Dresdner Designingenieur Wolfram: Nach der Wende haben hier viele Betriebe die Produktform vernachlässigt, diesen Wettbewerbsnachteil machen sie nun wett
Dresden, 19. Mai 2022. Hier ein kleiner Extraschwung, da eine abgeschrägte Verkleidung oder ein schicker Farbstreifen – und schon wirkt die Nachttischlampe, die Uhr oder gar die Fräsmaschine gleich viel eleganter und erstrebenswerter. Man sieht es den Produkten menschlichen Tuns eben doch an, ob das Auge eines professionellen Designers darauf geruht hat, bevor sie die Werkhalle verlassen. Design als Verkaufsargument haben viele ostdeutsche Gründer nach der Wende allerdings lange unterschätzt, ist Sebastian Wolfram überzeugt: „Noch vor 15 Jahren war das Thema in der hiesigen Industrie kaum angekommen“, sagt der Chef der Dresdner Kreativschmiede „Wolfram Designer und Ingenieure“, die in der Vergangenheit viele prestigeträchtige Technologieprojekte mitgestaltet hat. „Die haben sich dann gewundert, warum die potenziellen Kunden trotz vergleichbarer technischer Werte bei der Konkurrenz gekauft haben. Inzwischen ist den Unternehmern auch hier klar geworden, wie man sich durch besonderes Design einen Wettbewerbsvorteil verschafft.“
Auch die DDR beherrschte zeitloses Industriedesign
Dabei hat Design im heutigen Ostdeutschland eigentlich eine lange Tradition: In Weimar stand die Wiege der „Bauhaus“-Bewegung, zu DDR-Zeiten formten fähige Designer in Sachsen, Thüringen und im heutigen Sachsen-Anhalt viele DDR-Exportschlager wie das Moped S51, Robotron-Schreibmaschinen oder die neueren Bohrmaschinen aus Sebnitz. Und in der Ära Honecker wuchs mit dem VEB Designprojekt in Dresden sogar so etwas wie eine mehr oder minder „freie“ Designagentur für die zentral gelenkte Industrie. Auch heute noch sind viele Kenner dieser untergegangenen Volkswirtschaft überzeugt: Neben vielen auch grottenhässlichen Produkten hat die DDR-Industrie auch viele Erzeugnisse mit einer ganz eigenen, teils faszinierenden und zeitlosen Formsprache hervorgebracht. „Das Bewusstsein, dass Design wichtig ist, war also seinerzeit schon gewachsen, wenn auch staatlich gelenkt“, meint Wolfram.
Beim Kampf ums unternehmerische Überleben fiel Design über die Kante
Mit dem Zusammenbruch der DDR-Industrie nach der Währungsunion verebbten diese Ansätze jedoch fast völlig. Was an Betrieben noch existierte oder gerade ausgegründet worden war, kämpfte ums Überleben. Da galt das Thema „Design“ als eher zweit- bis drittrangig. So entstand ein Rückstand und Wettbewerbsnachteil, den die ostdeutsche Industrie erst nach der Jahrtausendwende wieder nach und nach aufholen konnte. Dazu beigetragen mögen auch eine gewachsene Kapitaldecke der Nachwende-Gründungen sowie ein Generationenwechsel haben: Viele Gründer der Nachwendezeit sind inzwischen im Rentenalter und übergeben ihre Firmen nun den Söhnen oder Töchtern, die schon ganz anders sozialisiert wurden.
MZ-Kräder, Melkus-Sportwagen und Gartenroboter mitgestaltet
Sebastian Wolfram selbst hat die Umbrüche der Nachwendezeit als Azubi bei Jenoptik in Thüringen miterlebt. Er lernte dort zunächst den Beruf des Werkzeugmachers, fand das aber dann doch als „zu speziell“. Er studierte daher als nächstes Maschinenbau an der TU Dresden und spezialisierte sich dort auf technisches Design. „Mir haben unter anderem an MZ-Motorrädern mitgearbeitet“, erinnert er sich. Im Anschluss zog es ihn in den Westen nach Köln und in den Süden nach Österreich, wo er unter anderem Caravane und Wohnmobile zu gestalten half. Bei diesen und weiteren Projekten habe er auch das gelernt, was für die Unternehmen wichtig ist, nämlich ein Optimum aus Form, Funktionalität und Kosten zu finden.
Von der Uhr bis zur Automatenstraße
2005 ging Wolfram zurück nach Dresden und gründete im Folgejahr ein eigenes Designbüro. Wolfram und seine Mitstreiter sowie Mitstreiterinnen designten unter anderem den Dresdner Melkus-Sportwagen RS 2000 mit, ebenso die Edel-Karbonleuchten mit organischen Leuchtdioden, die Novaled Dresden zeitweise im Programm hatte, ebenso Zeitmesser aus der Uhrenmanufaktur von Rolf Lang aus Gottleuba – aber eben vor allem viele Industriemaschinen: Die Hightech-Müllaufbereiter der „Biofabrik“ zum Beispiel tragen die Handschrift von Wolfram, genauso die Laseranlagen von 3D-Micromac aus Chemnitz, die neuen Automatenproduktionsstraßen von Xenon Dresden, aber auch der Obstroboter „Cäsar“ der sorbischen Maschinenschmiede „Raussendorf“, Kosmetik-Laser von Asclepion Jena oder preisgekrönte Titan-Golfcaddys für Golfquant aus Hessen. Erst kürzlich entwickelte das Dresdner Studio gemeinsam mit Fraunhofer neuartige organische OP-Leuchten.
Ingenieurwissen und Design zusammenbringen
Als Alleinstellungsmerkmal seines Unternehmens sieht Wolfram bei solchen und anderen Projekten vor allem die Verknüpfung von Design mit und Ingenieurexpertise. Zu wissen, was technisch machbar und sinnvoll ist, Form und Funktion zusammen denken zu können, all dies gehöre zu den besonderen Tugenden seines Teams, das mittlerweile auf zehn Designer und Ingenieure gewachsen ist.
Was ist eigentlich „deutsches Design?“
Dabei sieht sich Wolfram vor allem auch in einer Tradition deutschen Designs, das eine einfache, klare und transparente Formsprache präferiert – nicht so emotional wie etwa die Entwürfe italienischer Designer, sondern eher sachlich und aus der Funktion heraus geboren. Anderseits ist es gerade für Designer wichtig, eigene Traditionen immer wieder zu hinterfragen und auch neueste technologische Entwicklung aufzugreifen. „Ein Trend geht hin zu mehr digitalen Inhalten“, erzählt der Ingenieurdesigner. „Immer mehr Produkte bekommen digitale Schnittstellen, beispielsweise mit Apps, um die User Experience, die Nutzererfahrung zu verbessern.“ Das wiederum fordere neue Ansätze für die Gestaltung digitaler Räume.
Nachhaltigkeits-Trend bestimmt zunehmend auch das Produktdesign mit
Auch der Trend hin zu nachhaltigeren Produkten berge neue Herausforderungen für den Designer: Wenn zum Beispiel Konsumgüter – wie schon zu DDR-Zeiten übrigens – wieder reparierfähig sein sollen, dann muss das schon beim Produktentwurf bedacht sein: schrauben statt kleben, Materialien, die länger halten oder eben eine Montagetechnologie, die eben auch eine nachträgliche Demontage für eine Reparatur möglich macht. Viele Aufträge gebe es inzwischen auch zum Thema „Kobotik“ beziehungsweise Mensch-Maschine-Interaktion, also für kollaborative Teams aus Mensch und Roboter in den Fabriken. „Unsere Auftragslage ist gut“, erzählt Wolfram. Und dies zeige wohl auch ein Stück weit, welchen Stellenwert Design in der ostdeutschen Industrie und darüber hinaus erlangt habe.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Interview Sebastian Wolfram, SAPMO, Oiger-Archiv, ddrformgestaltung.de
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