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Ifo-Chef: Dürfen in Deutschland nicht nur abschalten, sondern müssen auch „anschalten“

Prof. Dr. Clemens Fuest beim Besuch in der ifo-Niederlassung Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Prof. Dr. Clemens Fuest beim Besuch in der ifo-Niederlassung Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Ablehnung von Kernkraft, Kohle, Bio-, Gentech und anderen Technologien dürfen das Land nicht in eine Sackgasse führen, warnt Clemens Fuest

München, 28. März 2023. Deutschland konzentriert sich zu sehr darauf, welche Technologien es nicht mag, statt sie mitzuformen, hat Ifo-Präsident Clemens Fuest in einer Debatte zur möglichen Deindustrialisierung der Bundesrepublik kritisiert.

„Das Problem ist, in Deutschland wird vor allem abgeschaltet“, meint der Chef des Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts „Ifo“. „Wir sagen, wir wollen keine Kernkraft, keine Kohle, keine Biotechnologie, keine Gentechnologie. Wichtig wäre es aber, auch etwas anzuschalten.“

Kern der deutschen Industrie stark unter Druck

Er verwies dabei auf die großen Herausforderungen, vor denen der industrielle Kern der deutschen Wirtschaft derzeit ohnehin stehe: Die Automobilindustrie schrumpft im Zuge der Transformation hin zu elektromobilen Fahrzeugen und der Maschinenbau sowie die Chemieindustrie leiden unter den hohen Energiepreisen. Zwar gebe es auch Ansiedlungen und Erweiterungen im Hochtechnologiesektor – die seien aber oft teuer erkauft. „Wenn zum Beispiel die Chipindustrie nur zu uns kommt bei Subventionen von einer halben bis einer ganzen Million Euro pro Arbeitsplatz, dann ist klar: So etwas können wir nicht unbegrenzt oft machen.“

Energie, Dekarbonisierung und Digitalisierung ernsthafter angehen

Umso wichtiger sei es, dass sich Deutschland zentralen Herausforderungen ernsthafter stelle, die eigentlich schon lange bekannt sind: „Ich sehe da vor allem drei Punkte“, so Fuest: „Energieversorgung, Dekarbonisierung und Digitalisierung.“ Wenn es gelinge, diese Herausforderungen besser als bisher zu meistern, dann drohe Deutschland auch keine Deindustrialisierung – wenngleich mit einem anderen Industriemix in zehn Jahren zu rechnen sei.

Fuest rechnet nicht mit dem versprochenen Wirtschaftswunder durch Dekarbonisierung

Zugleich warnte der Ökonom aber auch vor Erwartungen, wie sie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geschürt hatte, die Dekarbonisierung werde ein neues Wirtschaftswunder in Deutschland auslösen. „Hier wird ein funktionierender Kapitalstock durch einen anderen ausgetauscht“, argumentiert er. Davon könnten allenfalls die Anbieter dieser Leistungen profitieren. Ansonsten sei die schnelle Stilllegung funktionierender Strukturen zu Gunsten neuer Strukturen vor allem eines sein: extrem teuer. „Die dafür eingesetzten Ressourcen werden woanders fehlen, auch für soziale Ausgaben“, prognostizierte Fuest. „Mit dem Wirtschaftswunder wird das nichts.“

CO2-Ziele unrealistisch?

Zudem hegt der Wirtschaftswissenschaftler auch daran, dass die von der Bundesampel vorgegebene sehr schnelle Öko-Transformation in Deutschland überhaupt realistisch ist: Seit 1990 – also in mehr als drei Jahrzehnten – habe Deutschland seinen CO2-Ausstoß um 39 Prozent gesenkt. „Darunter waren auch viele tiefhängende Früchte – die DDR-Industrie abzuschalten, war beispielsweise eher leicht“, betont Fuest. „Nun wollen wir in sieben Jahren noch mal 26 Prozentpunkte schaffen – das wird wohl kaum funktionieren.“

Das liege freilich auch daran, dass die Vorgängerregierungen der Ampel viele Transformationsschritte hinausgezögert hätten, die nun binnen sehr kurzer Zeit realisiert werden sollen.

Autor: hw

Quelle: Münchner Wirtschaftsdebatte vom 28.3.2023, „Droht Deutschland die Deindustrialisierung? Folgen der Energiekrise auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft“

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt