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Das Buch ist kein Fetisch

Dr. Achim Bonte. Foto: Ramona Ahlers-Bergner für die SLUB Dresden

Dr. Achim Bonte. Foto: Ramona Ahlers-Bergner für die SLUB Dresden

Der neue Generaldirektor Achim Bonte will die digitale Transformation der Uni-Bibliolothek SLUB in Dresden vorantreiben

Dresden, 6. August 2018. Achim Bonte ist der neue Generaldirektor der Sächsischen Landes- und Uni-Bibliothek SLUB in Dresden. Oiger-Reporter Heiko Weckbrodt hat den 54-jährigen Germanisten und Historiker befragt, wohin er die Bibliothek steuern will, wie es mit den 3D-Druckern weitergeht und ob er im Digitalzeitalter die Papierbücher wegwerfen will.

Wenn ich daran denke, wie klassisch-beschaulich es in der Landesbibliothek an der Marienallee vor 30 Jahren zuging, hat sich die SLUB seitdem stark verwandelt. Wo steht die Bibliothek in diesem Transformationsprozess jetzt und wo geht’s hin?

Bonte: Die Kernaufgabe ist gleich geblieben: Wir vermitteln und erweitern Informationen und Wissen. Das hat die Bibliothek in der Papier-Ära mit Büchern gemacht. Dazu haben wir inzwischen neue Säulen aufgebaut: Wir digitalisieren die Alt-Bestände, lizenzieren elektronische Zeitschriften und bieten Zugang zu Datenbanken. Inzwischen sind wir in einer neuen Phase angelangt: Wir sind Dienstleister für den gesamten Forschungskreislauf geworden.

Was meinen Sie damit?

Bonte: Zum Beispiel bietet die SLUB Kurse für gutes wissenschaftliches Schreiben an, für richtiges Zitieren. Das macht eine klassische Bibliothek nicht. Wir helfen jungen Wissenschaftlern, ihre Forschungsergebnisse digital „Open Access“* zu publizieren und deren Resonanz zu messen – wie oft sie abgerufen und zitiert worden sind.

Auch das gehört zur modernen Bibliothek: Lounge zum Lümmeln. Foto: SLUB Dresden/Henrik Ahler

Geraten Sie mit diesen Open-Access-Publikationen nicht in einen wachsenden Konflikt mit den Verlagen?

Bonte: Wir stehen in einer gewissen Konkurrenz zu den Verlagen. Aber wir differenzieren hier sorgfältig: Ein großer Wissenschafts-Verlagskonzern wie Elsevier mit 35 Prozent Umsatzrendite muss eben damit klar kommen, dass Forscher ihre wissenschaftlichen Arbeiten zunehmend Open Access publizieren wollen. Auf der anderen Seite möchten wir natürlich den kleinen sächsischen Verlag, der von wenigen aufwändig lektorierten geisteswissenschaftlichen Büchern lebt, nicht kaputt machen, sondern vielmehr unterstützen.

Anke Wartenberg betreut in der Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) den Dokumenten- und Publikationsserver Qucosa. Über diese Plattform publizieren Forscher aus Sachsen ihre wissenschaftlichen Arbeiten. Foto: Heiko Weckbrodt

Anke Wartenberg betreut in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) den Dokumenten- und Publikationsserver Qucosa. Über diese Plattform publizieren Forscher aus Sachsen ihre wissenschaftlichen Arbeiten. Foto: Heiko Weckbrodt

Dennoch verzerren Sie den Markt: Als öffentliche finanzierte Einrichtung müssen sie kein Geld mit Buchpublikationen verdienen. Dagegen kann kaum ein privater Verlag bestehen.

Bonte: Deshalb müssen wir uns klar darüber sein, was wir mit diesem Privileg anfangen. Ich habe mir da einige Aufgaben für meine Amtszeit vorgenommen, um diesem öffentlich-rechtlichen Auftrag gerecht zu werden.

Die SLUB in Dresden ist Gastgeber für die Open-Access-Tage 2017. Hier ein Blick in den großen Lesesaal. Foto: SLUB Dresden/Henrik Ahler

Blick in den großen Lesesaal. Foto: SLUB Dresden/Henrik Ahler

Die da wären?

Bonte: Der Zugang zum Wissen muss möglichst niedrigschwellig sein und wir brauchen mehr Bildungsgerechtigkeit. Zum Beispiel möchten wir die Kooperation mit Vereinen wie „Arbeiterkind“ ausbauen, die Jugendlichen aus Nichtakademiker-Familien helfen, erfolgreich zu studieren und akademische Karrieren einzuschlagen. Wir können sie dabei mit Kursangeboten und den Netzwerken unterstützen, die in Bibliotheken ganz automatisch entstehen.

Und wir wollen uns mehr den Dresdnern öffnen. Studenten und Wissenschaftler mögen unsere Kernklientel sein, aber eine Landesbibliothek ist für alle Bürger da.

Zumindest ihre Kurse für Familienforschung sind aber anscheinend auch außerhalb der Studentenschaft recht beliebt…

Bonte: Das ist ein Beispiel, wie wir von einer Einbahnstraße der Wissensverbreitung hin zu einer noch besseren Interaktion mit unseren Benutzern kommen wollen. Ich möchte das vielfältige Spezialwissen unserer Benutzer in die Bibliothek holen. Es gibt unter den Besuchern der Genealogiekurse einige Forscher, die haben sich auf ihrem Gebiet so hoch spezialisiert und kennen sich so gut aus, dass sie nun selbst bei uns ehrenamtlich Kurse geben. Vielleicht können in Zukunft auch andere Menschen ihr Wissen spenden, die Experten für Dresdner Brunnen, Spritzdekorkeramik, sächsische Burgen und Schlösser, Vogelkunde und was immer Sie sonst für nützlich halten.

Auch das Alltagswissen von Zeitzeugen kann in vielen Fällen sehr interessant für die Forschung sein. Ein Beispiel dafür sind Lebenserinnerungen, die uns übergeben worden sind. In einem Text eines sehr alten Dresdners war von einer Berliner Tante die Rede, die während der Weimarer Republik immer mit Riesenkoffern zu Besuch kam. Danach gefragt, warum sie so viel Gepäck mitschleppe, erklärte sie: In Dresden sei alles so besonders elegant, da müsse sie ihre besten Kleider mitbringen. Solche bezeichnenden Details findet man in Geschichtsbüchern nicht. Das ist forschungsrelevantes Spezialwissen, das wir retten und erhalten sollten.

Das klingt faszinierend – könnte aber selbst eine SLUB bald an ihre Ressourcengrenzen bringen, wenn Sie wirklich alles aufheben und digitalisieren wollen, was irgendwie interessant ist.

Bonte: Deshalb haben wir einen Strategieprozess „SLUB 2025“ initiiert, in dem wir gemeinsam mit unseren Mitarbeitern und externen Beratern herausarbeiten wollen, wo wir exzellent sind oder sein wollen – und was wir lieber bleiben lassen. Die Ergebnisse sollen im Frühjahr 2019 vorliegen.

Was sind aus Ihrer Sicht denn „Alleinstellungsmerkmale“ der SLUB?

Bonte: Bestände von überregionaler Bedeutung haben wir zum Beispiel zu den Themenkreisen „Kunst/Design/Fotografie“, Musikwissenschaften sowie „Mobilität und Verkehr“. Außerdem gelten wir als besonders kompetent in der Digitalisierung, der dafür benötigten Software und der Analyse von Digitalisaten. Als fünftes Exzellenzfeld sehe ich das Management von Forschungsrohdaten – ein Feld, das international auch unter dem Schlagwort „Big Data“ sehr an Bedeutung gewinnt.

Ohne Ihrem Strategieprozess vorgreifen zu wollen, aber auf was würden Sie persönlich denn andererseits verzichten wollen?

Bonte: Die SLUB ist vielleicht immer noch etwas zu bestands- und bücherorientiert. Das Buch ist aber kein Fetisch, sondern Mittel zum Zweck. Und dieser Zweck ist Wissensvermittlung, die auf verschiedenen Wegen erfolgen kann. Wir haben pro Jahr sechs bis acht Prozent weniger Bücher-Entleihungen. Die Bedeutung der Papierwelt sinkt also kontinuierlich, die der Digitalwelt wächst.

Bedeutet das auch Aussortierungen?

Bonte: Letztlich: Ja, das ist außerhalb unseres gesetzlichen Auftrags der Pflichtexemplarbibliothek für Sachsen und anderen zentralen Sammelinteressen kein absolutes Tabu. Magazine und Magazinerweiterungen kosten Geld, mit dem man sparsam umgehen und das man auch in neue Aufgaben umlenken muss.

Mit 3D-Druckern lassen sich heute nahezu beliebige Einzelteile aus Kunststoff kreieren. Günstige 3D-Drucker kosten nur noch zwischen 500 und 3000 Euro. Foto: Makerbot

Mit 3D-Druckern lassen sich heute nahezu beliebige Einzelteile aus Kunststoff kreieren.. Foto: Makerbot

Zum Beispiel?

Bonte: Wir wollen beispielsweise den „Maker Space“ weiter ausbauen. Derzeit können unsere Nutzer dort lernen, mit 3D-Druckern und Lasercuttern umzugehen. Und dort ihren Ideen physische Gestalt geben, zum Beispiel Prototypen ihrer Erfindungen im 3D-Drucker erzeugen. Gerade gehen wir den nächsten Schritt und bauen dort ein Fotostudio auf, um den Prototypen-Bau dokumentieren zu können. Wir möchten auch Anlagen erweitern, mit denen man die Inhalte von Schallplatten und Magnetkassetten digitalisieren kann. Und so kann ich mir gut vorstellen, auch andere, zunehmend bedeutsame nichttextuelle Wissensvermittlungsformen mit der Bibliothek zu verbinden. Da denke ich zum Beispiel an Videos wie die von Youtube-Edutainern, die in zehn Minuten durchaus seriös erklären, warum die Weimarer Republik gescheitert ist oder wie ein Auto funktioniert. Mal ehrlich: Wer liest heute noch Gebrauchsanweisungen? Da schau ich mir doch lieber ein Erklärvideo an.

  • * „Open Access“ bedeutet, digitale Publikationen ohne Bezahlschranken ins Internet zu stellen, das heißt in aller Regel: für den Leser kostenlos. Vor allem für junge Forscher sind der damit verbundene größere Leserkreis und die rasche Internet-Publikation wichtiger als die Einnahmen aus einer kommerziellen Buchpublikation.

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt