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„Magic Machines“: Roboter-Punklady und Horoskope aus dem Nadeldrucker

Die Roboter-Punklady Hellga Tarr. Foto: Heiko Weckbrodt

Die Roboter-Punklady Hellga Tarr. Foto: Heiko Weckbrodt

Sonderschau in den Technischen Sammlungen Dresden untersucht die immer neu verschwimmende Grenze zwischen Technologie und Magie

Dresden, 29. Juni 2022. „Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden“, schrieb der Schriftsteller Arthur C. Clarke vor 60 Jahren – und prägte damit eines der einflussreichsten Bonmots im Science-Fiction-Genre. An dieser Idee hangelt sich auch die neue Sonderausstellung in den „Technischen Sammlungen Dresden“ (TSD) entlang: „Magic Machines“ nähert sich auf künstlerischem Wege der Frage, wo Technologie im Magie umschlägt und zeichnet nach, wie die Menschheit seit Äonen versucht, Magisches technologisch nachzubauen. Zu sehen und erleben sind hier punkrockende Roboter-Gitarristinnen, horoskopische Nadeldrucker, eine künstliche Todesklaue und ein Dutzend weitere zauberhafte Maschinen.

Magie endet, wenn der Zusammenhang erkannt ist

Einst habe er noch mit magischem Staunen die Sci-Fi-Fernsehserie vom Raumschiff Enterprise verfolgt, erzählt Kurator Andreas Ullrich vom Dresdner „Netzwerk Medien Kunst“: Generationen staunender Kindern sahen dort, wie Menschen mit Computern sprachen, wie sie mit kleinen Handgeräten mit jedem intelligenten Wesen wo auch immer palavern konnten, wie Türen wie von Geisterhand auf und zu gingen, wenn sich der Mensch als Herr und Meister näherte. Später kamen Handys, Siri und die Erkenntnis, dass in den allerersten „Enterprise“-Folgen unsichtbare Handlanger hinter den Kulissen standen, um die Türen vor Kirk, Picard & Co. manuell auf und zu zu schieben „Der magische Moment war vorbei“, so Ullrich. Doch dies sei gar nicht so schlimm, da doch stetig neue magische Momente in den Köpfen der Menschen entstehen. Die halten sich zwar stets nur solange, bis das Individuum die Zusammenhänge dahinter, die Funktionsweise für sich entschlüsselt hat. Dieser Prozess der Erkenntnis wiederholt sich immerfort – und doch empfinden selbst höchst rationale Menschen wie Ingenieure oder Physiker bestimmte Dinge immer wieder als „magisch“. „Der Punkt ist doch: Wie wollen uns verzaubern lassen“, erklärt sich der Kurator die diese uralte Sehnsucht nach Magie.

Dampfplauderer "Vrank". Foto: Heiko Weckbrodt

Dampfplauderer „Vrank“. Foto: Heiko Weckbrodt

Vrank – der „Schachtürke“ der Digitalära

Schon das Eingangsexponat führt uns vor Augen, wie eine Melange aus fortschrittlicher Technik und Täuschung zu „Magie“ gerinnen kann. Dort nämlich empfängt uns „Vrank“: ein optimierter Mensch, ein Roboterkopf oder wahlweise eine künstliche Intelligenz (KI). Er verwickelt den Besucher in philosophische Plaudereien, die man einer Maschine kaum zutrauen würde. Umrundet der Gast jedoch den Schädel, steht hinter einem Sichtschutz ein Mensch mit einer Datenbrille auf dem Kopf, der „Vrank“ gesteuert hat – und statt einer KI der tatsächliche Gesprächspartner war. Vrank erweist sich damit als ein „Schachtürke“ des Digitalzeitalters, angelehnt an den legendären schachspielenden Mechano-Automaten aus dem Jahr 1769, in dessen Innern sich damals ein Zwerg als „Mastermind“ versteckt hatte.

Von wegen magischer KI-Schädel: Kurator Andreas Ullrich hat im Hintergrund mit einer Datenbrille den plaudernden "Vrank" gesteuert. Foto: Heiko Weckbrodt

Von wegen magischer KI-Schädel: Kurator Andreas Ullrich hat im Hintergrund mit einer Datenbrille den plaudernden „Vrank“ gesteuert. Foto: Heiko Weckbrodt

„Was passiert, wenn der Golem erwacht?“

Dabei sind Geist, Bewusstsein und Intellekt als scheinbare unantastbare Königsdisziplinen des Menschen womöglich längst in die Reichweite von KIs und Maschinen gerückt. Erst kürzlich sorgte eine Story aus den USA weltweit für Schlagzeilen, laut der Google einen seiner leitenden Entwickler suspendierte, weil der steif und fest schwor, die Konzern-KI „Lambda“ habe Gefühle und ein eigenes Bewusstsein entwickelt. „Und wir verlieren Schach und Go gegen Maschinen“, sinniert der Kurator und fragt rhetorisch: „Was passiert, wenn der Golem erwacht? Werden wir obsolet? Ist der Mensch womöglich nur eine Zwischeninstanz der Evolution?“

Rabbi Löw (rechts) und sein Gehilfe erschaffen einen Golem, der die Juden und den kaiser versöhnen soll. Doch den künstlichen Menschen im Griff zu behalten, erweist sich als schwierig. Abb.: Ufa

Was passiert, wenn der Golem erwacht? Die Idee, künstliche Wesen zu erschaffen, bewegt die Menschen schon lange. Hier ein Szenenfoto aus dem deutschen Stummfilm: „Der Golem, wie er in die Welt kam“. Abb.: Ufa

Hellga Tarr rockt mit stählerner Hand

Auch musikalisch machen uns die Maschinen längst die Bühne streitig. Ein Beispiel dafür ist Hellga Tarr: Die stählerne Punk-Lady rockt auf ihrer Gitarre die Ausstellung – inzwischen gibt es schon eine ganze Roboterband, verrät Schöpfer Markus Kolb. Die anderen Bandmitglieder sind aber gerade in ganz Deutschland verstreut.

