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Die Spione, die aus dem Norden kamen

Die "Svalbard"-Radaranlage aus dem "Eiscat"-Programm, für das sich schon in den 1980er Jahren die Stasi interessierte. Foto: Togr, Wikimedia, CC3-Lizenz, creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en

Die „Svalbard“-Radaranlage aus dem „Eiscat“-Programm, für das sich schon in den 1980er Jahren die Stasi interessierte. Foto: Togr, Wikimedia, CC3-Lizenz, creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en

Der finnischer Historiker Kimmo Elo hat mit moderner Datenanalyse alte Netzwerke der Stasi in Skandinavien rekonstruiert – und die Ergebnisse in Dresden vorgestellt.

Dresden, 27. Februar 2020. Den ostdeutschen Genossen dabei helfen, den forschungsmäßigen Anschluss ans Westniveau zu finden? Klar: Als ihn dieser DDR-Kollege mit dem Decknamen „Rudolf“ von der Uni Jena 1982 danach fragte, war das für Dr. Onni Mäkinen* eine Frage der Ehre. Und vielleicht, so hoffte der finnische Kommunist und Physiker, würde ihm die legendäre „Hauptverwaltung Aufklärung“ (HVA) sogar dabei helfen, manch reaktionäres Element an seiner Uni zu neutralisieren, das seiner akadamischen Karriere schon seit Jahren im Wege stand. So kam es, dass der Stasi-Abgesandte wenig Mühe hatten, Mäkinen eines Abends alkoholisch abzufüllen und ihn zur Kooperation mit dem ostdeutschen Geheimdienst zu verpflichten. Selbst als der frischgebackene „IM Larsen“ aus seinem Rausch aufwachte, widerrief er die Verpflichtungserklärung nicht – und lieferte fortan bis kurz vor dem Zusammenbruch der DDR allerlei wichtige wie unwichtige Informationen nach Ostberlin…

Pekka, Lanze und Larsen spionierten für Ostberlin

Der finnische Forscher Dr. Kimmo Elo von der Universität Turku hat in den vergangenen neun Jahren die verfügbaren Informationen über diese und weitere skandinavische Quellen der Stasi zusammengetragen. Unter Decknamen wie „Pekka“, „Lanze“ oder „Matel“ lieferten diese Hobbyspione politische, wirtschaftliche, wissenschaftliche und militärische Informationen aus dem kühlen Norden nach Ostberlin. Dank moderner Datenanalyse-Techniken ist es dem Finnen nun gelungen, Teile der alten Spionage-Netzwerke der HVA in Skandinavien zu rekonstruieren – obwohl die meisten Akten darüber zerstört sind. Die Ergebnisse hat Elo nun bei einem Vortrag „DDR-Spionage in Finnland“ im Dresdner Hannah-Arendt-Institut vorgestellt.

HVA-Akten zerrissen, Rosenholz hilft

Die Ausgangslage war schwierig: In der Wende-Zeit zerrissen die ostdeutschen Tschekisten fast den gesamten HVA-Aktenbestandes. Während die Machenschaften der Stasi innerhalb der DDR gut dokumentiert sind, haben die Historiker nur wenige Dokumente der Auslandsspionage zur Verfügung. Überliefert sind beispielsweise die sogenannten Rosenholz-Datenträger mit mikroverfilmten Karteikarten über HVA-Agenten. Diese CD-ROMs gelangten nach der Wende unter mysteriösen Umständen in die Hände der CIA, die später Kopien wieder an Deutschland zurückgab.

Dazu gibt es noch die 1998 entschlüsselte Quellen- und Decknamen-Datenbank „Sira“. Allerdings: Während die Rosenholz-Daten in Deutschland für Forscher einsehbar sind, hat in Finnland die Sicherheitspolizei diese Informationen einkassiert. Immerhin hatte Elo schließlich doch etwas Glück: Nach langer Puzzlearbeit gelang es im Jahr 2012 den deutschen Stasi-Aktenverwaltern, 120 zerrissene Seiten aus HVA-Dokumenten, die in der Stasi-Bezirksverwaltung Gera gelagert waren, wieder zusammenzusetzen. Darin enthalten waren auch ein paar originale Berichte über „IM Larsen“ aus Finnland.

