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Als Saurons Chef in Mittelerde wütete

Der Mensch Hurin und sein Bruder Huor reiten auf Adlern zur verborgenen Elben-Stadt Gondolin. Illustration aus: Tolkien: "Die Kinder Hurins", Klett Cotta

Der Mensch Hurin und sein Bruder Huor reiten auf Adlern zur verborgenen Elben-Stadt Gondolin. Illustration von Alan Lee aus: Tolkien: „Die Kinder Hurins“, Klett Cotta

Tolkien-Sohn Christopher setzt Sagen-Steinbruch zu „Die Kinder von Hurin“ zusammen

Christopher Tolkien, der Sohn des „Herr der Ringe“-Autors John Ronald Reuel Tolkien, hat im Buch „Die Kinder Hurins“ die Sagenentwürfe seines Vaters über die Frühzeit Mittelerdes neu zusammengestellt und zu einem Erzählkreis geformt.

Morgoth besiegt Elben und Menschen – und verflucht Hurins Sippe

Nach Tolkienscher Zeitrechnung ist das Buch im Ersten Zeitalter von Mittelerde angesiedelt, rund 7050 Jahre, bevor Hobbit-Held Frodo den Ring des dunklen Herrscher Sauron in die Lava des Schicksalsberges warf. Damals verschanzte sich Saurons Chef Morgoth in der Festung Angband und schickte seitdem seinen Nachbarn regelmäßig stinkende Heerscharen von Orks, Drachen und Balrogs vorbei. Mit einem vereinten Heer suchten Elben und Gutmenschen die Entscheidungsschlacht vor Morgoths Festung – und unterlagen. Als abschreckendes Beispiel verfluchte Morgoth den gefangenen Menschen Hurin: Alles, was dessen Sippe anfassen würde, solle sich zum Bösen wenden. Hurin aber muss auf Angbands höchstem Turm sitzen, unfähig zu sterben, und durch Morgoths Augen dem Niedergang seiner Familie zusehen…

Unfähig zu sterben, muss Menschenkönig Hurin zusehen, wie Morgoths Fluch seine Sippe zugrunde richtet. Illustration aus: Tolkien: "Die Kinder Hurins", Klett Cotta

Unfähig zu sterben, muss Menschenkönig Hurin zusehen, wie Morgoths Fluch seine Sippe zugrunde richtet. Illustration von Alan Lee aus: Tolkien: „Die Kinder Hurins“, Klett Cotta

Geschichte aus dem „Silmarillion“ wurde noch vom Senior ausformuliert

Dem eingefleischten Tolkien-Leser werden die Geschichten um Hurins Sohn Turin, der in seinem Stolz und Schicksal alles zerstört, was er liebt, bekannt vorkommen: Vieles war in anderen posthum veröffentlichten Tolkien-Entwürfen wie dem „Silmarillion“ bereits in Grundzügen nachzulesen. Tolkien junior hat jedoch nach jahrelanger Beschäftigung mit dem literarischen Erbe seines Vaters dessen zahllose Entwürfe um den Hurin-Komplex völlig neu zusammengestellt. Dabei fügte er insbesondere von Tolkien senior bereits weitgehend ausformulierte Fragmente aneinander. So schuf er – mit nur wenigen Einfügungen aus eigener Feder – einen „echten Tolkien“, der literarisch näher am „Herr der Ringe“ als am lapidaren „Silmarillion“ steht.

Tolkien hinterließ einen ganzen Sagen-Steinbruch

Dass immer mal wieder neue Geschichten aus Mittelerde erscheinen, hat einen systematischen Hintergrund: J. R. R. Tolkien galt zeitlebens als Perfektionist, der seit seiner Jugend eine ganze Gegenwelt ersann, mit eigenen Sprachen, einer eigenen Genesis und unzähligen Legenden, für die er aus dem nordisch-germanischen, dem finnischen und griechischen Sagenschatz schöpfte. Immer wieder schrieb er die Historie und Histörchen von Mittelerde um, bügelte innere Widersprüche aus, um schließlich wieder vorn vorne anzufangen, solange, bis auch der letzte Name, das letzte Wort passte.

„Herr der Ringe“ und „Hobbit“ beziehen sich auch auf Hurin-Sage

Dieses finale Stadium glaubte er letztlich nur in zwei Prosa-Stücken erreicht zu haben, die er zur Veröffentlichung freigab: „Der kleine Hobbit“ (den er nachträglich trotzdem noch einmal umschrieb) und „Der Herr der Ringe“. Und doch war die Arbeit an den anderen Geschichten nicht umsonst gewesen, sorgten doch gerade die zahlreichen Bezüge im „Herr der Ringe“ auf Mittelerdes ältere Legenden erst für die Tiefenwirkung der Roman-Trilogie.

„Fall von Gondolin“ und „Beren und Luthien“ schafften es leider nicht bis in die finale Phase

Nun, da Christopher Tolkien einen Großteil des väterlichen „Steinbruchs“ veröffentlicht hat, mag der „Ringe“-Fan umso mehr bedauern, dass der alte englische Philologe nicht mehr aus seiner erfundenen Sagenwelt zum selbstgesteckten literarischen Ziel getrieben hat. „Der Fall von Gondolin“ oder „Beren und Luthien“ zum Beispiel strahlen selbst als Fragmente eine starke poetische Schönheit aus.

Germanische, finnische, walisische und griechische Mythen verwoben

Eine wichtige Basis seiner literarischen Kreationen war Tolkiens intensives Studium von Sagen aus dem eigenen und aus fremden Kulturkreisen, die er meist in der Originalsprache las. In den Erzählungen und Gedichten über Mittelerde sichtbar sind beispielsweise die Einflüsse von „Beowulf“, der „Edda“, der „Gesta Danorum“, aber auch der finnischen „Kalevala“ und klassisch-griechischer Legenden (zum Beispiel „Ödipus“). Auch von daher ist die wissenschaftliche Beschäftigung mit Tolkien von Interesse. Denn der Autor teilte diese Leidenschaft mit Berufskollegen wie C. S. Lewis und anderen schriftstellernden Sprachwissenschaftlern, die über die Sagenwelt in Leseclubs diskutierten und die Anregungen später in Erzählungen und Romanen verarbeiteten.

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Kurzüberblick:

  • Autor: John Ronald Reuel Tolkien
  • Titel: „Die Kinder Hurins“
  • Übersetzung: Hans J. Schütz und Helmut W. Pesch
  • Verlag: Klett-Cotta
  • Erscheinungsjahr: 2007
  • Preis: 25 Euro
  • ISBN: 978-3-608-93603-2
  • Eine Leseprobe gibt es hier

Autor der Rezension: Heiko Weckbrodt

Hinweis: Diese Rezension stammt aus dem Jahr 2007 und wird nachträglich hier publiziert.

Zum Weiterlesen:

„Die Erfindung von Mittelerde“

Lego-Hobbits tricksen Sauron aus

 

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt