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China bei Halbleiter-Gründungen ganz vorn

Foto: Axel Buchwitz

Denkfabrik SNV hat analysiert. wer junge Mikroelelektronik-Firmen finanziert

Berlin, 19. April 2023. Löst man in der Debatte um die Schlüsseltechnologie Mikroelektronik den Blick für einen Moment von den milliardenteuren Chipfabriken und blickt auf die innovative Gründerszene in diesem Sektor, sieht man rasch, wo heute die Musike spielt: in China. Denn nirgendwo anders investieren staatliche und private Kapitalgeber soviel in junge Halbleiter-Unternehmen und entstehen soviele Startups in dieser Branche. Das haben Experten der Berliner Denkfabrik „Stiftung Neue Verantwortung“ (SNV) in der Analyse „Wer finanziert die Chips der Zukunft?“ herausgearbeitet, für die sie Start-up-Finanzierungsrunden in den vergangenen Jahren untersucht haben.

Die globalen Geldflüsse von Investoren in Mikroelektronik-Start-ups. Deutlich erkennbar ist, dass chinesische (oben, blau) wie auch US-Investoren (grün) besonders gern in Unternehmen im eigenen Lande ihr Geld stecken. Abb.: SNV

Die globalen Geldflüsse von Investoren in Mikroelektronik-Start-ups. Deutlich erkennbar ist, dass chinesische (oben, blau) wie auch US-Investoren (grün) besonders gern in Unternehmen im eigenen Lande ihr Geld stecken. Abb.: SNV

Chinesische Investoren stecken ihr Geld meist in chinesisches Unternehmen

„China ist hier gewissermaßen der Elefant im Raum“, schätzte SNV-Technologie-Expertin Julia Hess ein. Laut den Untersuchungen der Denkfabrik haben im Reich der Mitte 1225 Investoren Start- und Wachstumskapital in 668 junge chinesische Mikroelektronik-Unternehmen hineingepumpt, die sich vor allem mit Chipdesign beschäftigen. Dabei steckten 95 Prozent der chinesischen Investoren ihr Geld in Start-ups im eigenen Lande. Die SNV-Analysten halten dies für einen Ausdruck der strategischen „Selbstgenügsamkeit“ der Chinesen.

Strategische Saat

Ergänzen könnte man, dass sich die Chinesen inzwischen in hohem Maße auf ihren großen Binnenmarkt verlassen und auf die wachsenden Fähigkeiten Chinas, nach langen Phasen des Technologie-Klaus aus dem Westen auch autarke eigene wissenschaftlich-technolologische Lösungen hervorzubringen. Zudem ist das Land angesichts des Wirtschaftskrieges und der Embargo-Politik der Amerikaner gegen die erstarkte chinesische Hightech-Industrie dabei, die eigene Halbleiterbranche auch im größeren Maßstab zu härten und auszubauen: Absehbar ist, dass chinesische Foundries wie Smic in einigen Jahren ähnlich fortgeschrittene Chipgenerationen wie TSMC, Samsung und Intel werden herstellen können und die Chinesen zweifellos dafür auch eigene Anlagen-Zulieferindustrie aufbauen werden.

USA auf Platz 2

Aber zurück zur Gründerfinanzierung im Halbleitersektor: Auf Platz 2 folgt hier – wenig überraschend – die Investoren- und Start-up-Szene in den USA: Hier steckten 666 Investoren ihr Risikokapital in 204 Mikroelektronik-Gründungen. Auch in den Vereinigten Staaten dominierte übrigens eine starke Neigung der Investoren, in junge Unternehmen im eigenen Lande zu investieren.

Interessant ist auch die Aufschlüsselung innerhalb des EU-Raums: Hier haben Investoren vor allem junge Chipfirmen in Deutschland, Frankreich und in den Niederlanden finanziert. Abb. SNV

Interessant ist auch die Aufschlüsselung innerhalb des EU-Raums: Hier haben Investoren vor allem junge Chipfirmen in Deutschland, Frankreich und in den Niederlanden finanziert. Abb. SNV

Im EU-Raum dominieren Deutschland, Frankreich und die Niederlande

Auf Platz 3 folgt dann der EU-Raum mit 261 Investoren und 99 finanzierten Halbleiter-Jungunternehmen. Und innerhalb der Europäischen Union – aus der die Analysten bereits Großbritannien herausgerechnet haben – dominieren wiederum drei Staaten die Mikroelektronik-Gründerszene: Deutschland, Frankreich und die Niederlande. Das dürfte daran liegen, dass alle drei Länder einerseits starke Unis und Mikroelektronik-Forschungseinrichtungen (Cea-Leti, Fraunhofer et cetera) haben, anderseits ohnehin bereits eine starke Halbleiterindustrie, wenn man etwa an STM in Frankreich, NXP und ASML in den Niederlanden oder Infineon, X-Fab und Bosch in Deutschland denkt.

Viele junge Mikroelektroniker stürzen sich aufs Chip-Design

Die meisten der insgesamt 1144 untersuchten Jungunternehmen waren übrigens am Anfang der Mikroelektronik-Wertschöpfungskette angesiedelt: 750 beschäftigen sich mit Schaltkreis-Entwurf, weitere 253 mit der Chipfertigung, der Rest verteilt sich auf Designautomatisierung, Anlagenbau, Material und Wafer-Technologien. Dies ist auch naheliegend, da die Eintrittshürden ins Chipdesign eher wissensbasiert sind, eine echte Chipproduktion dagegen sehr teure Maschinen erfordert, die für ein junges Unternehmen nur schwer zu finanzieren sind.

Die in Shanghai beheimatete SMIC gehört inzwischen zu den größten Chip-Foundries weltweit und ist auch technologisch nicht mehr weit vom Weltstand entfernt. Abb.: SMIC

Die in Shanghai beheimatete SMIC gehört inzwischen zu den größten Chip-Foundries weltweit und ist auch technologisch nicht mehr weit vom Weltstand entfernt. Abb.: SMIC

Chinesen „innovieren über die gesamte Halbleiter-Wertschöpfungskette hinweg“

Letztlich spiegeln diese Befunde viele neuere Entwicklungen in der Weltwirtschaft und in der internationalen Mikroelektronik. Ein Beispiel ist die systematische Aufstiegspolitik Chinas, die sich auch in der „schieren Anzahl chinesischer Investoren und Startups“ niederschlägt, wie die SNV-Analysten festhalten. „Letztere innovieren über die gesamte Halbleiter-Wertschöpfungskette hinweg, von Halbleitermaterialien bis hin zu Geräten, Fabriken und schließlich Chips. Dieses hohe Aktivitätsniveau kann durch Chinas Versuche erklärt werden, seine Abhängigkeit von ausländischen insbesondere US-amerikanischen Halbleitertechnologien und Lieferanten zu verringern. Diese Importsubstitution bedeutet letztendlich, dass die Chinesen in vielen Bereichen ,das Rad neu erfinden’ müssen.“ Das dürfte die Hightech-Entwicklung im Reich der Mitte verzögern. Bisher haben es die Chinesen allerdings immer wieder geschafft, den Westen in immer mehr Branchen links zu überholen. Es dürfte daher wenig überraschen, wenn China das auch in der Mikroelektronik schafft – nicht zuletzt auch durch die bereits ausgebrachte Start-up-Saat.

USA versucht verlorenen Boden wettzumachen

Auf der anderen Seite steht die dagegen gerichtete Wirtschaftspolitik der Amerikaner. Die versuchen diesen Aufstieg Chinas zu verhindern, wollen aber auch verloren gegangenen Boden zurückgewinnen. Und diese Vorstöße zielen eben nicht nur auf Chipriesen wie Intel, Micron oder Texas Instruments, sondern auch auf innovative Start-ups.

Nach der Wende siedelten sich große Halbleiterunternehmen wie Infineon (hier ein Blick in den Dresdner Reinraum) und AMD in Dresden an. Abb.: Infineon

Nach der Wende siedelten sich große Halbleiterunternehmen wie Infineon (hier ein Blick in den Dresdner Reinraum) und AMD in Dresden an. Abb.: Infineon

Gründerszene um Halbleiterkerne in Sachsen, Auvergne und Brabant

Und sind da dann schließlich noch die Europäer, die sich mit unterdotierten Hilfsprogrammen verzweifelt bemühen, ihren Marktanteil in der globalen Schaltkreis-Produktion signifikant zu erhöhen. Dort entstehen allerdings auch viele interessante Start-ups rings um die wichtigen Mikroelektronik-Standorte in Dresden, München, Crolles, Grenoble oder Veldhoven. Und für die werden Analysen wie die von SNV besonders interessant sein: Angesichts des hohen Kapitalbedarfs im Halbleitersektor dürfte das Wissen darüber, welche Investoren gerne wo ihr Geld anlegen, nützlich sein.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: SNV, Oiger-Archiv

Wissenschaftliche Publikation:

Julia Hess, Wiebke Denkena, Jan-Peter Kleinhans und Pegah Maham: „Who is funding the chips of the future? Analysis of global semiconductor startup funding activities“, in: Data Brief April 2023, Stiftung Neue Verantwortung, Fundstelle im Netz hier

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt