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„Zeit aus den Fugen“: Dicks Weltillusions-Roman 40 Jahre vor der „Truman Show“

Abb.: Goldmann

Abb.: Goldmann

Ragle Gumm verdient sein Brot, indem er das tagtägliche Gewinn-Rätsel „Wo erscheint der grüne Mann als nächstes“ in seiner Tageszeitung löst. Ein Lebensunterhalt, der eher ungewöhnlich erscheint in der amerikanischen Kleinstadt der 1950er, in der er wohnt und in der man normalerweise über Autos, Benzinpreise oder den Luftschutz wegen der neuen sowjetischen Atombombe spricht. Oder? Stimmt da irgendwas nicht in diesem Bilderbuch-Dasein? Zweifel beschleichen Gumm: Ist diese ganze Kleinstadt, sind die Menschen um ihn herum, ja die ganze Welt echt? Als er ausbricht, verschwören sich Schicksal und Gemeinde gegen ihn, um zu verhindert, dass er die Grenzen der Stadt überschreitet, die Illusion, die man um ihn herum zurechtgezimmert hat, zertrümmert…

Ist meine Welt das, was sie scheint? Jim Carry in der "Truman Show", die 40 Jahre später das Motiv von Dicks "Zeitlose Zeit" neu verarbeitete. Abb.: Paramount

Ist meine Welt das, was sie scheint? Jim Carry in der „Truman Show“, die 40 Jahre später das Motiv von Dicks „Zeitlose Zeit“ neu verarbeitete. Abb.: Paramount

Wem das irgendwie bekannt vorkommt, erinnert sich wahrscheinlich an die TV-Satire „Truman Show“ erinnern, die das Thema von Philip Dicks („Blade Runner“, „Total Recall“, „Dunkler Schirm“) zivilisationskritischem Sci-Fi-Roman „Time out of Joint“ („Zeit aus den Fugen“, 1958) 40 Jahre später aufnahm. Was Roman und Film neben dem Grundmotiv einer falschen Welt, die für einen einzelnen Menschen kreiert wurde, vor allem gemeinsam haben, ist die Furcht vor totaler Überwachung.

Während jedoch die „Truman Show“ die „Reality Shows“ im Fernsehen der 1990er auf die Schippe nimmt, Trumans ganze Welt nur zum Zwecke der Unterhaltung errichtet wurde, hat die Blendung des intuitiven Rätsellösers Gumm einen tödlichen Hintergrund, der aus dem Zeitgeist der 1950er geboren ist, in dem das Wettrüsten der Supermächte die Angst vor einem alles vernichtenden Atomkrieg zum Alltag der Menschen in Ost wie West gehörte.

Fazit:

Abb.: Goldmann

Abb.: Goldmann

In seinem faszinierenden und oft auch bedrückenden Illusions-Roman greift Dick Motive auf, die schon Goethes Faust, Shakespeares Hamlet und Platon in dessen „Höhlengleichnis“ umgetrieben haben: Der Zwiespalt des Individuums zwischen Schöpferwille und dessen Folgen, Ohnmacht und Aufbegehren gegen verordneten Stillstand – und die ewige Unsicherheit über die Erkennbarkeit von Realität und Schein. Ein zeitloses und stilsicher geschriebenes Oeuvre, das wohl nie seine Aktualität verliert. Lesenswert! Heiko Weckbrodt

Philip K. Dick: „Time out of Joint“ (1959), deutsche Auflagen unter den Titeln „Zeitlose Zeit“ und „Zeit aus den Fugen“, Goldmann-Verlag 2002, zehn Euro, ISBN 978-3-453-21730-0
 

Zum Weiterlesen:

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Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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