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Vietnamesen in Ostdeutschland: Superassimiliert und immer unter dem Radar

Bui Truong Binh (links) und Le Nho vom „Verein der Vietnamesen in Dresden“. Foto: Heiko Weckbrodt

Bui Truong Binh (links) und Le Nho vom „Verein der Vietnamesen in Dresden“. Foto: Heiko Weckbrodt

Einst kamen sie als DDR-Vertragsarbeiter, heute gelten die Vietnamesen als die wohl bildungshungrigste und anpassungswilligste Minderheit in Dresden

Dresden, 24. August 2017. Den Einen gelten sie als immer freundlich Duldende, den Anderen als erbarmungslos Kämpfende. Die Rede ist von einem kleinen, schier unbesiegbaren Volk, das normalerweise 11 000 Kilometer weit weg von Deutschland lebt: Den Vietnamesen, die man wegen ihrer Sekundärtugenden und ihres unbedingten Bildungshungers gelegentlich die „Preußen von Asien“ nennt. Ein Teil von ihnen ist vor über 40 Jahren auf Wunsch der DDR-Führung nach Ostdeutschland gekommen. Die rund 2300 Vietnamesen, die heute in Dresden leben, gelten als die wohl am besten assimilierteste, beliebteste und unauffälligste Einwanderer-Gruppe in der Stadt.

Vielen droht Altersarmut

Die Assimilation im Eiltempo ist freilich nicht ohne Folgen geblieben: Ältere wie Jüngere spüren eine wachsende Generationen-Kluft, sei es nun in Fragen der Religion, der Lebensentwürfe oder des Umgangs miteinander. Zudem droht den Einwanderern der „ersten Generation“, den DDR-Vertragsarbeitern, angesichts zerbröselnder Familienbande und berufsbiografischer Brüche eine neue Gefahr: Altersarmut. Denn nach der Wende waren sie vom Zusammenbruch der Kombinate und Jobverlusten noch stärker betroffen als die meisten Einheimischen. Viele machten sich selbstständig, hielten sich mit Imbiss-Ständen, Blumen- oder Obstläden jahrelang über Wasser. Nur wenige aber wurden dabei wirklich wohlhabend, die wenigsten konnten Altersgeld ansparen oder Rentenpunkte sammeln. „In 15, 20 Jahren kann das zu einem ernsten Problem werden“, prognostiziert Le Nho vom „Verein der Vietnamesen in Dresden“.

Auch der vietnamesische Veteranen-Verein hat im Keller an der Gutzkowstraße in Dresden sein Hauptquartier aufgeschlagen - und Plakate an die Wand gehängt, die vielleicht nicht so ganz den mitteleuropäischen Zeitgeschmack treffen würden. Foto: Heiko Weckbrodt

Auch der vietnamesische Veteranen-Verein hat im Keller an der Gutzkowstraße in Dresden sein Hauptquartier aufgeschlagen – und Plakate an die Wand gehängt, die vielleicht nicht so ganz den mitteleuropäischen Zeitgeschmack treffen würden. Foto: Heiko Weckbrodt

Unterirdischer Treffpunkt

Schon die Residenz dieses Vereins wirkt wie die Devise vieler Vietnamesen in Dresden: immer schön „unter dem Radar“ bleiben. Wer ins Vereinslokal will, muss durch einen Hintereingang in den Keller einer ehemaligen Schule an der Gutzkowstraße hinabsteigen. Auf dem kahlen Beton am Durchgang lächeln uns vietnamesische Soldaten und Matrosen mit Sturmgewehren in der Hand an – der Verein der vietnamesischen Veteranen in Dresden logiert gleich nebenan. Beim Verein der Vietnamesen geht es da schon ziviler zu, hier sinken Kinder statt Militärs von den Plakatwänden. Als wir uns zwischen allerlei Krimskrams, halbvollen Aschenbechern und Instrumenten zu orientieren suchen, drückt ein Mann eine Zigarette aus, ein anderer steht lächelnd auf, deutet eine Verbeugung an. Die beiden Vereinsvorsitzenden sind sichtlich schon etwas ältere Semester, geben dem Besucher ganz deutsch die Hand – und lächeln und lächeln und lächeln, wie es das Klischee verlangt.

„Wir bringen die Neugier mit“

Warum ihre Landsleute als so superassimiliert gelten? „Vietnamesen sind fleißig“, erklärt Le Nho ohne falsche Bescheidenheit. „Und wir bringen die Neugier mit, Deutsch zu lernen.“ Der 51-Jährige ist stellvertretender Vereinsvorsitzender und weiß, wie seine Landleute ticken. Er selbst kam 1985 in die damalige DDR, studierte an der TU Dresden Forstwirtschaft. Und als er nach der Wende vor die Alternative gestellt wurde, mit einer Abfindung nach Vietnam zurückzukehren oder in Deutschland zu bleiben, votierte er für das Land der Langnasen. „Viele, viele haben sich später für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden“, sagt er.

„Heutzutage leben kaum noch ,Illegale’ hier“

Insgesamt 2341 Menschen mit vietnamesischen Wurzeln lebten Ende 2016 in Dresden, davon haben 711 inzwischen einen deutschen Pass. Das geht aus kommunalen Statistiken hervor und die dürften ein recht zuverlässiges Bild zeichnen, meint der Vereins-Vorsitzende Bui Truong Binh: „Heutzutage leben kaum noch ,Illegale’ hier.“ Allerdings: Waren die Vietnamesen mit einem Bevölkerungsanteil von 0,35 Prozent zu DDR-Zeiten die größte Ausländergruppe hierzulande, haben diese Rolle inzwischen Russen, Polen, Ukrainer, Chinesen und Syrer übernommen.

Großer Bildungshunger

Eine Sonderrolle haben die Vietnamesen dennoch in der Stadtgesellschaft behalten. Besonders stark ist zum Beispiel der Bildungshunger der Vietnamesen. So gehen 57 Prozent der jungen Vietnamesen, die in Dresden aufwachsen, aufs Gymnasium. Zum Vergleich: Unter den deutschen Jugendlichen sind es nur 32 Prozent, unter allen Einwanderer-Kindern lediglich 26 Prozent. „In Vietnam ist das genauso“, erklärt Le Nho. „Die Eltern leben für die Kinder: Sie sollen es mal besser haben. Und deshalb wollen viele vietnamesische Eltern, dass ihre Kinder unbedingt das Gymnasium besuchen und später studieren.“

„Die sehen uns gar nicht mehr als Ausländer“

Und vielleicht gerade, weil Deutsche und Vietnamesen so viele Primär- und Sekundärtugenden teilen, werden die Vietnamesen in Dresden kaum noch als „Fremde“ wahrgenommen, selbst von vielen Pegidisten nicht. „Die sehen uns gar nicht mehr als Ausländer“, meint Le Nho. Dies war freilich nicht immer so: „Kurz nach der Wende gab es einen richtigen Hass auf alle Ausländer“, erzählt der studierte Forstwirt Le Nho, der heute eine Zeitarbeitsfirma leitet. „Ich erinnere mich noch genau, wie ich damals am Hauptbahnhof geschlagen wurde.“

Anpassen und nicht auffallen

Doch anders als andere Zuwanderergruppen reagierten die Vietnamesen auf diese Aggressionen, die 1992 in Rostock-Lichtenhagen kumulierten, nicht mit dem Aufbau von abgeschotteten Gegenkulturen – sondern mühten sich nur noch mehr, sich anzupassen. „Der Integrationswille ist besonders in der zweiten Generation sehr groß“, schätzt beispielsweise Thuy Thi Luong ein, die als 13-Jährige nach Deutschland kam und damit zu eben dieser „zweiten Generation“ nach den ersten DDR-Vertragsarbeitern gehört. „Vietnamesen versuchen, sich überall anzupassen und nicht aufzufallen.“ Aber vielleicht nehme eben dieser Versuch, unsichtbar zu bleiben, schon Züge der Selbstverleugnung an. „Manchmal frage ich mich schon, warum es die eigentlich so große vietnamesische Gemeinde in Dresden zum Beispiel nie geschafft hat, hier eine eigene Pagode zu bauen.“

Vietnamesische buddhistische Andachtsstätte „Giac Tue“ an der Großenhainer Straße in Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Vietnamesische buddhistische Andachtsstätte „Giac Tue“ an der Großenhainer Straße in Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Bedürfnis nach buddhistischer Religionsausübung macht sich breit

Und auch an diesem Punkt tun sich Klüfte innerhalb der vietnamesischen Exilgemeinde auf: „Wir gehören zu einer Generation, die marxistisch geprägt war und wenig Bezug zur Religion hat“, erklärt Le Nho. „Inzwischen leben hier aber viele Vietnamesen, die ein Bedürfnis nach buddhistischer Religionsausübung haben.“ Wohl auch deshalb entstand im Jahr 2011 in Dresden der Verein „Vietnamesisch Buddhistisches Kulturzentrum in Sachsen“, der 2013 in einem unscheinbaren DDR-Zweckbau an der Großenhainer Straße die buddhistische Andachtsstätte „Giac Tue“ einrichtete. Richtig voll ist sie zwar nur, wenn vietnamesische Star-Mönche in der Stadt zu Gast sind. Dennoch ist „Giac Tue“ wie ein Ankerpunkt für die Gemeinde geworden.

Wie im Heimatland ist das Verhältnis zwischen Atheisten und Buddhisten innerhalb der vietnamesischen Community in Dresden allerdings ein eher entspanntes: Selbst zu Zeiten Ho Chi Minhs war es völlig gängig, dass kommunistische Funktionäre daheim den Ahnen huldigten oder gelegentlich zur Pagode gingen.

Vergessen die Enkel ihre Wurzeln?

Viel mehr Gedanken machen sich die Älteren mittlerweile über den Lebenskurs der Nachgeborenen, von denen sich viele mehr als Deutsche denn als Vietnamesen fühlen: „Wir bemühen uns sehr darum, in unserem Verein auch die zweite und dritte Generation anzusprechen, zum Beispiel mit Tanz- und Singegruppen“, erzählt Bui Truong Binh, der mit seinen 62 Jahren bereits zackig auf die Rente zumarschiert. Aber auch die beiden Vereinschefs können sich des Gedankens nicht erwehren, dass Tanzen und Singen dafür allein nicht reichen wird: „Wir machen uns echte Sorgen, dass unsere Kinder und Enkel ihre Wurzeln vergessen.“

Autor: Heiko Weckbrodt

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Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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