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Einfühlsamer Auto-Assistent von Joynext Dresden erahnt Fahrerwünsche

Stavros Mitrakis ist ein Geschäftsführer von Joynext in Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Stavros Mitrakis ist ein Geschäftsführer von Joynext in Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Ehemalige Spezialisten von Technisat und Preh entwickeln heute in Dresden Autoelektronik, die den Nerv europäischer wie chinesische Nutzer treffen muss.

Dresden, 8. Juni 2020. Es klingt so verlockend einfach: „Verkaufen wir unsere Autos doch auch in China!“ Doch ein SUV-Geländewagen, der für die Vorlieben deutscher Fahrer entwickelt wurde, kann im Reich der Mitte ein Flop sein. Was hier als Todsünde eines Autobauers gilt, kann dort das entscheidende Verkaufsargument sein. „Chinesische Autofahrer sind sehr technikaffin“, erzählt Stavros Mitrakis, einer der beiden Geschäftsführer des chinesisch-deutschen Automobilzulieferers „Joynext“. „Sie sind viel offener für Funktionsvielfalt im Auto, für viele Einstellungen. Sie sind Spracheingabe gewohnt, wollen ihre chinesischen Apps auf dem Display haben und erwarten, dass das Auto soviel wie möglich für sie automatisch erledigt.“ Der durchschnittliche deutsche Autofahrer hingegen halte das für Spielerei, sei viel minimalistischer gepolt.

Rechnerwolken für VW und Android-Simulatoren für China

Diesen komplizierten Spagat zwischen den Welten zu schaffen, dabei hilft eine Dresdner Entwicklungsschmiede mit viel Erfahrung: erst unter der Regie des Satellitentechnik-Unternehmens „Technisat“, dann für „Preh“ und nun als chinesisch geführter Autozulieferer „Joynext“. Am westlichen Stadtrand von Dresden, in Merbitz, beschäftigt das Unternehmen rund 580 Ingenieure, Funktechniker, Elektronik-Designer, Programmierer und andere Spezialisten. Sie entwerfen komplette Unterhaltungs- und Informations-Elektroniksysteme, die dann beispielsweise im Passat verbaut werden. Sie organisieren Rechnerwolken-Dienste („Cloud Services“), über die die Autos von VW und Co. neues Kartenmaterial und Navigationsanweisungen überall auf der Welt abrufen können.

Chinesen wollen ihre Smartphone-Umgebung auch im Auto haben

Und seit sie mit dem Konzern „Joyson“ aus Ningbo liiert sind, tüfteln auch immer häufiger an Lösungen, die speziell den chinesischen Autofahrer glücklich machen sollen: „Dieses kleine Gerät zum Beispiel verkuppelt Auto-Navis mit dem Smartphone-Betriebssystem Android“, zeigt Stavros Mitrakis auf eine Box, die auf den ersten Blick so unscheinbar wie eine ausgebaute Festplatte wirkt. „Dadurch können die Nutzer in China ihre Handys mit dem Auto koppeln und deren Inhalt auf den Hauptbildschirm bringen. Sie können dann dort ihre Apps herunterladen und nutzen – und all das tun, was sie sonst mit ihren Smartphones tun.“ Solche Funktionen seien in China elementar – wer sie nicht biete, sei kaum konkurrenzfähig.

Aus Schwarmdaten eine hilfreiche KI modellieren

Mehr und mehr spielt auch „künstliche Intelligenz“ (KI) für die Projekte der Dresdner Joynext-Mannschaft eine wichtige Rolle. „Derzeit bauen wir unsere Kompetenzen für die Analyse von Schwarmdaten aus“, erzählt Mitrakis, der innerhalb von Joynext von Dresden aus das Europa-Geschäft der Chinesen leitet. „Damit wollen wir empathische virtuelle Assistenten entwickeln, die dem Fahrer die Wünsche quasi von den Augen ablesen.“ Solch ein einfühlsamer Assi erahnt zum Beispiel, wann der Fahrer einen Kaffee oder eine Pause braucht oder mehr Informationen über die weitere Route.

Huawei will seine Prozessoren nun auch im Automarkt etablieren

Andererseits dreht Joynext auch am ganz großen Rad und kooperiert mit einem der Lieblingsfeinde von US-Präsident Donald Trump, mit „Huawei“. Dabei geht es nicht nur um die Vernetzung autonom fahrender Auto mit den vieldiskutierten 5G-Mobilfunklösungen von Huawei: Der chinesische Kommunikationskonzern will nun nämlich für seine selbstentwickelten Smartphone-Prozessoren auch neue Märkte im Automobilsektor erschließen –ähnlich, wie es zuvor Qualcomm, Nvidia und andere Konzerne geschafft haben. Solche Huawei-Chips für Steueraufgaben in hochautomatisierten Autos einzuspannen, wird eines der nächsten großen Entwicklungsprojekte bei Joynext in Dresden sein.

Ingenieur Thomas Lindner justiert im EMV-Labor von Joynext in Dresden, das durch die stachlige Wandverkleidung gegen störende elektromagnetische (EM) Strahlung abgeschirmt ist, eine Mess-Antenne. Foto: Heiko Weckbrodt

Ingenieur Thomas Lindner justiert im EMV-Labor von Joynext in Dresden, das durch die stachlige Wandverkleidung gegen störende elektromagnetische (EM) Strahlung abgeschirmt ist, eine Mess-Antenne. Foto: Heiko Weckbrodt

Keine Angst vor chinesischer Unterwanderung

Eine chinesische „Unterwanderung“ brauche deshalb aber niemand befürchten, versichert Stavros Mitrakis. Auch die Angst, dass die Chinesen nur darauf aus seien, sächsische Expertise gen Osten abzusaugen, um dann das Entwicklungszentrum in Dresden auf Raten zu demontieren, hält er für abwegig: Wenn die Umsatzeinbrüche im Zuge der Corona-Krise überwunden seien, rechnet er mit einem Ausbau und zusätzlichen Jobs am Standort Dresden. Zuletzt hatte sich das Entwicklungszentrum – damals noch in Preh-Regie – in Merbitz auf die andere Straßenseite ausgedehnt und dort eine Entwicklungs-Halle übernommen und eine Büro-Containerburg aufgebaut. Und auch in Zukunft dürfte das Dresdner Know-How stark gefragt sein. Mitrakis: „Was hier über die Jahre an Kompetenzen und Wissen aufgebaut wurde, macht keiner so schnell nach.“

Über Joynext:

  • 2020 aus Preh Car Connect Dresden und Autoelektronik-Entwicklungsabteilungen von Joyson China entstanden. Teil des chinesischen Automobil-Zulieferers Joyson Electronics
  • Hauptsitz ist Ningbo in China
  • Geschäftszweck: Entwicklung und Produktion von Autoelektronik mit den Fokusthemen Konnektivität, vernetztes Fahren, Unterhaltung, Information und Navigation
  • Zwei Fabriken in Polen und China
  • Europa-Zentrale und Entwicklungszentrum ist Dresden
  • Insgesamt rund 1300 Mitarbeiter, darunter 580 in Dresden
  • Umsatz 2019: rund 3,4 Mrd. Yuan (425 Millionen Euro)
  • Zu den wichtigsten Kunden des Mutterkonzerns gehören VW, BMW, General Motors, Honda u.a.
  • Entwickelt wurde in Dresden unter anderem der „Modulare Infotainment-Baukasten 3“ (MIB 3) für den Passat.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Interview und Vor-Ort-Recherche bei Joynext Dresden, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt