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„Deutschland hat ein Teilzeit-Problem“

Bis heute hat die zerlegbare transparente Spielzeug-Uhr "Effect" aus dem Jahr 1978, die der VEB Plasticart Dresden hergestellt hat, einen ganz eigenen designerischen Charme Foto: Heiko Weckbrodt

Foto: Heiko Weckbrodt

Betriebe sollten neben Senioren, Frauen und Zuwanderer auch Teilzeitler zur Vollzeit überreden, rät Ifo-Chef Fuest.

München, 29. März 2023. Wenn Deutschland seinen wachsen Arbeitskräfte-Mangel in den Griff bekommen will, gibt es neben einer höheren Erwerbsquote von Frauen und Senioren sowie die Fachkräfte-Akquise im Ausland noch ein weiteres Reservoir, aus dem die Wirtschaft schöpfen sollte: Die Unternehmer sollten versuchen, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu längeren Wochenarbeitszeiten zu überreden, meint Ifo-Chef Clemens Fuest aus München. „Deutschland hat ein Teilzeit-Problem“, meint er.

Arbeitskräfte-Mangel trotz Rekord-Beschäftigung

Denn mehr und mehr – vor allem junge Menschen – wollen nicht so lange arbeiten wie ihre Väter und insistieren auf Teilzeitmodellen. „Eigentlich haben wir mit 45 Millionen Erwerbstätigen einen neuen Rekord in Deutschland erreicht“, erklärte Fuest während einer Internet-Debatte über eine womöglich drohende Industrialisierung Deutschlands. Dies seien rund acht Millionen Menschen mehr als im Schnitt vergangener Jahrzehnte. Dennoch verschärfe sich in der Bundesrepublik fortwährend der Fachkräftemangel. Seine Erklärung: Das Mehr durch Menschen, die arbeiten gehen, wurde durch díe Teilzeit-Neigung der Beschäftigten mehr als aufgefressen. „Dieser Trend hat massiv zugenommen.“

Nachgesagt wird dieser Teilzeit-Trend vor allem den sogenannten Generationen Y und Z, die das Privatleben viel stärker in ihren biografischen Fokus als vergangene Generationen, die sich mehr durch ihr Arbeitsethos definiert haben. Allerdings ist umstritten, wie sehr diese Schubladen wirklich die diversen Arbeitswelten von heute abbilden und auch, in welchem Maße womöglich nicht offiziell erfasste Mehrarbeit durch Beschäftigte etwa in Heimarbeit geleistet wird.

Mittelständlerin: Wir können viele Aufträge aber wegen Fachkräftemangel kaum abarbeiten

Den generellen Trend hin zu Teilzeit hat indes auch Denise Schurzmann, die Chefin des bayrischen Mittelständlers „Krause Industrieschaltanlagen“ beobachtet: „Als ich 2010 ins Familienunternehmen eingestiegen bin, haben fast alle 40 Stunden die Woche gearbeitet. Heute habe ich viele in der Belegschaft, die nur Teilzeit arbeiten wollen“, berichtet sie. Die Folge: „Meine Auftragsbücher sind vollm, aber ich kann viele Aufträge nicht abarbeiten, weil mir die Leute fehlen.“

Hypovereins-Chefin: Manche Mittelständler tun sich zu Kita-Verbünden zusammen

Wenn man mehr Teilzeit-Beschäftigte zur Vollzeit überreden wolle, dann sei ein Dreh- und Angelpunkt dabei mehr Kinderbetreuung in Kitas – darin waren sich Fuest, Schurzmann wie auch Hypovereinsbank-Chefin Marion Höllinger einig. Denn es seien vor allem Frauen, die eine höhere Wochenarbeitszeit scheuen, weil es entweder nicht genug Kitas im Ort gebe, diese zu kurze Öffnungszeiten haben oder die Netto-Mehreinnahmen aus zusätzlichen Wochenarbeitsstunden durch die Kita-Gebühren aufgefressen würden. „Viele Unternehmen haben schon reagiert und haben eigene Kitas eingerichtet“, berichtet Bankerin Höllinger. Für Mittelständler sei dies aber oft zu aufwendig: Betriebskitas verschlingen Investitionen und laufende Erzieher-Kosten, bedürfen allerlei Genehmigungen und ein einzelner Betrieb kann diese Kindergärten dann womöglich auch nicht gut auslasten. „Deshalb tun sich mancherorts auch mehrere Mittelständler zusammen, um gemeinsam Kitas einzurichten“, berichtet die Hypovereins-Chefin. „Womöglich kann das auch für andere Unternehmen eine Lösung sein.“

 

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt