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Astrozentrum in Görlitz will Gehirnrechner mit TU Dresden bauen

Neuartige Computer, deren Speicherzellen ähnlich wie die Neuronen im menschlichen Gehirn auch rechnen können, sollen den Forschern im Deutschen Zentrum für Astrophysik beim Blick in die Kinderstube des Universums helfen. Visualisierung: Dall-E

Neuartige Computer, deren Speicherzellen ähnlich wie die Neuronen im menschlichen Gehirn auch rechnen können, sollen den Forschern im Deutschen Zentrum für Astrophysik beim Blick in die Kinderstube des Universums helfen. Visualisierung: Dall-E

Neben Astronomie stehen Hightech-Geräte und Daten-Analysetechnologien auf der Agenda

Görlitz/Dresden, 24. März 2023. Das neue „Deutsche Zentrum für Astrophysik“ (DZA), das ab 2026 der Lausitz neue Perspektiven für die Zeit nach dem Kohleausstieg eröffnen soll, wird sich vor allem drei Forschungssäulen widmen: Die Wissenschaftler wollen natürlich astronomisch forschen, aber am DZA auch die dafür benötigten Hightech-Geräte sowie digitale Auswertungstechnologien für die gewonnenen astronomischen Datenfluten entwickeln. Das hat Prof. Christian Stegmann am Rande der Physiker-Frühjahrstagung „Sektion Materie und Kosmos“ (SMuK) in Dresden angekündigt. Auf der Agenda stehen unter anderem völlig neue gestrickte, gehirnähnliche Computer, in denen Speicher und Logik nicht mehr getrennt sind.

Prof. Christian Stegmann vom Forschungszentrum Dasy gehört zu den geistigen Vätern des "Deutschen Zentrums für Astrophysik" (DZA), das in der Lausitz entstehen soll. Hier sitzt er neben der ünstlerischen Darstellung eines kosmischen Teilchenbeschleunigers, eines Blasars. Foto: G. Born für das Desy

Prof. Christian Stegmann vom Forschungszentrum Desy gehört zu den geistigen Vätern des „Deutschen Zentrums für Astrophysik“ (DZA), das in der Lausitz entstehen soll. Hier sitzt er neben der künstlerischen Darstellung eines kosmischen Teilchenbeschleunigers, eines Blasars. Foto: G. Born für das Desy

Hoffnung auf wirtschaftliche Impulse für die Lausitz nach der Kohle

Nun gärt allerdings in der Lausitz schon seit Monaten die Frage, wie denn ein Astrophysik-Zentrum den Kohlekumpeln über den Verlust ihrer heutigen Jobs hinweghelfen soll. „Vergessen Sie nicht, dass Astronomie und Astrophysik Hochtechnologie-Wissenschaften sind“, argumentierte dazu Stegmann. Schon Tycho Brahe, Johannes Kepler und Galileo Galilei sei klar gewesen, dass vor allem immer genaueres Messen astronomische Fortschritte erst möglich macht – sie nutzten daher schon damals die modernsten Geräte ihrer Zeit. Und so sei es eben auch mit dem geplanten DZA: Die Forscher dort wollen mit hochmodernen Gravitationswellen- und Radioteleskopen Milliarden von Jahren zurück in die Vergangenheit unseres Universums schauen, dafür neuartige Sensoren und Computertechnik entwickeln. Und die dafür nötige Entwicklung innovativer Hightech-Geräte werde mit Sicherheit einen „wirtschaftlichen Impact“ auslösen.

Blick mit dem Radioteleskop "MeerKAT" auf Supernovae-Überreste im Zentrum unserer Galaxis. Ferne Welten und das geplante Astrophysik-Zentrum in der Lausitz gehören zu den Themen der DPG-Tagungen in Dresden. Abb.: SARAO, Heywood et al. (2022), J.C. Muñoz-Mateos via Desy-Pressemitteilung zum DZA

Blick mit dem Radioteleskop „MeerKAT“ auf Supernovae-Überreste im Zentrum unserer Galaxis. Auch das DZA will MeerKAT-Daten auswerten. Abb.: SARAO, Heywood et al. (2022), J.C. Muñoz-Mateos via Desy-Pressemitteilung zum DZA

Wenn Schwarze Löcher verschmelzen

Zwar steht die konkrete Forschungs-Agenda noch nicht fest. Aber einige Themen kristallisieren sich für das wachsende Team um Prof. Stegmann und Gründungsdirektor Prof. Günther Hasinger bereits heraus: In der wissenschaftlichen Säule 1, der Astronomie, werden die Wissenschaftler unter anderem mit Gravitationswellen- und Radioteleskopen nach kosmischen Erschütterungen in ferner Vergangenheit suchen, nach „Schwarzen Löchern“, die paarweise miteinander verschmolzen sind. Heutzutage entstehen Schwarze Löcher vor allem durch sehr massereiche Sterne, die am Ende ihrer „Lebenszeit“ in sich zusammenfallen und auf kleinstem Raum soviel Schwerkraft erzeugen, dass noch nicht einmal Licht daraus entkommen kann. Dem äußeren Beobachter erscheinen sie dadurch eben als schwarzes Loch. Wie allerdings Schwarze Löcher in der Frühphase des Universums beschaffen waren und wie sie entstanden, gehört zu den offenen Fragen der Astrophysik. Um sie zu beantworten, werden die DZA-Forscher zunächst „fremde“ Teleskope rund um den Erdball nutzen, zum Beispiel die „MeerKAT“-Anlage in Südafrika oder das Schwerkraftwellen-Teleskop Ligo in den USA, das 2015 zuerst die von Albert Einstein prophezeiten Gravitationswellen nachweisen konnte.

Sieht aus wie psychodelische Kunst, ist aber tatsächlich eine Simulation der ersten von LIGO beobachteten verschmelzenden Schwarzen Löcher. Abb.: S. Ossokine, A. Buonanno, R. Haas (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik)

Sieht aus wie psychodelische Kunst, ist aber tatsächlich eine Simulation der ersten von LIGO beobachteten verschmelzenden Schwarzen Löcher. Abb.: S. Ossokine, A. Buonanno, R. Haas (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik)

Hoffnung auf „eigenes“ Gravitationswellen-Teleskop

Doch Stegmann und Hasinger basteln auch an einem größeren Coup: Die europäische Forschergemeinschaft plant nämlich mit dem „Einstein-Teleskop“ einen riesigen unterirdischen Empfänger für Gravitationswellen. Der soll deutlich empfindlicher als „Ligo“ sein und auch sehr feine und tiefe Schwerkraftwellen mit Frequenzen von wenigen Hertz messen können. Damit wäre es dann zum Beispiel möglich, in die „Kindheit“ des Universums „kurz“ nach dem Urknall zurückzublicken, in der noch keine Teilchen und Photonen das All durchwaberten. In eine Zeit also, in der das Weltall weniger als eine Milliarde Jahre alt war und aus der klassische Teleskope mangels Photonen nichts empfangen können – aber Schwerkraft schon eine Rolle spielte.

Einstein soll auf hartem Lausitzer Granit ruhen

Für solch einen hochempfindlichen, unterirdischen Schwerkraftwellen-Empfänger wäre der harte Lausitzer Granit bestens geeignet, ist Stegmann überzeugt. Die DZA-Gründer haben daher bereits ein Spezialfahrzeug ins sorbische Cunnewitz für Probebohrungen und Schwingungsmessungen geschickt. Mit diesen Daten in petto wollen sie dann eine Fachjury überzeugen, das Einstein-Teleskop in der Lausitz zu bauen – und nicht bei den Wettbewerbern im Benelux-Raum oder in Sardinien. Wie auch immer die europäische Standort-Entscheidung im Jahr 2025 ausgeht: In jedem Fall will das DZA ein „Low Seismic Lab“ in Cunnewitz als Außenstelle einrichten.

Dirk Röhrborn ist im Vorstand von "Silicon Saxony" und leitet das Software-Unternehmen "Communardo" in Dresden. Foto: Bitkom

Dirk Röhrborn. Foto: Bitkom

Sachsens Hochtechnologie-Betriebe hoffen auf viele Aufträge

Und selbst wenn das DZA beim Standort-Wettstreit um das Superteleskop leer ausgeht, soll das Großforschungszentrum eine Vielzahl neuer Sensoren und Hightech-Messgeräte für astronomische Beobachtungen entwickeln – im besten Falle geht ein Teil der Aufträge dafür in eine dann wachsende gerätetechnische Industrie in der Lausitz. Dies erklärt vielleicht auch die recht enthusiastische Reaktion des sächsischen Hochtechnologie-Branchenverbandes „Silicon Saxony“ (Silsax), als Bund und Länder im Herbst 2022 die Entscheidung über die Milliardenzuschüsse für das DZA-Konzept bekannt gaben: „Jeder Akteur, der Weltraumdaten auswertet… wird von dem hochmodernen Datacenter und seinen Big Data und KI-Werkzeugen profitieren“, betonte Silsax-Präsident Dirk Röhrborn. „ Diese Datenressourcen in Verbindung mit den weltweit führenden Köpfen stärken Sachsens Ruf als erfolgreiche Hightech-Region. Außerdem ist die Investition eine große Chance für die Mitglieder des Hightech-Netzwerkes Silicon Saxony, für unsere Zulieferindustrie und die Forschungseinrichtungen.“

KI und neuartige Rechner-Architekturen sollen Teleskop-Datenfluten bewältigen

Weitere Impulse für Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Sachsen erwarten die DZA-Gründer durch ihre dritte Forschungssäule, die Digitalisierung: Weil moderne Großforschungsanlagen und Großteleskope soviele Daten liefern, dass damit jeden Tag ein ganzer Schrank voller Terawatt-Festplatten gefüllt werden könnte, sind neue Methoden gefragt, diese wachsenden Datenfluten zu bewältigen. Ein Ansatz dafür ist der Einsatz „Künstlicher Intelligenzen“ (KI), die gleich an den Teleskopen unnützen Datenmüll aussortieren und den Forschern nur noch die „Perlen“ in den Datenfluten präsentieren.

Adieu von Neumann?

Ein anderer, deutlich radikalerer Flügel plädiert dafür, die seit Jahrzehnten in PCs, Großrechnern, Laptops und Handys dominierende „Von Neumann“-Architektur aufzugeben, die Speicherzellen und Recheneinheiten strikt trennt. Die Ingenieure erhoffen sich nämlich einen enormen Tempozuwachs durch Computer, die aus neuronen-ähnlichen Zellen bestehen, die das speicherbasierte Rechnen („Memory Based Computing“) beherrschen – ähnlich wie die Nervenzellen-Netzwerke im menschlichen Gehirn.

Professor Christian Mayr, Leiter der Professur für Hochparallele VLSI-Systeme und Neuromikroelektronik an der TU Dresden, mit einer Mikroskop-Aufnahme von einem Spinnaker2-Prototypen. Foto: Heiko Weckbrodt

Professor Christian Mayr, Leiter der Professur für Hochparallele VLSI-Systeme und Neuromikroelektronik an der TU Dresden, mit einer Mikroskop-Aufnahme von einem Spinnaker2-Prototypen. Foto: Heiko Weckbrodt

5 neue Professuren und ein Astro-Masterstudiengang an der TU Dresden zugesagt

In Dresden gibt es bereits mehrere Projekte, die sich mit ähnlichen Themen beschäftigen, zum Beispiel das Team um Prof. Christian Mayr von der TU Dresden, aber auch Kollektive im neuen Fraunhofer-Zentrum „Cachs„. Daher ist bereits jetzt eine enge Kooperation zwischen Görlitz und Dresden absehbar. Bereits fest eingeplant sind fünf neue Professoren für Astrophysik und besondere Ingenierwissenschaften sowie ein Master-Studiengang für Astrophysik an der Dresdner Uni. Außerdem haben sich die Astrophysiker Platz für ihre Daten im Supercomputer-Komplex der TU Dresden gesichert.

1000 Jobs in Görlitz und Cunnewitz – und womöglich 3000 dazu im Umfeld

Hauptsitz des DZA wird in jedem Fall Görlitz sein. Das soll die Fachkräfte-Akquise im nahen Polen erleichtern, könnte aber auch allerlei Kooperationen ermöglichen, zum Beispiel mit dem Casus-Institut von Helmholtz oder mit Fraunhofer. Nach der Aufbauphase soll das Zentrum in Görlitz und Cunnewitz rund 1000 Menschen beschäftigen, darunter ein Drittel Forscher und zwei Drittel nichtwissenschaftliches Personal.

Auch das Klima und andere komplexe Phänomene unseres Heimatplaneten sind ein Forschungsschwerpunkt im Casus. Dafür setzen die Wissenschaftler vor allem Computersimulationen und mathematische Modelle ein. Grafik: Casus

Ebenfalls in Görlitz angesiedelt: Prozesse im All, das Erd-Klima, Seuchen, Verkehr und andere komplexe Phänomene Forschungsschwerpunkt im Casus. Dafür setzen die Wissenschaftler vor allem Computersimulationen und mathematische Modelle ein. Grafik: Casus

Weitere Umfeld-Effekte seien zu erwarten, meint Stegmann: Erfahrungsgemäß kommen auf einen Job in einem neuen Großforschungszentrum drei oder mehr Arbeitsplätze bei Zulieferern, Entwicklungspartnern und Dienstleistern bis hin zum Bäcker um die Ecke für die Frühstücksversorgung. In etwa drei Jahren könne das neue Großforschungszentrum starten, in etwa zehn Jahren komplettiert sein und „unter Volldampf“ arbeiten, schätzt der Physiker und DZA-Konzeptentwickler.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Auskünfte Stegmann und Vortrag „Von Sachsen ins Universum“, Oiger-Archiv, Silsax, Desy

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt