Warum schlägt das Herz links? Woher weiß das Zellkraftwerk, was zu tun ist? Ein neues Exzellens-Cluster an der TU Dresden will sich den Antworten nähern
Dresden, 5. April 2019. Je länger ein Physiker über das Leben nachdenkt, umso verblüffter ist er: Wie gelingt es Ketten eigentlich toter Atome, komplexe und veränderbare Strukturen wie einen Muskel, ein Herz oder einen Menschen zu formen? Woher wissen die Kerne und die Kraftwerke biologischer Zellen, wo sie hingehören? Warum schlägt das Herz fast aller Menschen links und nicht hübsch symmetrisch in der Mitte? Diese und weitere Fragen wollen Forscher des neuen Exzellenz-Cluster „Physik des Lebens“ (englisch: Physics of Life“, abgekürzt: PoL) an der Technischen Universität Dresden (TUD) in den nächsten Jahren beantworten – oder sich wenigstens den Antworten zu nähern.
Schon Quantenkatzen-Schrödinger fragte: Was ist das eigentlich: Leben?
Dabei ist das Cluster-Motto keineswegs neu, sondern einem Altmeister der Wissenschaft abgeguckt: Schon der Quantenmechaniker Erwin Schrödinger (1887-1961) fragte vor 75 Jahren in einem philosophischen Buch „Was ist Leben?“ Dass die Antwort darauf bis heute ausstehe, liege vielleicht auch daran, dass erst genug molekularbiologische und genetische Erkenntnisse gesammelt und viel bessere Mikroskope als früher verfügbar sein müssen, um zum Grunde des Lebens vorzustoßen, meint Cluster-Sprecher Prof. Stephan Grill.
Dresdner haben sich auf Molekular- und Systembiologie eingeschossen
Und für diese Suche sei die sächsische Landeshauptstadt ein perfekter Standort. „Vor allem seit der Jahrtausendwende ist Dresden zu einer internationalen Top-Adresse für die theoretische Erforschung des Lebens aufgestiegen“, schätzt der Direktor am „Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik“ (MPI-CBG) in Dresden ein. „Hier gibt es eine einzigartige Dichte an Forschungseinrichtungen, die sich mit Molekularbiologie beschäftigen.“ Auch sei der Standort ein Vorreiter für die computergestützte Analyse großer Mikroskopie-Datenmengen. Hinzu komme die enge Kooperation universitärer und außeruniversitärer Einrichtungen in der Stadt. In Dresden arbeiten Genetiker, Informatiker, Biologen, Mathematiker, Chemiker und Physiker in vielen Forschungsprojekten ohnehin schon interdisziplinär zusammen. Und sie teilen sich auch in eben jene sehr moderne, aber eben auch sehr teure Analysetechnik hinein, die für diese Forschungen im Grenzstreifen der akademischen Wissenschaften nötig ist.
Auf 6 Pfaden zu den Ursprüngen des Lebens
Da aber die Suche nach den tieferen Ursprüngen des Lebens trotz all dieser Technik und interdisziplinären Kooperation immer noch ein sehr komplexes Unterfangen ist, wollen sich die Dresdner Wissenschaftler zunächst auf sechs Forschungspfade konzentrieren:
- Gewebe: Welche Steuerungsprozesse, Kräfte und Ströme führen dazu, dass Gewebe wächst und funktioniert?
- Zellen: Wie entstehen die Kerne, die „Transportmaschinen“, „Kraftwerke“, „Postämter“ und Membranen in biologischen Zellen?
- Molekulare Systeme: Wie kommt es, dass sich biologische Moleküle zu einem kollektivem Verhalten „entscheiden“?
- Flussprozesse: Welche Kräfte und Spannungen führen zum Beispiel zu Zellteilungen?
- Systemmikroskopie: Wie entstehen Turbulenzen und Symmetriebrüche wie eben das Herz auf der linken Seite im Menschen?
- Lichtkontrolle: Wie lassen sich Moleküle und Zellprozesse durch Licht fernsteuern?
Forscher hoffen auf Mikro-Medizinkuriere und Organ-Ersatzteilbaukasten für den Menschen
„All dies ist natürlich erst mal Grundlagenforschung“, betont Prof. Grill. Abgesehen vom Durst zu wissen, was uns im Innersten zusammenhält, könnten diese Untersuchungen aber später einmal auch sehr praktische Bedürfnisse stillen und medizinische Fortschritte ermöglichen: Neuartige biologische Mikro-Maschinen wären denkbar, die Medizin punktgenbau im Körper verteilen, auch neue Therapieansätze gegen Alzheimer. Viele Forscher hoffen gar auf einen „Ersatzteil-Baukasten“ für den Menschen: eine Technologie, um für schwerkranke Patienten und Unfallopfer neue, völlig kompatible Herzen, Lungen oder Nieren zu züchten.
Neubau in Dresden-Johannstadt geplant
Bis zu 300 Forscher zahlreicher Fachrichtungen sollen in Zukunft an diesen Themen tüfteln. Noch aber befindet sich das neue Exzellenz-Zentrum im Aufbau: Im Sommer bekommen die PoL-Forscher erst einmal jene Labore an der Arnoldstraße in Dresden-Johannstadt, die nun freigeworden sind, weil die Biotech-Forscher vom universitären „B-Cube“ in einen Neubau am Tatzberg umgezogen sind. „Wir hoffen aber, in vier oder fünf Jahren auch einen eigenen Neubau zu bekommen“, berichtet Professor Grill. Vorzugsstandort wäre ebenfalls der Tatzberg – dort, wo sich jetzt schon Forschungstechnik vom Feinsten zusammenballt.
Exzellenzcluster stellt sich vor
Tipp: Auf Bitte der Volkshochschule (VHS) stellt Prof. Grill am 10. April ab 17 Uhr in einem Vortrag „Exzellent. Dresden forscht: Die Physik des Lebens“ das neue Exzellenzcluster allgemeinverständlich für die Dresdner vor. Veranstaltungsort ist das Zentrum für regenerative Therapien Dresden (CRTD), Fetscherstraße 105. Der Eintritt ist frei. Eine Anmeldung ist notwendig: in den VHS-Geschäftsstellen in der Annenstraße 10 oder im Helbigsdorfer Weg 1, telefonisch über die Rufnummer 0351/254400 oder im Netz unter vhs-dresden.de.
Autor: Heiko Weckbrodt
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