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Medizin und Speise aus der Algenfabrik

Die Dresdner Firma MINT entwickelt Bioreaktoren, in denen Algen besonders umweltverträglich Wirkstoffe für die Pharma- und Lebensmittelindustrie herstellen können. Das Unternehmen testet die Reaktoren und deren Hightech-Messtechnik gemeinsam mit dem Institut für Naturstofftechnik der TU Dresden. Foto: Felix Krujatz für die TU Dresden

Die Dresdner Firma MINT entwickelt Bioreaktoren, in denen Algen besonders umweltverträglich Wirkstoffe für die Pharma- und Lebensmittelindustrie herstellen können. Das Unternehmen testet die Reaktoren und deren Hightech-Messtechnik gemeinsam mit dem Institut für Naturstofftechnik der TU Dresden. Foto: Felix Krujatz für die TU Dresden

Künstliche Schnüffelnasen aus Dresden sollen die organische Produktion in den Städten ankurbeln.

Dresden, 20. August 2019. Um die Natur besser vor dem zerstörerischen Hunger der Menschheit zu schützen, forschen Ingenieure weltweit an alternativen Quellen für Speisen und Wirkstoffe. Ein Ansatz dafür sind Bioreaktoren voll hochspezialisierter Kleinstorganismen. Zu kompakten Containerfabriken in Gewerbegebieten übereinandergestapelt, könnten solche Reaktoren Algen für Vegetarier-Shakes, Tierfutter, Zutaten für Medikamente und Kosmetika massenhaft dort erzeugen, wo sie auch verbraucht werden: in den Städten. Letztlich sollen solche Biofabriken dazu beitragen, dass die Pharmaindustrie weniger Erdöl für synthetische Wirkstoffe verbraucht und Bauern weniger Wälder für neue Weiden und Felder roden.

Leben lässt sich bisher schwer bändigen

Eine Massenproduktion auf dieser Basis scheiterte bisher aber oft daran, dass Algen, Bakterien und andere produzierende Organismen schwer beherrschbar sind. „So ist das nun mal mit der Natur und dem Leben: Biologische Prozesse sind unberechenbarer als chemische Reaktionen“, erklärt Ingenieurin Sylvia Franke-Jordan vom „Zentrum für Produktionstechnik und Organisation“ (CIMTT) der TU Dresden, die beim Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis hilft. „Man setzt immer wieder das gleiche Rezept ein und doch tauchen unvorhersehbare Effekte auf. Unter Umständen kommt jedes Mal eine andere Wirkstoff-Mischung heraus.“ Ein breiter Durchbruch für diese biotechnologische Produktion sei erst zu erwarten, wenn sich die Hersteller sicher sein können, dass Bioreaktoren ihre Wirkstoffe in gleichbleibend hoher Qualität und Ausbeute erzeugen.

Projekt „Mopro-Alge“ zielt auf stabile Ausbeute und mehr Qualität in der Algenproduktion

Wissenschaftler aus Dresden glauben aber, diese Herausforderungen nun in den Griff zu bekommen: Gemeinsam mit Umweltforschern aus Leipzig sowie Unternehmen aus Dresden und Frankenberg entwickeln sie im Projekt „Mopro-Alge“ künstliche „Augen“ beziehungsweise „Schnüffelnasen“, die Blaualgen bei der Bio-Produktion in Reaktoren überwachen. Bei diesen Prozessen entstehen Biomasse sowie rote und blaue Farbstoffe. Und daraus lassen sich wiederum Vitamine, Protein-Drinks, Hautschutzmittel, antibakterielle Kosmetika und Anti-Schuppenflechte-Präparate gewinnen. Die in Dresden entwickelten Sensorsysteme „schnüffeln“ dabei ununterbrochen in diese Algen-Bakterien-Suppe hinein und schlagen Alarm, wenn ihnen die Ergebnisse „stinken“. „Wir rechnen mit erheblichen Effektivitätssprüngen durch diese Technologie“, betont Franke-Jordan.

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Die Arbeit haben sich die „Mopro-Alge“-Partner aufgeteilt: Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) setzt seine Erfahrungen in der „Elektrospray-Ionisation“ (ESI) ein. Dadurch wird es möglich, noch während der Wirkstoff-Produktion probeweise Atome und Moleküle aus der Algensuppe zu Ionen aufzuladen, ohne die Organismen dabei zu töten.

Militär setzt Ionenmobilitäts-Spektrometer gern für Chemiewaffen-Suche ein

Das private Analytik-Institut Ifu aus dem sächsischen Frankenberg steuert „Ionenmobilitäts-Spektrometer“ (IMS) bei. Solche Hightech-Analysatoren werden bisher eher vom Militär eingesetzt, um chemische Kampfstoffe zu finden. Im Bioreaktor können diese IMS-Geräte aus dem „Flugverhalten“ der geladenen Teilchen ablesen, ob sich die Blaualgen beziehungsweise Cyanobakterien wohlfühlen und ihre Produktionspläne erfüllen. Sensoren analysieren auch den Sauerstoff-Gehalt und die Lichtfarbe im Reaktor. „Das ist wichtig, denn Algen können auch einen Sonnenbrand bekommen“, erklärt Franke-Jordan.

Die "Agrar Energie Obernhausen" in Niedersachsen ist ein Modell-Projekt in Zusammenarbeit mit Georg Fischer, LGEM B.V. und der TH Wildau. Die Algen einer PBR-Anlage werden über die Einspeisung von CO2 aus dem Blockheizkraftwerk der angebundenen Biogasanlage versorgt. Foto: Mint Engineering

Die „Agrar Energie Obernhausen“ in Niedersachsen ist ein Modell-Projekt in Zusammenarbeit mit Georg Fischer, LGEM B.V. und der TH Wildau. Die Algen einer PBR-Anlage werden über die Einspeisung von CO2 aus dem Blockheizkraftwerk der angebundenen Biogasanlage versorgt. Foto: Mint Engineering

Geruchs-Bibliothek für die Schnüffler

Außerdem müssen die Spektrometer lernen, die erschnüffelten Moleküle in der Biosuppe zu erkennen. Und dafür hat das TU-Institut für Naturstofftechnik eine Art „Bibliothek der Gerüche“ aufgebaut, mit der sich das System schulen lässt. Mit den angelernten Schnüffel-Systeme will dann der Dresdner Anlagenbauer „Mint“ seine Bioreaktoren ausstatten. Die Mint-Tochter Inalgo übernimmt schließlich die Algenproduktion. Finanzielle Unterstützung erhalten die Projektpartner von der Sächsischen Aufbaubank (SAB).

Gunnar Mühlstädt. Foto: Heiko Weckbrodt

Gunnar Mühlstädt ist Gründer und Chef von Mint Engineering Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Vor allem in Pharmaindustrie will höchste Qualität von den Algenarbeitern

„Durch diese Technik bekommt der Anlagenbetreiber die Chance, während des Prozesses optimierend einzugreifen, wenn etwas nicht so läuft wie es soll“, schätzt Mint-Chef Gunnar Mühlstädt ein. „Wir erhoffen uns eine bessere Ausbeute und Produktqualität von diesen Systemen. Besonders wichtig ist dieser Qualitätsanspruch für Kunden aus der Pharma-Industrie.“ Spätestens Ende 2021 sollen die ersten Komplettsysteme betriebsbereit sein.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: CIMTT, Mint, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt