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Mathe-Ass aus Dresden will US-Holzhäuser vor Hurrikanen retten

Prof. Stefan Siegmund testet im Windkanal der TU Dresden seine Hurrikan-Schutzplanen am Hausmodell. Foto: heiko Weckbrodt

Prof. Stefan Siegmund testet im Windkanal der TU Dresden seine Hurrikan-Schutzplanen am Hausmodell. Foto: Heiko Weckbrodt

Prof. Siegmund gründet Firma für Sturm-Schutzplanen aus TU Dresden aus

Dresden, 22. August 2018. Ein Dresdner Mathe-Professor hat Anti-Sturmnetze erfunden, die Hurrikans daran hindern können, die Dächer nordamerikanischer Holzhäuser abzureißen. Nachdem sich die biegsamen Druckanker im Windkanal der TU Dresden und in der stürmischen US-Praxis bewährt haben, gründet Prof. Stefan Siegmund nun eine Firma, die seine Erfindung verkaufen soll. „Wenn ich jemand gefunden hätte, der das übernimmt, hätte ich ihm das alles überlassen“, sagt der Forscher, der sich lieber weiter auf seine Mathematik konzentrieren würde. Das sei nicht gelungen. Damit seine zehnjährigen Forschungen an dem innovativen Hurrikan-Schutzsystem nicht für die Katz waren, setzt er nun eben auf eine Uni-Ausgründung.

Immer wieder Milliardenschäden an Holzsiedlungen in Nordamerika

Denn der Bedarf und Leidensdruck sind in Übersee groß, meint Prof. Siegmund: Jahr für Jahr verwüsten Hurrikane mit Windgeschwindigkeiten zwischen 150 und 300 Kilometern pro Stunde nordamerikanische Siedlungen, decken die Häuser ab und richten oft Totalschäden an. „Allein im vergangenen Jahr lag der Sachschaden der atlantischen Hurrikan-Saison bei rund 250 Milliarden US-Dollar und mehr“, hieß es von der TU Dresden. „Tausende wurden obdachlos.“

Billige Holz-Bauweise setzte sich in (einst) waldreichen Gegenden Nordamerikas durch

Man müsse bedenken, dass es in den USA und in Kanada viele Wälder gebe, sich daher – anders als im steinernen Europa – die Holzbauweise vielerorts durchgesetzt habe, erklärte Siegmund. Diese Holzhäuser kosten zudem „nur“ 30. 000 bis 150­.000 Dollar, sind also auch für nicht allzu betuchte Amerikaner erschwinglich. Allerdings sind die Dächer dieser Häuser nur lavede mit dem Baukörper verbunden. Wenn ein Hurrikan darüber fegt, saugt der Unterdruck im Auge des Sturms das Dach einfach weg.

Bahnen drücken Dach dynamisch ans Haus

Um das zu verhindern, hat der Dresdner Mathematiker lange gerechnet und dann eine Lösung gefunden, die das Dach hält, ohne dass es bricht: Bis zu 3,60 Meter lange Kunststoff-Netzbahnen schnallen dabei die Hausdächer flexibel an den Erdboden. Je stärker der Wind bläst, um so mehr presst er die Bahnen an Dach und Wände. So verteilen sich die stürmischen Kräfte gleichmäßig und das Dach wird weder abgerissen noch zerfetzt.

Erklärvideo (Siegmund):

Die speziell beschichteten Bahnen besorgen sich die TU-Wissenschaftler bei der englischen Firma „Low & Bonar“. Die Sächsische Hebe- und Zurrtechnik GmbH aus Großröhrsdorf näht die Bahnen und das Riemenwerk zusammen und verstärkt das System. „Wir produzieren also in der Nähe von Dresden“, betont Prof. Siegmund den regionalen Bezug. Mit sächsischen Textilexperten will das Team nun zudem verbesserte Folien entwickeln, die sich mit ihren Netzöffnungen an verschiedene Windgeschwindigkeiten anpassen können.

Die DDR baute im Zeitalter der Düsenjäger-Begeisterung und der beginnenden Raumfahrt eine eigene Flugzeug-Industrie in Dresden auf - der Optimismus jener Zeit zeigt sich auch in der Wandzier im Windkanal-Foyer der TU Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Die DDR baute im Zeitalter der Düsenjäger-Begeisterung und der beginnenden Raumfahrt eine eigene Flugzeug-Industrie in Dresden auf – der Optimismus jener Zeit zeigt sich auch in der Wandzier im Windkanal-Foyer der TU Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Über den Windkanal der TU Dresden

Um von der mathematischen Theorie zum praxistauglichen System zu kommen, erproben Prof. Siegmund und seine Kollegen ihr Hurrikan-Schutz immer wieder im Windkanal der TU Dresden an der Marschnerstraße. Der wurde ursprünglich gebaut, um die DDR-Flugzeugindustrie zu unterstützen. Als die mit dem ostdeutschen Düsenflugzeug 152 abstürzte, konzentrierten sich die TU-Windkanalexperten auf andere Aufgaben: Geräte- und Anzugdesign für Spitzensportler vor allem, aber auch Aerodynamik-Tests für Autos wie den universitären Rennwagen, für Züge oder Flugzeuge wie den Militär-Airbus A 400 M.

Die Düse am Windkanal der TU Dresden kann auf zwei bis drei Meter eingestellt werden. Foto. Heiko Weckbrodt

Die Düse am Windkanal der TU Dresden kann auf zwei bis drei Meter eingestellt werden. Foto. Heiko Weckbrodt

Aerodynamiker retten Weihnachten

„Seit den 1970er Jahren beschäftigen wir uns auch um Umwelt- und Gebäude-Aerodynamik“, berichtet Windkanal-Chef Dr. Veit Hildebrand. „Dabei arbeiten wir meist mit Haus-Modellen im Maßstab 1 zu 200 oder 1 zu 500.“ So haben die Dresdner beispielsweise vor dem Umbau des Reichstages die Druckverhältnisse an dessen neuer Kuppel in ihrem Windkanal vermessen, auch dessen Küchenausdünstungen (das Parlament soll schließlich nicht stinken), ebenso die Entrauchungs-Vorrichtungen für den Stadtschloss-Neubau in Berlin oder die Verstaubung der Lausitz durch den Braunkohle-Tagebau. Selbst Weihnachten mussten Hildebrand und sein Team einmal retten: „Der große Weihnachtsstern, der im Dezember über der Alaunstraße hängt, gab einem Verantwortlichen solchen Anlass zur Sorge, dass er kurz nach der Montage anordnete, den Stern wieder abzuhängen“, erzählt der Windkanal-Chef. Die Herrnhuter Hersteller haben deshalb ein Windgutachten bei uns erbeten.“ Erst, nachdem sich der riesige Stern im Uni-Windkanal als robust genug bewiesen hatte, durfte er wieder hängen.

Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt