Kunst & Kultur, News, zAufi

Der Sandmann im Wettlauf der Systeme

Nun lass mal Dein Haar herunter, Rapunzel? Der Sandmann klettert auch gerne mal. Foto (freigestellt): Heiko Weckbrodt

Nun lass mal Dein Haar herunter, Rapunzel? Der Sandmann klettert auch gerne mal. Foto (freigestellt): Heiko Weckbrodt

Sonderschau in Dresden zeigt die sächsischen Wurzeln des Kinderhelden

Dresden, 28. November 2019. Er war Sachse und Preuße gleichermaßen, einer der wenigen dauererfolgreichen Exportschlager der DDR und ein ganz großer Abenteurer: Der kleine Schlingel ist zu Rapunzel in den Turm geklettert, hat das ostdeutsche Luftfahrtprogramm angekurbelt, ist mit seinem Zauberkoffer in den Palast von Scheherazade eingeschwebt und hat die erste Kinderferienstation im All besucht. Seit Neuestem wohnt er in einen Turm über den Wolken und schaltet gelegentlich die Sonne aus. Gerade feiert er seinen 60. Geburtstag – und sieht dennoch aus, als würde er mit jedem Jahr jünger statt älter. Die Rede ist vom Sandmann, der Generationen von Kindern in Ost und West allabendlich mit magischem Schlafsand ins Reich der Träume geschickt hat.

Kurator Volker Petzold beschäftigt sich bereits seit 25 Jahren mit dem Sandmann und dessen Geschichte, hat frühere macher befragt und Material zusammengetragen. Hier bereitet er eine Vitrine mit einer Szene vor, in der das Sandmännchen als Bobrodler einen Weihnachtsmarkt im Erzgebirge besucht. Foto: Heiko Weckbrodt Foto: Heiko Weckbrodt

Kurator Volker Petzold beschäftigt sich bereits seit 25 Jahren mit dem Sandmann und dessen Geschichte, hat frühere macher befragt und Material zusammengetragen. Hier bereitet er eine Vitrine mit einer Szene vor, in der das Sandmännchen als Bobrodler einen Weihnachtsmarkt im Erzgebirge besucht. Foto: Heiko Weckbrodt

Dutzende originale Puppen und Fahrzeuge

Das „Deutsche Institut für Animationsfilm“ (Diaf) widmet dem kleinen Kerl mit Spitzbart und Zipfelmütze nun eine Sonderausstellung mit Dutzenden Originalpuppen, Sandmännchen-Fahrzeugen, Schautafeln, Filmausschnitten und einer Märchenwald-Höhle. Geöffnet ist diese Schau unter dem Titel „Der Sandmann und Sachsen – 60 Jahre Fernsehstar“ ab heute in den Technischen Sammlungen Dresden. Wer mit dem Sandmännchen aufgewachsen ist, sollte sie sich unbedingt vormerken. „Wir wollen hier die vielen Bezüge zeigen, die der Sandmann zu Sachsen hat“, erklärte Ausstellungs-Kurator Volker Petzold. „Und das gilt sowohl für das Ost-Sandmännchen wie für das West-Sandmännchen.“

Der 1. Ost-Sandmann von 1959. Repro: Heiko Weckbrodt

Der 1. Ost-Sandmann von 1959. Repro: Heiko Weckbrodt

West-Sandmann blieb wenig erfolgreich

Denn viele Macher der Sandmännchen-Geschichten kamen aus Dresden und dem Umland. Gerhard Behrendt beispielsweise gehörte zu den Gründern des Dresdner Trickfilmstudios und schuf später in Ost-Berlin die ersten Sandmännchen-Folgen. Der Puppenspieler Wolfgang Hensel aus Pirna und der Dresdner Trickfilmer Herbert Schulz kreierten – letztlich allerdings eher mäßig erfolgreiche – West-Sandmänner. „Das war damals ein Wettlauf zwischen Ost und West, wer den ersten Sandmann hat“, berichtet der wissenschaftlich-künstlerische Diaf-Leiter Till Grahl. „Der Wettbewerb der Systeme fand damals nicht nur im Weltall, sondern auch im Fernsehen statt.“ Letztlich gewann Behrendts Sandmann das Rennen: Er flimmerte das erste Mal am 22. November 1959 über die ostdeutschen Bildschirme, neun Tage vor dem Pendant aus Westberlin, hinter dem ebenfalls auch sächsische Kreative standen.

Die Westsandmänner kamen nur mäßig an. Foto: Heiko Weckbrodt

Die Westsandmänner kamen nur mäßig an. Foto: Heiko Weckbrodt

Dresdner Trickfilmer steuerten Silberhummel von Jan und Tini mit Animatronik

Zudem hat das Dresdner Defa-Trickfilmstudio viele der in die Sandmännchen-Reisen eingebetteten „Abendgruß“-Kurzfilme produziert. In Dresden gedreht wurden beispielsweise die Abenteuer von Jan und Tini in ihrem Silberhummel-Auto. „Das war damals eine sehr interessante und moderne Kombination von Techniken“, erzählt Till Grahl: „Neben Stoptrick und Stabpuppen setzten die Macher auch Animatronik ein, um die Beiden in ihrer Silberhummel fernzusteuern.“ Der Freiberger Künstler Heinz Fülfe wiederum zeichnete beim Abendgruß als „Taddeuz Punkt“ für die Kinder und lieh Frau Elster seine Stimme. Außerdem besuchte der Sandmann auf seinen abendlichen Reisen oft die Sächsische Schweiz, die Leipziger Messe und andere sächsische Schauplätze.

Ernst Köhler (rechts) war "Der Sandmann" im Vogtland. Repro: Heiko Weckbrodt

Ernst Köhler (rechts) war „Der Sandmann“ im Vogtland. Repro: Heiko Weckbrodt

Der Sandmann in alten Legenden und Märchen

Die Sonderausstellung beleuchtet aber auch die ursprünglichen, eher skurril bis schauderhaften Wurzeln des Sandmanns in Ammengeschichten, in skandinavischen und deutschen Kunstmärchen und in sächsischen Legenden. Besonders berührend ist die Geschichte um Ernst Köhler aus Asch, genannt „Der Sandmann“: Völlig verarmt und immer wieder gedemütigt, zogen er und seine Familie einen Karren voll Sand durchs Vogtland – in der Hoffnung, dafür ein paar Pfennig zu bekommen. „Aus Gram und Verzweiflung über sein Leben und sein Schicksal“, so haben es die Ausstellungsmacher recherchiert, „erhängte sich der nicht einmal Dreißigjährige am 19. Juni 1922. Noch heute ziert die Landwüster Flur an dieser Stelle das ,Sandmanngrab’“.

Fuchs, Elster, Pittiplatsch in der Märchenwald-Höhle. Foto: Heiko Weckbrodt

Fuchs, Elster, Pittiplatsch in der Märchenwald-Höhle. Foto: Heiko Weckbrodt

Kurzüberblick:

  • Ausstellungstitel: „Der Sandmann und Sachsen – 60 Jahre Fernsehstar“
  • Ort: Technische Sammlungen Dresden, Junghansstraße 1
  • Öffnungszeiten: 29. November 2019 bis 29. März 2020, jeweils Di–Fr 9–17 Uhr, Sa, So, Feiertag 10–18 Uhr
  • Eintritt: 5 Euro / 4 Euro (ermäßigt) / Kinder unter 7 Jahren frei / freitags ab 12 Uhr freier Eintritt

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Vor-Ort-Recherche, Diaf, TSD, Interviews mit Till Grahl und Volker Petzold

Der Sandmann mit einer Hartzbahnlok - und der für Sandmännchen-Fahrzeuge typischen Kennung PU für "Puppenstudio". Foto: Heiko Weckbrodt

Der Sandmann mit einer Hartzbahnlok – und der für Sandmännchen-Fahrzeuge typischen Kennung PU für „Puppenstudio“. Foto (freigestellt): Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt