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Abwechslungsreiches Leben sorgt für Gehirn-Upgrades

Der Neurochip vermisst die Neuronen-Aktivitäten pro Minute im Hippocampus von Mäusen ohne besondere Anregungen im Leben (links) und Mäusen mit einem abwechslungsreichen Leben (rechts). Grafik: DZNE

Der Neurochip vermisst die Neuronen-Aktivitäten pro Minute im Hippocampus von Mäusen ohne besondere Anregungen im Leben (links) und Mäusen mit einem abwechslungsreichen Leben (rechts). Grafik: DZNE

Dresdner Forscher vermessen mit neuem Neurochip den Hippocampus von Mäusegruppen

Dresden, 19. Juli 2023. Ein abwechslungsreiches Leben sorgt für leistungsfähigere und besser vernetzte Neuronen-Strukturen im Gehirn. Darauf deuten Experimente mit Mäusen und neuartigen Biosensoren im „Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen“ (DZNE) in Dresden hin. Das hat die TU Dresden mitgeteilt.

Reiche Erfahrungswelt verstärkt Netzwerke der Neuronen

„Vereinfacht kann man sagen, dass die Nervenzellen von Mäusen aus der reizvollen Umgebung viel stärker miteinander verknüpft waren als die von denjenigen Mäusen, die in Standardhaltung aufwuchsen“, berichtet Studienleiter Dr. Hayder Amin. „Unabhängig davon, welchen Parameter wir uns angeschaut haben, hat eine reichere Erfahrungswelt die Verbindungen in den neuronalen Netzen buchstäblich verstärkt. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein aktives und abwechslungsreiches Leben das Gehirn auf ganz neue Grundlagen stellt.“

Prof. Gerd Kempermann. Foto: Magdalena Gonciarz für die TUD

Prof. Gerd Kempermann. Foto: Magdalena Gonciarz für die TUD

Neurochip kann Feuer Tausender Nervenzellen gleichzeitig erfassen

Für ihre Versuche hatten die Forscher spezielle Neurochips verwendet, die mit Hilfe von über 4.000 Elektroden die elektrische Aktivität von Hirnzellen im komplexen Zusammenspiel messen können – eine Art „Super-EEG“ gewissermaßen. „Alles, was wir aus diesem Bereich bislang wussten, stammt entweder aus Studien mit Einzel-Elektroden oder von bildgebenden Methoden wie der Magnetresonanztomographie“, erklärt Prof. Gerd Kempermann vom DZNE. „Die räumliche und zeitliche Auflösung dieser Verfahren ist viel gröber als unser Ansatz. Wir können die Schaltkreise im wahrsten Sinne des Wortes bis auf die Ebene der einzelnen Zellen beim Arbeiten beobachten.“

Zweite Mausgruppe bekam „angereichertes“ Leben spendiert

Mit dieser neuen Neurolupe verkabelten die Forscher den gesamten Hippocampus ihrer Versuchs-Mäuse. „Diese Hirnstruktur, die auch beim Menschen vorkommt, spielt für das Lernen und das Gedächtnis eine entscheidende Rolle“, heißt es in der Zusammenfassung der Studie. Die Wissenschaftler teilten ihre Mäuse in zwei Gruppen auf: Eine lebte in Standardbehausungen ohne besondere Anreize, die anderen Tiere waren in einer „angereicherten Umgebung“ mit veränderbaren Spielzeugen und einem Labyrinth aus Plastikröhren untergebracht.

Als sie mit ihren Neurochips nun die Neuronen-Aktivität dieser beiden Gruppen verglichen, stießen die Wissenschaftler auf deutliche Unterschiede: Die Nervenzellen der Mäuse, die besonders abwechslungsreiche Erfahrungen erlebten, hatten sich viel stärker vernetzt als in der Standard-Gruppe.

Impulse für Alzheimer- und KI-Forschung erwartet

Von diesen Experimenten erhoffen sich die Forscher neue Impulse für die Behandlung von Nervenkrankheiten wie Alzheimer, bei denen der Hippocampus stark beschädigt wird, aber auch neue Erkenntnisse über die Funktionsweise und die Reservebildung von Gehirnen. Zudem könnten die Befunde auch „Künstliche Intelligenzen“ befeuern: „Indem wir entschlüsseln, wie Erfahrungen das Netzwerk und die Dynamik des Gehirns gestalten, erweitern wir nicht nur die Grenzen der Hirnforschung“, betont Hayder Amin. „Künstliche Intelligenz wird davon inspiriert, wie das Gehirn Informationen verarbeitet. Vor diesem Hintergrund könnten unsere Werkzeuge und die Erkenntnisse, die sich damit generieren lassen, den Weg für neuartige Algorithmen des maschinellen Lernens bereiten.“

Quelle: DZNE via TUD

Wissenschaftliche Publikation:

„High-resolution CMOS-based biosensor for assessing hippocampal circuit dynamics in experience-dependent plasticity“, Autoren: Brett Addison Emery, Xin Hu, Shahrukh Khanzada, Gerd Kempermann, Hayder Amin, in: „Biosensors and Bioelectronics“ (2023), DOI: https://doi.org/10.1016/j.bios.2023.115471

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt