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Naht eine Renaissance für die deutsche Solarindustrie?

Solarwatt-Chef Detlef Neuhaus erwartet einen zweiten Solarboom in Deutschland - der werde allerdings vom Markt und nicht von Einspeise-Vergütungen getrieben sein. Foto: Heiko Weckbrodt

Solarwatt-Chef Detlef Neuhaus erwartet einen zweiten Solarboom in Deutschland – der werde allerdings vom Markt und nicht von Einspeise-Vergütungen getrieben sein. Foto: Heiko Weckbrodt

Solarwatt-Chef Neuhaus: Deutschland kann den Anschluss jetzt wiedergewinnen

Dresden, 19. März 2020. Fast eine Dekade nach der großen Solarkrise, die eine ganze Branche in der Bundesrepublik mit rund 100.000 Jobs dahinraffte, ist die Zeit reif für eine Renaissance der deutschen Photovoltaik-Industrie. Davon ist Detlef Neuhaus, Geschäftsführer von Solarwatt Dresden, überzeugt: „Wir haben jetzt ein Zeitfenster von vielleicht drei bis fünf Jahren, um den Anschluss wieder zu erlangen“, sagt er. „Dann schließt sich dieses Fenster.“

„Es gibt mehrere gute Gründe für eine Wiedergeburt dieser Industrie in Deutschland“, argumentiert Neuhaus. „Erstens ist jetzt der klare gesellschaftliche Wille zu einem ökologischen Wandel in der Energieerzeugung da. Zweitens ist die Photovoltaik-Technologie inzwischen so ausgereift und preisgünstig geworden, dass man kein Umweltidealist mehr sein muss, um sich eine Solaranlage zuzulegen: Die Anlagen rechnen sich auch ohne Einspeisevergütung, sie sind einfach zu installieren und arbeiten zuverlässig.“

Innovations-Programme und CO2-Zölle vorgeschlagen

Allerdings bedürfe es politischer und finanzieller Unterstützung, damit sich in Deutschland wieder mehr Ausrüster, Forschungseinrichtungen, Modul- und vielleicht sogar Zellen-Hersteller im Solarsektor ansiedeln und wachsen. „Wir brauchen Forschungsförderprogramme speziell für die Photovoltaik, damit die deutsche Industrie den Wettbewerbern aus Asien immer einen Schritt voraus bleibt.“ Heliatek Dresden beispielsweise stellt leichte, biegsame und durchsichtige Solarfolien aus organischer Basis her – auch eine Innovation aus Deutschland. Über Forschungsförderung hinaus plädiert Neuhaus aber auch für finanzielle Anreize, wenn Solarmodule vor Ort hergestellt werden und nicht klimaschädlich erst rund um den Globus transportiert werden müssen, meint Neuhaus. Denkbar seien etwa Steuervergünstigungen oder Zölle, die eine günstige oder schlechte Kohlendioxid-Bilanz belohnen oder bestrafen.

Die organischen durchsichtigen Solarfolien werden in der Pilotfabrik von Heliatek in Dresden produziert. Foto: Heliatek

Auch Heliatek ist ein Beispiel für deutsche Innovationen in der Photovoltaik, Die organischen durchsichtigen Solarfolien werden in der Pilotfabrik von Heliatek in Dresden produziert. Foto: Heliatek

Ob der Bund tatsächlich noch einmal versucht, eine Solarindustrie hochzupäppeln wie nach der Jahrtausendwende, mag angesichts gewandelter Prioritäten fraglich sein. Gerade Beispiele wie Solarwatt zeigen aber, dass es letztlich ohne Staatshilfe geht: 1993 gegründet, fokussierte sich das Unternehmen – wie so viele damals in der Branche – zunächst vor allem auf die Massenproduktion von Solarmodulen. Gedacht waren sie für indirekt subventionierte Photovoltaik-Anlagen der Megawatt-Klasse. Das Geschäftsmodell der meisten Kunden basierte damals darauf, Gewinne durch die staatlich verordneten Einspeise-Vergütungen zu erwirtschaften.

Förderkarawane zog der Einspeisevergütung hinterher

„Das war zwar erst mal gut, um eine Massenproduktion zu kommen“, meint Neuhaus. „Das entwickelte sich aber immer mehr zu einer Förderkarawane.“ Denn sobald ein weiterer Staat nach dem Vorbild der Bundesrepublik eine besondere Einspeisevergütung für Ökostrom einführte, fluteten die deutschen Hersteller, die damals noch Marktführer waren, dieses Land mit Solarmodulen. Dies ging immer solange gut, bis der Markt übersättigt war und die Sondervergütung für Solarstrom zusammengestrichen wurde.

Schon 2015 hatte Solarworld mehrere Megawattprojekte gewonnen, so auch diese 5,7-MW-Anlage in Meuselwitz. Foto: PFALZSOLAR

5,7-MW-Anlage in Meuselwitz. Foto: PFALZSOLAR

Dieses Geschäftsmodell brach in sich zusammen, als diese indirekten Subventionsquellen einer nach der anderen austrockneten. Die deutsche Solarindustrie hatte es in sonnigen Zeiten versäumt, ihre Gewinne in ausreichendem Maße in Innovationen, neue Anlagen und Kostensenkungen zu investieren. Parallel dazu hatten die Chinesen den Markt von Osten her aufgerollt: Sie zogen eine topmoderne Fabrik nach der anderen hoch. Und dank billiger Staatskredite hatten sie genug Polster, um die erfolgsverwöhnten Deutschen gnadenlos zu unterbieten.

Steckte hinter dem Preiskrieg der Chinesen ein „Masterplan“? Hier ein Blick auf den Kaiserpalast in Peking. Foto: Axel Buchwitz

Die Manager von Solarworld, Solarwatt und vielen anderen deutschen Photovoltaik-Unternehmen sind bis heute überzeugt, dass dahinter ein diabolischer „Masterplan“ der Regierung in Peking steckte, um die deutsche Konkurrenz plattzumachen: „Die Preise der Chinesen lagen damals 20 bis 50 Prozent unter denen für deutsche Solartechnik. Das ist weder durch niedrige Lohnkosten noch durch Automatisierung erklärbar“, echauffiert sich Neuhaus. „Das war ganz klar Dumping.“ Zwar drückten Solarworld und andere deutsche Photovoltaik-Unternehmen noch Anti-Dumping-Zölle der USA und der EU gegen die Chinesen durch – doch das half auch nicht mehr viel.

Solarworld-Beschäftigte demonstierten bereits vergangene Woche in Freiberg gegen die Förderkürzung. Foto: Solarworld

Solarworld-Beschäftigte demonstierten während der PV-Krise in Freiberg gegen Förderkürzungen – doch das rettete das einstige Vorzeige-Unternehmen für eine ökologische Wirtschaft nicht. Foto: Solarworld

Das große Sterben begann Ende 2011

Ende 2011 setzte ein Massensterben der deutschen Solarunternehmen ein. Mitte 2012 war auch Solarwatt pleite. Die Dresdner allerdings hatten mehr Glück als andere: BMW-Milliardär Stefan Quandt rette das Unternehmen – wenn auch zu einem hohen Preis für die Belegschaft: Zwei Drittel der Stamm- und Leiharbeiter, die Solarwatt im letzten Boomjahr 2010 noch hatte, verloren ihre Jobs. 2015 hatte das Unternehmen kaum noch 200 Mitarbeiter.

