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Vom Pferdesattler zum noblen Innenausstatter

Antonia Schwarzmeier. Foto: Heiko Weckbrodt

Antonia Schwarzmeier. Foto: Heiko Weckbrodt

Antonia Schwarzmeier führt den Handwerksbetrieb ihrer Familie in Arnsdorf in der 5. Generation

Arnsdorf. Wenn Hausbesitzer zu Antonia Schwarzmeier nach Arnsdorf kommen, sind sie oft schon „angefixt“ durch das Internet: Sie zeigen auf ihren Handys Bilder von puristisch ausgestatteten Riesen-Lofts, von – scheinbar – mit wiederverwertetem Sperrmüll ausstaffierten Hipster-Wohnungen oder ein Luxus-Penthouse, das sie auf Instagram & Co. im Netz gefunden haben. „Viele sind einfach überfordert von der Bilderflut aus dem Netz“, erzählt die Innenarchitektin, die in der fünften Generation das Familienunternehmen „Raumausstattung Schwarzmeier Arnsdorf“ leitet. „Meine Aufgabe ist es dann, die Lösung zu finden, die dem Kunden gefällt, in der er oder sie sich wohlfühlt. Und manchmal muss ich eben auch erklären, dass ein Loft nicht funktioniert, wenn die Räume daheim nur 2,50 Meter hoch sind – und dann doch eine Variante ausarbeiten, die Loft-Elemente integriert.“

Immer eine Gratwanderung zwischen Träumen und Machbarem

Diese Gratwanderung zwischen den Wohnträumen der Kunden, dem Machbaren, dem Modischen und dem Traditionsverbundenen gelingt meist. Das dürfte der breite Kundenkreis beweisen, den die Familie Schwarzmeier über Generationen hinweg aufgebaut und an sich gebunden hat. Dass diese Klienten für ihre Wohnträume nicht etwa einen Innendesigner in der Großstadt anheuern, sondern in die kleine Kommune nordöstlich von Dresden fahren, hängt vor allem mit Expertise und Erfahrung zusammen.

Mit Kataloggeschäft im Reich bekannt geworden

Dieses Know-how hat die Familie über 137 Jahre hinweg akkumuliert: 1886 kam Sattlermeister August Schwarzmeier nach Arnsdorf und gründete hier eine Pferdesattlerei. Während nach und nach die Automobile die Straßen eroberten und immer weniger Pferde gebraucht wurden, modernisierten die Schwarzmeiers den Betrieb: Eine Tischlerei und eine Polsterei kamen hinzu. Augusts Sohn Willy verlegte sich darauf, edle Ledergarnituren zu fertigen und per Katalog reichsweit zu verkaufen. „Er hat das Unternehmen auch sehr erfolgreich durch die schweren Jahre der Inflation und Zwischenkriegszeit geführt – mit guten Ideen und Weitblick“, meint Urenkelin Antonia.

Mit der TU Dresden entwickelter Schaukelstuhl. Foto: Heiko Weckbrodt

Mit der TU Dresden entwickelter Schaukelstuhl. Foto: Heiko Weckbrodt

Zu DDR-Zeiten sämtliche Interhotels bestuhlt

Dieses unternehmerische Geschick bewies auch die folgende Generation nach dem Krieg. Die Schwarzmeiers polsterten und bestuhlten fortan sämtliche DDR-Interhotels und zahlreiche VEB-Kantinen. Zusammen mit der TU Dresden entwickelten sie neue Produkte wie beispielsweise Schaukelstühle. Seine Polstermöbel exportierte der kleine Privatbetrieb bis in die Sowjetunion.

Unter dem Enteignungs-Radar geblieben

Allerdings flogen Heinz und Ada Schwarzmeier seinerzeit sorgfältig unter dem „Enteignungs-Radar“: Sie achteten stets darauf, dass die Familienmanufaktur in realsozialistischen Zeiten nie über zehn Beschäftigte wuchs, um eine Verstaatlichung zu vermeiden. Schon damals aber gewann neben den Handwerksleistungen für staatliche Kunden ein zweites Geschäftsfeld wieder an Bedeutung: Private Hausbesitzer aus der Region bestellten bei den Schwarzmeiers gerne individuelle Sitzmöbel jenseits des „volkseigenen“ Standard-Repertoires, ließen in Arnsdorf zudem alte Sessel, Sofas und Polsterstühle mit historischem Charme restaurieren.

Arnsdorfer polsterten die Interhotels der DDR

„Nach der Wende haben sich meine Eltern erst mal weitergebildet und dann alles noch mal umgemodelt“, erzählt Antonia Schwarzmeier: Die eigene Tischlerei war unter den neuen Markt-Vorzeichen nicht mehr zu halten, die Schwarzmeiers spezialisierten sich zunehmend auf Innenausstattung und den Verkauf eines ausgewählten Sortiments an Sitzmöbeln, Gardinen, Teppichen und dergleichen mehr. Wo sich einst Sägen und Bohrer ins Holz fraßen, entstanden Ausstellungsräume. Bald kamen auch wieder Großaufträge: Diesmal aber nicht von VEBs und Staatsherbergen, sondern von Privathotels und neu angesiedelten Unternehmen. Zeitweise beschäftigten die Schwarzmeiers in der Nachwendezeit 17 Meister und Gesellen.

Polsterer Jens Bartkitz heftet eine neue Stoffbespannung an den Bettrahmen eines Schwarzmeier-Kunden. Foto: Heiko Weckbrodt

Polsterer Jens Bartkitz heftet eine neue Stoffbespannung an den Bettrahmen eines Schwarzmeier-Kunden. Foto: Heiko Weckbrodt

Ende der 1990er  war der Nachholbedarf erschöpft

Ende der 90er war der Markt dann allerdings übersättigt. Der Nachholebedarf beim Interieur war verpolstert und verlegt, immer weniger Großaufträge erreichten den Familienbetrieb. Die Belegschaft schrumpfte zeitweise auf ein nur noch dreiköpfiges Team. Wieder musste sich der Familienbetrieb neu ausrichten: Florentine und Jürgen Schwarzmeier konzentrierten sich nun auf den langsam wachsenden Kreis gutbetuchter Sachsen, die ein individuelles Zuhause der Kollektion aus dem Möbelmarkt vorzogen. „Dafür braucht man ein gutes Einfühlungsvermögen“, meint Florentine Schwarzmeier. „Wichtig ist der richtige Blick dafür, was genau zu diesem Kunden passt, wie dieser Mensch wirklich wohnen und leben will.“

Leben und lernen bei den „Compagnongs du Devoir“

Während die Eltern das Geschäft daheim neu organisierten, ging die Tochter bereits ihre eigenen Wege: „Ich wusste von Anfang an: Ich will mal Innenarchitektin werden“, erzählt sie. Dafür wählte sie freilich die Serpentine statt der Ausfallstraße: Sie lernte Polsterei bei französischen Wandergesellen an der Côte d’Azur und in Paris. Das war mühsam und oft eine anstrengende Rackerei. Aber so kam die junge Frau auch das erste Mal so richtig mit der luxuriösen Seite ihrer Zunft in Berührung. „Ich war damals gerade 18 und stand da plötzlich auf einer 13-Millionen-Euro-Werft vor Monaco“, erinnert sie sich. In den beiden Jahren bei den „Compagnongs du Devoir“ (deutsch etwa: Gefährten der Pflicht) habe sie sehr viel über qualitätvolles Handwerk und Zusammenhalt gelernt, zudem viele Kontakte geknüpft, sagt Antonia Schwarzmeier. Danach studierte sie Innenarchitektur auf der Burg Giebichenstein an der Hochschule für Kunst und Design Halle, legte Auslandspraktika und -studien in St. Petersburg sowie in Rumänien ein und schob schließlich noch eine betriebswirtschaftliche Ausbildung an der Handwerkskammer Dresden nach.

Auch mal mehr Mut zur Farbe

Solcherart fürs unternehmerisch-kreative Leben gestählt, übernahm sie mit 30 Jahren den Betrieb der Eltern. Auch sie krempelte ihn wieder ein Stück weit um. „Innenarchitektur ist wichtiger geworden“, beschreibt sie ihren Kurs. „Planung, Umsetzung – das gehört zum Gesamtpaket.“ Natürlich sei der Kunde König. Und wenn der Grau haben will, bekommt er das auch. „Aber ich ermutige ihn oder sie auch gerne zum Mut zur Farbe“. Dass sie auf besonders qualitätvolle, haltbare und schöne Wohnungseinrichtungen setzt, wird von den gut betuchten Klienten geschätzt: „Der Trend geht ja ohnehin zu Nachhaltigkeit, Regionalität und zu Naturstoffen.“ Und all diese Projekte und Trends immer fleißig auf Instagram und Co. der Welt vorzuführen, das gehört für sie heutzutage natürlich auch zum Handwerk dazu.

Bei Schloss-Restaurierung mitgemacht

Daneben restaurieren die Manufaktur-Handwerker aus Arnsdorf weiter auch alte, wertvolle Stühle. Sessel, Tapeten und Kanapees. In den Paraderäumen im Residenzschloss Dresden war das Schwarzmeier-Kollektiv beispielsweise zu Gange, auch im Fasanenschlösschen in Moritzburg, in den Wagnerstätten Graupa und vielen anderen Museen.

Näherin Natalia Schwab bereitet ein Sofakissen in der Schwarzmeier-Werkstatt vor. Foto: Heiko Weckbrodt

Näherin Natalia Schwab bereitet ein Sofakissen in der Schwarzmeier-Werkstatt vor. Foto: Heiko Weckbrodt

Obgleich die Zeit der großen Nachwende-Aufträge längst vorbei ist, wächst das Team inzwischen peu à peu wieder. Zum zehnköpfigen Team zählen die Eltern, eine Innenausstattungs-Azubine, außerdem Schneiderinnen, Polsterer, Meisterinnen und andere Beschäftigte. Und auch das gehört zum besonderen Ton im weiblich geführten Haus Schwarzmeier: „Eine familiäre Atmosphäre im Team, ein harmonisches und wertschätzendes Miteinander – all das ist mir sehr wichtig“, betont die Chefin. „Wir essen zweimal am Tag gemeinsam, sprechen über die Probleme, die es gibt, und finden auch Lösungen – eben wie in einer Familie.“

Kurzüberblick

Autor: Heiko Weckbrodt

Quelle: Vor-Ort-Besuch, Auskünfte Schwarzmeier

Hinweis: Dieser Bericht ist in ähnlicher Form ursprünglich in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen.

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt