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Orbitaler „Icarus“ lauscht dem Internet der Tiere

Mit dem Beobachtungssystem Icarus können Wissenschaftler die Bewegungen von Tieren rund um den Globus verfolgen. Hier stattet Projektleiter Martin Wikelski einen Hellroten Ara mit einem nur wenige Gramm wiegenden Icarus-Sender aus. Foto: S. Izquierdo für das Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz

Mit dem Beobachtungssystem Icarus können Wissenschaftler die Bewegungen von Tieren rund um den Globus verfolgen. Hier stattet Projektleiter Martin Wikelski einen Hellroten Ara mit einem nur fünf Gramm wiegenden Icarus-Sender aus. Foto: S. Izquierdo für das Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz

Tierische Katastrophen-Frühwarnsysteme: Innovative Funktechnik aus Dresden vernetzt Amsel, Elefant & Co. rund um den Erdball.

Dresden/Radolfzell, 27. März 2020. Warum fliegen Amseln manchmal in den Süden und in anderen Jahren dann wieder nicht? Haben sie einen sechsten Sinn dafür, ob ein harter Winter naht? Können Schwärme wirklich Erdbeben und andere Katastrophen „vorausahnen“, wie oft behauptet? Vogelkundler vom Max-Planck-Instituts für Ornithologie aus Radolfzell, die Dresdner TU-Ausgründung „Inradios“ und weitere Forschungspartner wollen der Tierwelt diese Geheimnisse nun mit Hilfe des „Icarus“-Projektes abringen.

Tiere beobachten aus dem All: Die Antenne des Icarus-Systems wurde erfolgreich zur ISS transportiert. Visualisierung: DLR / MPG

Tiere beobachten aus dem All: Die Antenne des Icarus-Systems wurde erfolgreich zur ISS transportiert. Visualisierung: DLR / MPG

Icarus kämpfte zunächst mit Startschwierigkeiten

Dafür haben Wissenschaftler inzwischen Tausenden Vögeln und anderen Tieren winzige Funk-Rucksäcke aufgesetzt. Parallel dazu brachten Raumfahrer spezielle Antennen und einen Icarus-Rechner zur internationalen Raumstation ISS, um die Tiere zu orten. Das klappte zwar nicht auf Anhieb: Ursprünglich sollte die Rakete schon 2016 mit der Icarus-Technik in Baikonur abheben. Doch der Start verschob sich immer wieder. Und nachdem das System schließlich doch ins All gelangte, musste der Icarus-Computer zwischenzeitlich zur Erde zurückgebracht und noch mal repariert werden. Aber vor zwei Wochen schalteten die Kosmonauten schließlich den orbitalen Icarus scharf.

Die Inradios-Geschäftsführer Marco Krondorf (links) und Steffen Bittner. Foto: Heiko Weckbrodt

Die Inradios-Geschäftsführer Marco Krondorf (links) und Steffen Bittner. Foto: Heiko Weckbrodt

„Ein krasser Moment“

„Nachdem klar war, dass Icarus auf der ISS läuft, haben wir im Garten schnell ein Labor mit Antennen und Messgeräten aufgebaut“, erzählt Inradios-Mitgründer Marco Krondorf über jene Nacht vom 11. zum 12. März 2020. Gegen halb zwei zog dann die ISS über Dresden. „Es war ein krasser Moment für uns Ingenieure, als wir den ersten Pieps aus dem All auffingen. Immerhin haben wir sieben Jahre lang auf diesen Augenblick hingearbeitet.“

Die eigens für Icarus entwickelten Sender wiegen nur fünf Gramm. Sie messen die Position und verschiedene Körperdaten des Tieres und leiten die ihre Messdaten per Funk weiter. Foto: MPI f. Verhaltensbiologie / J. Stierle

Die eigens für Icarus entwickelten Sender wiegen nur fünf Gramm. Sie messen die Position und verschiedene Körperdaten des Tieres und leiten die ihre Messdaten per Funk weiter. Foto: MPI f. Verhaltensbiologie / J. Stierle

Inradios entwickelte Fünf-Gramm-Funkrucksack für Vögel

Denn die Überwachung und Vernetzung ganzer Schwärme per Satellitenfunk und GPS-Ortungstechnik zu einem „Internet der Tiere“ mag für den Menschen des Digitalzeitalters banal klingen. Tatsächlich aber waren im Vorfeld erhebliche Probleme zu lösen. Beispielsweise sind handelsübliche GPS-Geräte für Vögel viel zu schwer. Daher entwickelten die Dresdner mit ihren Partnern einen Mikro-Rucksack mit Funkmodul, Signalelektronik, Akku und Solarzelle zum Wiederaufladen. Dieses „Tag“ genannte Gerät wiegt lediglich fünf Gramm und darf nur ganz wenig Energie verbrauchen. Die meiste Zeit befindet es sich daher im Schlafmodus. Der „Tag“ wacht erst auf, wenn Icarus gerade im Orbit hinwegzieht und dem Tier befiehlt, seine Position zu melden.

Das Internet der Tiere: So funktioniert das Tierbeobachtungssystem Icarus. Grafik: MPI für Ornithologie

Das Internet der Tiere: So funktioniert das Tierbeobachtungssystem Icarus. Grafik: MPI für Ornithologie

1000 Mal schwächer als die natürliche Molekül-Strahlung

Auch muss die Elektronik mit extrem schwachen Signale klar kommen, weil die Amsel-Sender so winzig sind und die ISS rund 400 Kilometer weit weg ist. „Allein durch die thermische Bewegung der Moleküle um uns herum sind wir immer von einer natürlichen Radiostrahlung umgeben“, erklärt Krondorf. „Die Icarus-Signale sind dagegen noch 1000 Mal schwächer.“ Nur durch neuartige Funktechniken und ausgefuchste mathematische Modelle wurde es möglich, solch schwache Signale aus dem Hintergrund-Rauschen herauszufiltern.

Auch Elefanten in Südafrika stets im Blick

Inzwischen tragen bereits einige Tausend Tiere weltweit die winzigen Icarus-Rucksäcke: Amseln und Papageien zum Beispiel, aber auch Schildkröten oder Elefanten im Kruger-National-Park in Südafrika. „Das ist schon toll, wenn man vom Büro in Dresden aus sehen kann, wo gerade Antilopen irgendwo in Afrika umherlaufen.“ Die Bewegungsmuster vergesse er allerdings immer ganz schnell, erzählt der Ingenieur: „Ehrlich gesagt, habe ich in dem Moment meist mehr die Spannungskurven der Tags im Blick.“

Martin Wikelski leitet das Icarus-Projekt – ein weltraumgestütztes System zur Beobachtung von Tieren. Foto: MPI für Ornithologie

Martin Wikelski leitet das Icarus-Projekt – ein weltraumgestütztes System zur Beobachtung von Tieren. Foto: MPI für Ornithologie

Schwarm-Ahnungen könnten Hunderttausende retten

Für das tierische Umhergerenne und -geflatter rund um den Erdball interessieren sich ohnehin mehr die Ornithologen, Nationalparkwächter, Tierfreunde – oder auch Ärzte. Künftig möchten Seuchenexperten mit der Icarus-Technik beispielsweise Flughunde in Asien überwachen, um die Übertragungswege gefährlicher Viren zu erkennen. „Und zu guter Letzt werden wir in zehn Jahren wissen, welche Tierarten Naturkatastrophen vorhersagen können“, hofft Icarus-Missionschef Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Ornithologie. „Erste wissenschaftliche Daten von Erdbeben und Vulkanausbrüchen legen nahe, dass verschiedene Tiere solche Ereignisse Stunden vorher spüren. Wenn wir diese Fähigkeiten hieb- und stichfest belegen können, würde dies in Zukunft hunderttausenden Menschen das Leben retten.“

TU-Ausgründung von „Rohde & Schwarz“ übernommen

An Icarus beteiligt sind neben den Ornithologen aus Radolfzell und den Ingenieuren aus Dresden noch die russische Raumfahrtagentur Roskosmos, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), die TU Dresden, die Uni Konstanz, das Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz und viele andere Partner. Und die Dresdner haben dabei überregional für Furore gesorgt: Um sich die Satellitenfunk-Expertise der Sachsen zu sichern, hat der Münchner Messgeräte-Konzern „Rohde & Schwarz“ das Unternehmen gekauft –sieben Jahre nach der Ausgründung von „Inradios“ aus der TU Dresden. Mittlerweile umfasst das stetig wachsende Team 15 Spezialisten, die nun vor allem Hochfrequenz-Messgeräte für den Mobilfunk der 4. und 5. Generation (LTE und 5G) für die Bayern verfeinern.

1-Gramm-Funkgeräte für Schmetterlinge geplant

Doch das Icarus-Projekt wollen die Sachsen auch künftig unterstützen. Einerseits ist das Gesamtsystem noch nicht kalibriert, wohl erst im Herbst 2020 wird es voll verfügbar sein. „Die Planck-Forscher möchten noch leichtere Rucksäcke, die sie auch kleinen Zaunkönigen oder sogar Insekten aufsetzen können“, berichtet Marco Krondorf. „Da geht es um solche Fragen wie: Wie schaffen es bestimmte Falter, über die Alpen zu fliegen – und warum tun sie das überhaupt? Aber dafür müssen wir unsere Funk-Tags erst mal von fünf auf ein Gramm schrumpfen.“

Geier Johan im Anflug auf Johannesburg. Mit der Icarus-App "Animal Tracker" können auch Laien die überwachten Tiere aufspüren. Foto: Heiko Weckbrodt

Geier Johan im Anflug auf Johannesburg. Mit der Icarus-App „Animal Tracker“ können selbst Laien die überwachten Tiere aufspüren. Foto: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt