Metamorphosen eines Maschinenbau-Unternehmen: Pactec-Thegarten hat sich auf altem Nagema-Areal in Dresden runderneuert
Dresden, 12. September 2016. An den Wänden wechseln sich künstlerische Lichtbilder und Maschinenfotos ab. Im lichtdurchfluteten Foyer hat jemand einer riesigen Walnuss den Reißverschluss halb aufgezogen – das Unternehmenslogo in 3D als Plastik. Wo vor der Wende Blaumänner zwischen Bergen heißer Stahlspäne umher wuselten, die Werkhallen-Luft stets nach Bohrmilch roch, erahnt man heute kaum noch den Duft heißen Stahls aus den Bearbeitungszentren, sieht alles so picobello aus wie in einem Steuerberatungsbüro.
Neubau und Umzug im laufenden Betrieb
Keine Frage: Das ehemalige Nagema-Kombinatsgelände an der Breitscheidstraße in Dresden-Reick hat in den vergangenen zwölf Monaten eine tiefe Metamorphose durchgemacht. Der Nagema-Nachfolger „Theegarten Pactec“ hat im laufenden Betrieb einen neuen Firmensitz auf dem traditionsreichen Areal errichtet. Während die Monteure in der einen Halle noch Verpackungs-Maschinen zusammenfügten, zogen die Bauarbeiter parallel dazu nebenan neue Montage-Hallen hoch. So wie die einen fertig wurden, zogen die anderen um.
35 Millionen werden investiert
Ein Großteil der 35-Millionen-Euro-Investition in eine – de facto völlig neue – Stammfabrik ist inzwischen vollbracht. Im Zentrum standen beim Neubau nicht nur Erweiterungen, sondern auch produktivitätssteigernde Technologien. So nimmt das Unternehmen in einer der neuen Hallen derzeit ein hochmodernes Roboter-Teilelager in Betrieb, das aussieht wie aus einem Science-Fiction-Film gebeamt. „Der dritte und letzte Bauabschnitt wird demnächst noch eine Lücke schließen“, sagt Egbert Röhm, der Theegarten-Pactec gemeinsam mit Markus Rustler leitet. „2017 wollen wir mit allem fertig sein.“
Abwanderung drohte
Dass dieses Geld am angestammten Standort in Dresden floss, die Jobs hier erhalten blieben, klingt selbstverständlich, ist es aber nicht: Zeitweise liebäugelten die Pactecer wegen allerlei Grundstücks- und Genehmigungs-Hickhack damit, ihre Neu- und Ausbaupläne in Bannewitz statt Dresden zu realisieren. Letztlich bauten sie dann doch hier. Bereut haben sie diese Entscheidung nicht: In Vergangenheit wie Gegenwart hat sich der Standort Dresden nämlich immer wieder als wichtiger Schlüssel zum Unternehmenserfolg erwiesen.
Top-Ingenieurs-Ausbildung in Sachsen
„Die hochwertige sächsische Ingenieurs-Ausbildung schon zu DDR-Zeiten hat dafür gesorgt, dass wir bis heute Technologien für unsere Maschinen verwenden, die – natürlich von uns inzwischen weiterentwickelt – im Grundsatz bereits zu Zeiten des Nagema-Kombinats entstanden sind“, sagt Röhm. „Und die Nähe zu den Top-Unis Dresden und Chemnitz hilft uns auch heute, vorn zu bleiben.“
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Qualität „Made in Saxony“
Denn Theegarten-Pactec braucht exzellente Ingenieure, Konstrukteure, Elektroniker, Programmierer und andere Experten, um sich in einem technologisch anspruchsvollen Segment zu behaupten. Die Dresdner sind unter anderem spezialisiert auf Schnelllauf-Maschinen, die Schokoriegel, Pralinen, Bonbons und andere kleinteilige Süßigkeiten extrem rasch verpacken können. Die flottesten Maschinen umwickeln gut und gern 3500 Stück pro Minute. „In diesem Bereich sind wir Marktführer“, sagt Röhm. Die Anlagen aus Dresden sind zwar nicht billig, gelten aber in ihrer anspruchsvollen Mechanik, Software und ihren Steuerungssystemen als besonders zuverlässig – Qualität „Made in Saxony“ eben. „Unsere Kunden sind Branchengrößen wie Ferrero, Storck. Nestlé oder Unilever, unsere Konkurrenten keine kleinen Krauter, sondern Schwergewichte wie Bosch.“
Brühwürfel für Afrika
Dass dies mehr als bloße Prahlerei ist, zeigen Augenschein wie Exportquote: 90 Prozent des Umsatzes realisiert Theegarten-Pactec im Ausland. Und wie sehr das Unternehmen von internationalen Verbindungen und Partnern lebt, offenbart sich an jeder Ecke. Im einem Beratungsraum in der neuen Montagehalle zum Beispiel sitzt gerade eine Gruppe Schwarzafrikaner mit Dresdner Technikern an einem Tisch. „Das sind Kunden aus dem Senegal“, erklärt Röhm. „Wir schulen sie an den Brühwürfel-Verpackungsmaschinen, die sie bei uns bestellt haben. Bis November sollen wir 16 Stück nach Afrika geliefert haben.“
Autor: Heiko Weckbrodt
Zahlen und Fakten:
Name: Theegarten-Pactec
Sitz: Dresden-Reick
Geschäftsfelder: Verpackungsmaschinen für Süßwaren u. a. Lebensmittel
Belegschaft: 370 Festangestellte (darunter 25 Azubis) plus 25 Zeitarbeiter
Umsatz: 60 Millionen Euro (2015)
Mehr Infos im Netz: theegarten-pactec.de
Aus der Geschichte:
19. Jahrhundert: Dresden steigt zu einem der größten Standorte der Schokoladen- und Süßwaren-Industrie auf. Im Gefolge etablieren sich Verpackungsmaschinen-Hersteller wie die „Spezialmaschinen- und Wachspapierfabrik Otto Hänsel“, die „Spezialmaschinenfabrik Max Loesch“ und die „Maschinenfabrik Richard Gäbel“
1934: Justus Theegarten gründet Lizenzmaschinenfabrik Rose-Theegarten in Köln
1947: Aus der Gäbel-Fabrik wird der VEB Nagema Spezialmaschinen Dresden
1950: Dresdner Verpackungsmaschinen-Firmen werden zum VEB Schokopack fusioniert
1957 bis 1963: Schokopack-Hochhaus entsteht an der Breitscheidstraße
1972: VEB Verpackungsmaschinenbau Dresden wird Stammbetrieb des Kombinats Nagema.
1989: VEB Verpackungsmaschinenbau Dresden hatte zuletzt rund 3000 Mitarbeiter, das Kombinat Nagema rund 21.000 Beschäftigte
1991: Aus Nagema Dresden wird Pactec
1994: Rose-Theegarten übernimmt Pactec Dresden
1997: Theegarten verlagert den gemeinsamen Unternehmenssitz von Köln nach Dresden
2015: Baustart für neuen Unternehmenssitz an der Breitscheidstraße
Autor: Heiko Weckbrodt
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