Für Silicon Saxony steht das nicht oben auf der Wunschliste – doch die EU drängt wegen Lieferkettenkrise und technologischer Souveränität neuerdings darauf
Dresden, 29. Juni 2022. Angesichts der anhaltenden Störungen in den globalen Lieferketten bemüht sich die sächsische Halbleiterindustrie verstärkt um europäische Quellen für Chemikalien und andere Zulieferungen. Die Chip-Endmontage – also das andere Ende der Wertschöpfungskette – wieder nach Deutschland und Europa zurückzuholen, steht allerdings „nicht ganz oben auf der Liste“, betonte Yvonne Keil, die die Materialbeschaffung in der Dresdner Chipfabrik von „Globalfoundries“ leitet und zugleich Vorständin im sächsischen Branchenverband „Silicon Saxony“ (Silsax) tätig ist.
Vielzahl von Förderwünschen
Angesichts der Vielzahl von Förderwünschen im Hochtechnologie-Sektor müsse man Prioritäten setzen, argumentiert die Beschaffungsexpertin – nicht ganz uneigennützig, da auch ihr Arbeitgeber Globalfoundries um solche staatlichen Subventionen buhlt. Da andererseits die Chipendmontage („Backend“ beziehungsweise speziell auch das „Packaging“) sehr personallastig sei, werde es wohl eher schwer werden, diese einmal nach Asien abgewanderte Industrien wieder in die Hochlohnländer in Europa zurückzuholen.
Silsax sieht Chancen vorerst nur für Prototypen und Kleinserien
„Politisch ist das gewollt“, räumt Silsax-Geschäftsführer Frank Bösenberg ein. Gerade die EU dringt im neuen Chip-Gesetz darauf, auch wieder Chipendmontage-Fabriken in Europa zu etablieren. „Europa sollte seine eigenen Innovationskapazitäten in den Bereichen Entwurf, Fertigung und Packaging fortgeschrittener, energieeffizienter und sicherer Chips auf- und ausbauen und sie in gefertigte Produkte umwandeln“, heißt es unter anderem in der Zielliste der EU. Für die Kommission in Brüssel ist das eine Frage der technologischen Souveränität und der prestigeträchtigen europäischen Mikroelektronik-Aufholjagd. Für den Prototypen-Bau seien gewisse eigene Packaging-Kapazitäten sicher auch sinnvoll und machbar, findet Bösenberg. Für echte Massenproduktionslinien in diesem Segment der Halbleiterkette sieht er hierzulande aber kurzfristig kaum Chancen. Langfristig könne das allerdings schon anders aussehen.
Chipendmontage einst wegen Personalkosten gen Asien verlagert
Hintergrund: Seit Jahren erzeugen die Chipwerke ihre Schaltkreise durch Beschichtungen, Belichtungen, Ätz- und andere Prozessschritte auf Siliziumscheiben (Wafer) – meist jeweils mehrere Dutzend, Hundert oder Tausend pro Wafer. Diese Schritte bis zum fertig prozessierten Wafer nennt man in der Branche meist „Frontend“. Die Prozesse danach nennt man „Backend“: Die Wafer werden dann in einzelne Schaltkreise zersägt. Diese Siliziumplättchen (Chips) bekommen schließlich Kontakte zur Außenwelt und ein Schutzgehäuse („Packaging“). In den ersten Dekaden der Mikroelektronik realisierten viele Unternehmen all diese Schritte noch in jeweils einer Fabrik. Dies war auch in Sachsen zu DDR-Zeiten so. Um Kosten zu sparen, verlagerten aber westliche Halbleiterkonzerne nach und nach das Backend, das damals noch stark aus händischer Arbeit bestand, schrittweise nach Singapur, Malaysia und andere asiatische Staaten. Heute sind das zwar keine wirklichen Billiglohnländer mehr. Doch nun sind eben nun einmal fast alle Kapazitäten und Expertise dort konzentriert.
Strenge Trennung von Frontend und Backend verschwimmt immer mehr
Mehrere Entwicklungen haben nun die Diskussion neu entfacht, diese Verpackungs-, Kontaktierungs- und Testprozesse wieder in die klassischen Industrieländer zurückzuholen: Erstens wachsen Frontend und Backend wieder zusammen – unter anderem durch die Trends hin zu 3D-Chips und zu Chiplets, in denen ganz unterschiedliche Schaltkreise eng zusammenmontiert sind. Auch in Sachsen arbeiten Halbleiter-Forscher zum Beispiel vom Fraunhofer-Assid oder das „Enas“ an solchen Lösungen. Zweitens könnte der Trend hin zur Hyperautomatisierung auch das alte Personalkosten-Argument, das bisher aus Controller-Sicht gegen Backend-Fabriken in Europa oder Nordamerika sprach, obsolet machen.
Lieferkettenkrise hat Diskussion neu angefacht
Und den letzten Auslöser gab die aktuelle Lieferkettenkrise, die durch Corona, Handelskriege, bewaffnete Konflikte, Unfälle und andere Faktoren viele Industriezweige stark unter Druck setzt. Da liegt die Frage nahe: Warum muss eine in Europas Autofabriken dringend benötigte Lieferung mit endmontierten Chips wegen des 17. Lockdowns in einem chinesischen Hafen auf Wochen festhängen, wenn die Schaltkreis-Wafer selbst ohnehin in Europa produziert worden sind?
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Silsax, PK Silicon-Saxony-Day, Oiger-Archiv, EU-Kommission
Ihre Unterstützung für Oiger.de!
Ohne hinreichende Finanzierung ist unabhängiger Journalismus nach professionellen Maßstäben nicht dauerhaft möglich. Bitte unterstützen Sie daher unsere Arbeit! Wenn Sie helfen wollen, Oiger.de aufrecht zu erhalten, senden Sie Ihren Beitrag mit dem Betreff „freiwilliges Honorar“ via Paypal an:
Vielen Dank!
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.