Der finnische Historiker und Politologe Dr. Kimmo Elo von der Uni Turku erforscht die Stasi-Aktivitäten in Skandinavien und setzt dafür moderne Datenanalyse-Techniken ein. Foto: Heiko Weckbrodt

Der finnische Historiker und Politologe Dr. Kimmo Elo von der Uni Turku erforscht die Stasi-Aktivitäten in Skandinavien und setzt dafür moderne Datenanalyse-Techniken ein. Foto: Heiko Weckbrodt

Schlagwort-Wolken gebildet

Diese und weitere Hinweise setzte der finnische Forscher mit modernen Methoden der Datenanalyse und -visualisierung sowie der Netzwerk-Analyse wieder zusammen. Beispielsweise verglich er Stichworte, mit denen wohl der Führungsoffizier von „IM Larsen“ die Berichte des finnischen Physikers verschlagwortet hatte, mit den gleichen Stichworten, die die Stasi anderen Quellen zugeordnet hatte. So konnte er nach und nach eine Schlagwort-Wolke bilden, ähnlich der, die die heutigen „Künstlichen Intelligenzen“ (KIs) von Google für assoziative Suchanfragen bilden. Aus den Hauptknoten dieser Stichwortwolken rekonstruierte der Daten-Schürfer dann das – allerdings eher grobmaschige – Spionagenetzwerk, das die Stasi über Skandinavien gespannt hatte.

Skandinavien war für HVA ein Nebenschauplatz

„Insgesamt spielten die nordischen Länder für die HVA nur eine geringe Rolle“, resümiert Elo seine bisherigen, noch nicht publizierten Forschungsergebnisse. Das habe einerseits an der Sprachbarriere gelegen: Die Stasi hatte beispielsweise kaum Leute, die Finnisch beherrschten. Auch habe der KGB Skandinavien als seine Spionage-Domäne betrachtet. Speziell in der Wissenschaftsspionage sei es der Stasi dennoch gelegentlich gelungen, interessante Details herauszubekommen, die dann an die sowjetischen „Freunde“ sowie an DDR-Forschungsinstitute verteilt wurden.

Das Radar, das um die Ecke guckt

So berichtete IM Larsen den ostdeutschen Spionen beispielsweise über das Projekt „Eiscat“. Die Skandinavier experimentierten damals an einem Radar, mit dem sie „um die Ecke schauen“ wollten, indem sie Wellen-Reflektionen an der Ionosphäre ausnutzten. Als wissenschaftliches Programm gibt es Eiscat bis heute. Im Kalten Krieg forschte das Konsortium aber auch an einem militärischen Einsatz. Als „Larsen“ gar erzählte, dass einer seiner Kollegen genau an diesem Projekt mitarbeite, setzen die HVA-Agenten ihren finnischen IM immer mehr unter Druck, mehr über „Eiscat“ zu liefern. Doch „Larsen“ blitzte ab: Der Geheimnisträger gab sich bockig und wollte kaum etwas an den neugierigen Kollegen verraten. Auch in „IM Larsen“ wuchsen anscheinend die moralischen Skrupel, mit den ostdeutschen Spionen weiter zusammenzuarbeiten. Und so versiegte nach und nach der Informationsfluss von Helsinki nach Ostberlin.

Spion kam ungeschoren davon

Jahre nach dem Zusammenbruch des Ostblocks wurde IM Larsen in Finnland zwar enttarnt. Aber größere persönliche Konsequenzen habe all dies für den Hobbyspion nicht gehabt, berichtete Dr. Elo auf Anfrage. „Einerseits waren viele Forschungsergebnisse, die er der HVA geliefert hatte, zwar nicht im Osten, aber eben in Finnland damals frei zugänglich. Und zum anderen galt als das inzwischen schon als ,zu lange her’“.

* Klarname geändert

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Vortrag und Präsentation Kimmo Elo, BStU, Helmut Müller-Enbergs: Rosenholz

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt