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Fraunhofer löst Nanozentrum CNT in Dresden auf

Das CNT arbeitet mit einer 300-mm-Linie im früheren Qimonda-Reinraum - solche Forschungsbedingungen gibt es europaweit sonst nur selten. Abb.: CNT
Das CNT arbeitet mit einer 300-mm-Linie im früheren Qimonda-Reinraum – solche Forschungsbedingungen gibt es europaweit sonst nur selten. Abb.: CNT
Zentrum wird zur Abteilung degradiert, darf aber im Infineon-Reinraum bleiben

Dresden/München, 17. Oktober 2012. Die Fraunhofer-Gesellschaft (FHG) löst – wie erwartet – sein Dresdner Nanoelektronikzentrum CNT als selbstständige Einrichtung zum Jahresende auf. Diese Entscheidung des FHG-Senats hat Forschungsvorstand Prof. Ulrich Buller heute in Dresden verkündet. Das Zentrum wird – unter gleichem Namen – zur Abteilung des Fraunhofer-Photonik-Institut IPMS in Dresden heruntergestuft, neu ausgerichtet, behält aber seinen modernen Reinraumstandort mit dem größten Teil seiner 300-Millimeter-Chipfertigungsanlagen.

Chef Kücher wird versetzt, die anderen 47 CNT-Leute behalten ihre Jobs

Angesichts der hohen Betriebskosten im CNT-Reinraum, der zu geringen Industrieerlöse und Auslastung sowie der gewandelten Mikroelektronik-Forschungsbedarfs in Sachsen habe sich der FHG-Senat zu dieser Entscheidung entschlossen, erklärte Buller.Während Reinräume von anderen Fraunhofer-Instituten teils 24 Stunden und fünf Tage in der Woche Aufträge abarbeiten, sei der teure CNT-Reinraum oft nur ein paar Stunden am Tag ausgelastet.

Fraunhofer-Forschungsvorstand Buller. Abb.: FHG

Fraunhofer-Forschungsvorstand Buller. Abb.: FHG

Denn durch die Qimonda-Pleite 2009 sei der wichtigste Industriepartner verloren gegangen, so Buller, und damit der Vorstoß zu immer höher integrierten Speicherchips – der früheren Kernkompetenz des Zentrums – obsolet geworden. CNT-Chef Prof. Peter Kücher wird durch IPMS-Direktor Hubert Lakner abgelöst und nach München versetzt. Die anderen 47 Mitarbeiter behalten – vorerst – ihre Jobs in der neuen IPMS-Abteilung „CNT“. Als Neustart-Bonus habe die FHG vorerst alle Mitarbeiter-Verträge bis zum Ende des ersten Quartals 2013 verlängert, informierte Buller.

Infineon senkt Reinraum-Miete für Forschungszentrum

Dresdner Mikroelektronik-Unternehmen zeigten sich von diesem Kompromiss erleichtert. „Das ist wenigstens eine klare Lösung. Auf dieser Basis können wir weiterverhandeln“, kommentierte Helmut Warnecke, Geschäftsführer von Infineon Dresden, in dessen Reinraum das CNT residiert. „Wir werden jedenfalls unseren Beitrag zum Erhalt leisten.“ So habe Infineon zum Beispiel die Reinraum-Miete für das CNT deutlich gesenkt und prüfe auch, künftig mehr Entwicklungsaufträge an die Nanoforscher zu vergeben.

Globalfoundries gegen Ortswechsel

CNT-Hauptpartner „Globalfoundries“ (GF) äußerte sich vorsichtig optimistisch: „Organisatorische und strukturelle Anpassungen sind für uns kein Anlass zur Sorge, solange die laufenden und die in Aussicht stehenden Projekte in bewährter Qualität und mit guten Erfolgsaussichten verwirklicht werden können“, betonte der Dresdner GF-Sprecher Jens Drews. „Ein Ortswechsel würde aus unserer Sicht allerdings die Chancen des gestern verkündeten Neustarts erschweren. Nach der Qimonda-Insolvenz haben wir dafür gesorgt, dass im CNT nicht die Lichter ausgehen. Selbstverständlich sind wir bereit, konstruktiv mit Prof. Lakner und seinem Team an einer tragfähigen, für alle Seiten vorteilhaften Lösung zu arbeiten.“

Der weltweit zweitgrößte Chip-Auftragsfertiger ist offensichtlich noch etwas skeptisch, ob das CNT dauerhaft im Infineon-Reinraum bleiben darf. Das aber ist für GF ein „Killer-Kriterium“, den im CNT kann es neue Technologien in einer 300-mm-Linie testen, ohne die eigene Produktion möglicherweise bei Fehlschlägen zu kontaminieren. Genährt wird dieses vorsichtige Misstrauen wohl auch durch eine FHG-Mitteilung, laut der „Sonderfinanzierungen durch den Freistaat“ und andere Hilfen als Voraussetzungen für eine dauerhafte Zukunft des CNT genannt werden. Zumindest für 2013 und 2014 ist vom Freistaat aber kaum etwas zu erwarten, da dessen neuer Doppelhaushalt bereits nahezu in Sack und Tüten ist.

Verband „Silicon Saxony“ sieht in Neuausrichtung auf „More than Moore“ große Chancen

„Ohne Zweifel sind die Arbeitsfelder des CNT auch in Zukunft interessante Forschungsschwerpunkte“, erklärte derweil Heinz Martin Esser, der Vorstand des sächsischen Hightech-Verbandes „Silicon Saxony“. Von der strategischen Neuausrichtung könnten Firmen im Silicon Saxony enorm profitieren. Denn statt dem „Moorschen Gesetz“ – das den Wettlauf nach immer schnelleren und besseren Prozessoren und dRAM-Speichern beschreibt – weiter zu folgen, soll das CNT künftig dem neuen Mode-Motto „More than Moore“ folgen. Das heißt: Nicht immer feinere Chipstrukturen stehen auf der Agenda, sondern die Integration von immer mehr Funktionen in Computerchips und Mikroelektronisch-mechanische Systeme (MEMS).

Neues CNT soll sich auf Globalfoudries, Infineon und Ausrüster stützen

IPMS-Direktor Hubert Lakner. Abb.: FHG

IPMS-Direktor Hubert Lakner. Abb.: FHG

Laut dem neuen Chef Lakner soll sich seine neue Nanoelektronik-Abteilung „CNT“ auf drei Säulen stützen: Erstens die Projekte an vorderster Technologiefront mit GF fortsetzen, zweitens komplexere Chips mit mehr Funktionen entwickeln, wie sie von Infineon und anderen sächsischen Unternehmen produziert werden, und drittens den Herstellern von Chipfertigungsanlagen wie Tokoyo Elektron oder ASML eine industrienahe Testumgebung bieten, die diese in ihren eigenen Werken nicht haben.

In etwa zwei bis vier Jahren, so hofft Lakner, könne das CNT dann genug Industrieerträge erwirtschaften, um seine Kosten zu decken. „Und wer weiß – vielleicht ist irgendwann ja wieder eine Ausgliederung in eine neue Selbstständigkeit möglich“, betonte er und verwies auf die Organikelektronik-Forschungen des IPMS, die kürzlich in die Ausgründung „COMEDD“ mündeten. Heiko Weckbrodt

Zum Weiterlesen:

Kommentar „Eine Pragmatische, aber ehrgeizlose Lösung“

 

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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