Solarwatt-Geschäftsführer Detlef Neuhaus (l.) und Hauptanteilseigner Stefan Quandt neben dem schwarz verkleideten „MyReserve“-Energiespeicher. Foto: Ben Gierig, Solarwatt

Solarwatt-Geschäftsführer Detlef Neuhaus (l.) und Hauptanteilseigner Stefan Quandt neben einem schwarz verkleideten „MyReserve“-Energiespeicher. Foto: Ben Gierig, Solarwatt

Heute beschäftigt die Firma wieder rund 400 Menschen, die Belegschaft wächst, demnächst fährt ein weiteres Fabrikmodul hoch. Diese Erholung hat vor allem mit dem radikalen Kurswechsel ab 2012 zu tun: Solarwatt wandte sich vom subventionierten Massenmarkt ab. Die Dresdner Fabrik produziert inzwischen nur noch besonders langlebige und ausbeutestarke vollverglaste Solarmodule für Eigenheimbesitzer und kleine Betriebe. Diese Zielgruppe will keine Megawatt-Kraftwerke, sondern meist Anlagen mit zehn bis 20 Kilowatt Leistung. Außerdem baute Neuhaus neue Geschäftsfelder auf, um den Kunden vernetzte Komplettlösungen mit Solarstrom-Akkus und Energiemanagement-Software anbieten zu können. Und das Konzept funktioniert: „Wir ertrinken in Aufträgen“, sagt Neuhaus.

Lieferte im TÜV-Test Spitzenwerte: PV-Modul von Solarwatt Dresden. Abb.: Solarwatt

PV-Modul von Solarwatt Dresden. Abb.: Solarwatt

Solaranlagen rechnen sich heute auch ohne Staatshilfe

Gegenüber den Kunden argumentieren die Dresdner nicht mehr mit Förder-Dividenden, sondern mit Qualität „Made in Germany“, mit Solarmodulen, die jahrzehntelang halten und auch nach 30 Jahren noch auf eine hohe Energieausbeute kommen. „Unsere Module kosten zwar etwa 15 Prozent mehr als die Module der Konkurrenz aus Asien“, räumt der Solarwatt-Chef ein. „Aber der Käufer bekommt dafür auch 30 bis 40 Prozent mehr Stromertrag, wenn man dies über die gesamte Lebensdauer einer Solaranlage rechnet.“

Das wiederum ist ein besonders schlagendes Argument für Häuslebauer, Kleinbetriebe und Wohnungsgesellschaften, die den größten Teil des gewonnenen Stroms selbst verbrauchen oder als günstigen Öko-Strom für ihre Mieter anbieten wollen. Denn je länger die Module ordentlich Saft liefern, umso mehr Geld spart der Kunde mit der billigeren Sonnenenergie vom eigenen Dach im Vergleich zum Stadtwerke-Strom. Gleichzeitig kann er damit Umweltbewusstsein beweisen.

Modulpreis binnen zehn Jahren auf ein Siebtel gesunken

Zudem haben die Dresdner aus den Fehlern ihrer untergegangenen Branchenkollegen gelernt und ordentlich an der Kostenschraube gedreht. Noch vor zehn Jahren kosteten die deutschen Solarmodule etwa 10.000 bis 13.000 Euro pro Kilowatt installierter Spitzenleistung (kW peak). Heute sind es nur noch 1500 bis 1800 Euro pro Kilowatt. Und so amortisieren sich Solarwatt-Anlagen laut Neuhaus mittlerweile auch ohne Einspeisevergütungen binnen acht bis zwölf Jahren – je nach Standort, Größe und Ausführung.

Der Solar-Carport von Solarwatt soll ab Herbst die neuen i-Elektroautos von BMW mit Strom betanken. Foto: BMW

Auch an solchen Spezialprodukten versuchten sich die Dresdner: Solar-Carport von Solarwatt für BMW. Foto: BMW

Mit ihrem Fokus auf besonders ergiebige dezentrale Selbstversorger-Solaranlagen punkten die Dresdner vor allem in Ländern mit hohen Strompreisen und starkem Umweltbewusstsein: in Deutschland, Österreich und der Schweiz und den Benelux-Staaten, aber auch bei den sehr umweltbewussten Skandinaviern. „In Ländern wie China haben wir mit solchen Argumentationen natürlich keine Chance“, sagt Neuhaus. „Aber in Europa sehe ich da noch enormes Wachstumspotenzial.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Interview Solarwatt-Chef, Oiger-Archiv,  Bundesverband Solarwirtschaft

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt