während der Corona-Ausgangssperre im April 2020 rund ein Drittel der Beschäftigten in Deutschland ganz oder teilweise zu Hause gearbeitet. Unter Akademikern und Akademikerinnen betrug der Anteil sogar 60 Prozent. Drei Viertel der deutschen Unternehmen hatten in dieser Zeit verstärkt auf Homeoffice-Modelle gesetzt, um die Krise zu bewältigen. Laut Ifo hatte die massive Umstellung auf Heimarbeit den wirtschaftlichen Corona-Schock auch etwas abmildern können: Unternehmen, die ihre Abläufe erfolgreich und rasch auf Heimarbeits-Modelle umstellen konnten, mussten demnach weniger Leute in die Kurzarbeit schicken.
Droht Heimarbeitern die Gefahr zu vereinsamen?
Dispute über Nutzen und Grenzen moderner Heimarbeit gibt es im Übrigen nicht nur in Deutschland: „In den USA, die uns in solchen Dingen ja oft eine ganze Dekade voraus sind, gibt es inzwischen viele aus der Technologiebranche, die den Home-Office-Anteil wieder zurückdrehen“, erzählt Fiehler. „Denn die Unternehmen sehen da nicht nur Effizienz- und Kommunikations-Probleme. Offensichtlich gab es zu viele Heimarbeiter, die schlichtweg vereinsamen.“
Autor: hw
Quellen: Bikom, Ifo, IHK Dresden
Zum Weiterlesen:
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