Video (hw): Hellga Tarr rockt:

Wobei Musik von Automaten auch nichts ganz Neues ist: Ein paar Schritte weiter klimpert eine 100 Jahre alte Anlage namens „The Happy Jazz-Band“. Die Stücke kommen von einer Art analoger Software: auswechselbaren Lochpapierstreifen von der Walze. Den betagten Musikautomaten hat das Museum selbst beigesteuert: „Wir haben dieses Instrument extra für die Ausstellung repariert und skelettiert, damit man auch sehen kann, wie die Maschine funktioniert“, erzählt TSD-Kustos Ralf Pulla. Künftig könne der reparierte Automat dauerhaft im Museum aufspielen.

Der Musikautomat „The Happy Jazz-Band“ entstand vor rund 100 Jahren und bediente die damals üblichen Klischees. Foto: Heiko Weckbrodt

Der Musikautomat „The Happy Jazz-Band“ entstand vor rund 100 Jahren und bediente die damals üblichen Klischees. Foto: Heiko Weckbrodt

Zwei Automaten-Ausstellungen gleichzeitig in der Stadt

Dieses schallende Exponat mag man als Kettenglied zu einer anderen Maschinenausstellung verstehen, die derzeit fünf Kilometer weiter stadtwärts im Lipsiusbau zu sehen ist: Diese Automatenschau der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) zeichnet den Weg von den feinmechanischen künstlichen Tieren der Renaissance-Höfe bis zu den Versuchen der Neuzeit nach, das Leben selbst nachzubauen, artifizielle Menschen zu erschaffen. Chronologisch endet diese Suche nach dem „Schlüssel zum Leben“ mit der künstlich erschaffenen Maria aus dem Film „Metropolis“ von Fritz Lang – also kurz vor der Erfindung der ersten elektronischen Computer, die bald darauf alles verändern sollten.

Steht archetypisch für die Menschmaschine: Die technologisch durch den demiurgischen Ingenieur nachgebaute "Maria". Hier ein Nachbau in der Dresdner Ausstellung "Der Schlüssel zum Leben". Foto: Heiko Weckbrodt

Steht archetypisch für die Menschmaschine: Die technologisch durch den demiurgischen Ingenieur nachgebaute „Maria“. Hier ein Nachbau in der Dresdner Ausstellung „Der Schlüssel zum Leben“. Foto: Heiko Weckbrodt

Und eben dort, wo diese Schau der mechanischen Automaten im Lipsiusbau aufhört, setzen die „Magic Maschines“ im Striesener Technikmuseum mit ihrer digitalen, stärker künstlerischen Perspektive den Gedankengang fort. Insofern mag es eine gute Idee sein, sich beide Ausstellungen hintereinander anzuschauen…

Über den europäischen Tellerrand hinausschauen

Übrigens: Wenn die magischen Maschinen Mitte September wieder die Technischen Sammlungen verlassen, um in ihre Heimatstädte und -länder zurückzukehren, wird auch dies nicht das Ende sein: Welche Exponate dies Sonderausstellung zweieinhalb Monate lang prägen, hatte nämlich nicht Andreas Ullrich per Kuratoren-Dekret festgelegt, sondern einem eigens dafür geschaffenen Wettbewerb um einen neuen „Magic Machines Award“ überlassen. Hunderte Künstler und Tüftler aus aller Welt reichten technologisch-magische Wunderwerke für diesen Kontest ein. Daraus hat dann eine Fachjury die 15 faszinierendsten Artefakte für die Exposition ausgewählt. Dabei waren die Juroren darauf bedacht, über den europäischen Tellerrand hinauszuschauen und zum Beispiel auch Arbeiten aus Afrika zu berücksichtigen.

„Magic Machines“-Preis künftig jedes Jahr

Und dabei soll es eben nicht bleiben: Der Kurator und seine Mitstreiter vom Dresdner „Netzwerk Medien Kunst“ wollen diesen Preis künftig regelmäßig ausschreiben. „Der Award ist jährlich ausgelegt“, betonte Ullrich. Und wer weiß: Vielleicht wächst daraus ja ein festes magisch-technologisches Festival im Herzen des „Silicon Saxony“?!

Darf's ein Fan mehr sein? Diese Maschine verspricht auf Münzeinwurf neue Interaktionen und "Follower" für den Instagram-Kanal des Besuchers. Foto: Heiko Weckbrodt

Darf’s ein Fan mehr sein? Diese Maschine verspricht auf Münzeinwurf neue Interaktionen und „Follower“ für den Instagram-Kanal des Besuchers. Foto: Heiko Weckbrodt

Kurzinfos:

  • Ausstellung: „Magic Machines“
  • Organisatoren: Netzwerk Medienkunst, Rosy DX, TSD
  • Geöffnet: 30. Juni bis 11. September 2022, jeweils Di. bis Fr. 9-17 Uhr sowie Sa. u. So. 10-18 Uhr
  • Wo? Technische Sammlungen Dresden, Junghansstraße 1
  • Eintrittspreise: Fünf Euro (ermäßigt: vier Euro, Kinder unter sieben Jahren frei)
  • Weitere Infos im Netz: tsd.de/de/mm/ausstellungen/magic-machines

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Vor-Ort-Besuch, Kurator, Oiger-Archiv, Wikipedia

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt