Forscher der Papiertechnischen Stiftung arbeiten in Heidenau an Joghurtbechern, Backformen, Batterien und anderen Öko-Alternativen zu Kunststoff-Verpackungen
Heidenau, 26. Februar 2020. Noch in den 1960er Jahren galt Plaste als der Werkstoff der Zukunft. Schwimmende Müllinseln in den Ozeanen und die Diskussion um allgegenwärtige Mikroplaste haben dieses Bild gewandelt: Umweltpolitiker und ökologisch ambitionierte Konsumenten wollen heute, dass die Industrie möglichst allen Kunststoff durch naturnahe Materialien ersetzt. Mithelfen will da auch die „Papiertechnische Stiftung“ in Heidenau: Das gemeinnützige Privatinstitut arbeitet an Schokoverpackungen, Backformen aus Papier, ja sogar an Batterien, die auf Papiermaschinen herstellbar sind. Im Fokus dabei die bessere Wiederverwertbarkeit von Papier.
Hersteller rennen uns die Bude ein
„Wegen solcher Forschungsprojekte erhalten wir extrem viele Anfragen von Herstellern, vor allem wenn es um Wiederverwertbarkeit bei Lebensmittelverpackungen geht“, berichtet Projektleiter Max Schneider. Vor allem das gewachsene Umweltbewusstsein der Konsumenten, aber auch Vorgaben der EU und des Bundes beflügele das Interesse der Industrie an Lösungen nach dem Muster „Papier statt Plaste“. „Vielen Herstellern ist bewusst, dass sie bald ein Riesenproblem haben, wenn sie diesen Umstieg verschlafen.“
Upgrade fürs Papier
Aber auch Elektronikentwickler und Filterprodukten interessieren sich immer stärker für Papiertechnologien. All dies sorgt für eine Renaissance des Papiers – wenn auch auf hochtechnologischem Niveau. Denn bevor dieser altbekannte Werkstoff ganz neue Einsatzgebiete erobern kann, braucht er diverse „Upgrades“: So entwickeln die Heidenauer Forscher beispielsweise thermoplastische zellstoffbasierte Materialien, was heißt: Maschinen müssen das Papier bei Wärme in eine dauerhafte Form bringen können. „Das braucht man, wenn man daraus Joghurtbecher oder Wurstverpackungen machen will“; erklärt Dr. Martin Zahel, der in der PTS die Abteilung für Komposit- und modifizierte Werkstoffe leitet.
Pappbecher darf sich nicht auflösen, wenn man heißen Kaffee eingießt
Auch müssen die Papiere der neuen Generation die Lebensmittel vor Fremdstoffen schützen und mit dem Zugkräften moderne Verpackungsmaschinen klar kommen, ohne ständig zu reißen. Natürlich darf sich ein Pappbecher nicht einfach auflösen, wenn ein Durstiger heißen Kaffee einfüllt. Und wenn sich Papierstrohhalme wirklich gegen ihre Plaste-Brüder durchsetzen sollen, wie von der EU gewünscht, müssen die Ingenieure dafür erst noch schnellere Maschinen als bisher entwickeln, die sich für Millionen-Stückzahlen eignen.
Papier verschlingt viel Wasser und Energie bei der Geburt, hat aber hohe Recyclingquoten
Die PTS werde indes keineswegs in den Chor jener einstimmen, die alles Plaste unterschiedslos verdammen, betonte Zahlel: „Für einige Einsatzzwecke lässt sich Kunststoff durch Papier ersetzen“, sagte er. „Aber das wird nicht überall möglich sein.“ Für Papier als Werkstoff spreche dessen hohe Wiederverwertbarkeit: Etwa 80 bis 90 Prozent der Papierabfälle lassen sich rezyklieren – bei Kunststoffen liegt die stoffliche Recyclingquote nur etwa halb so hoch. Andererseits würden in der Papierproduktion große Mengen Wasser und Energie verbraucht – das spreche in der ökologischen Bilanz gegen das Papier.
Modellfabrik für die Papierherstellung der Zukunft geplant
Aber auch an diesen Stellenschrauben möchten die PTS-Ingenieure drehen: „Papierunternehmen aus ganz Deutschland wollen an einem noch auszuwählenden Standort eine Modellfabrik für die Papierherstellung der Zukunft einrichten“, berichtet PTS-Sprecher Armin Bieler. Die Branche plant, dort neue Technologien testen, um den Wasserverbrauch und den CO2-Ausstoß deutlich zu senken, die gesamte Fertigung zu digitalisieren und auf ein neues Qualitätsniveau zu heben. „Wir haben uns darum beworben, dass diese Modellfabrik bei uns in Heidenau entsteht“, sagt Bieler.
Aus der Geschichte der PTS
Die PTS steht für Jahrzehnte der papiertechnologischen Forschung in Ost wie West: 1951 gründeten der „Verband Deutscher Papierfabriken“ und der „Hauptverband Papier- und Kunststoffverarbeitung“ die Papiertechnische Stiftung in München. Bereits 1946 richteten die Zellstoffwerke Pirna und Heidenau ein Zentrallaboratorium ein, aus dem 1951 das Institut für Zellstoff und Papier (IZP) entstand. Nach der Wende übernahm die Münchner PTS das IZP in Sachsen. 2018 gab die Stiftung allerdings den Standort München auf. Seitdem ist Heidenau der Stammsitz. Inzwischen beschäftigt die PTS 85 Mitarbeiter. Von den 7,5 Millionen Euro Jahresumsatz speisen sich 60 Prozent aus öffentlichen Aufträgen und der Rest größtenteils aus Auftragsforschungen, Beratungen, Messdienstleistungen, Weiterbildung und Messgeräte-Verkauf. Die Stiftung gehört zur Zuse-Gemeinschaft und ist seit dem Jahr 2020 auch Teil des Forschernetzwerkes „Dresden-Concept“.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Vor-Ort-Recherche, PTS, Internet Archive
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