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Dresden soll sich auf neuromorphe Chips spezialisieren

Die Neuronen-Netze im Gehirn geben der Wissenschaft immer noch unzählige Rätsel auf: Von einem Gesamtverständnis der komplexen Prozesse im menschlichen Gehirn sind die Forscher noch weit entfernt. Abb.: DARPA

Ingenieure wollen die Neuronen-Netze im Gehirn nachbauen. Abb.: DARPA

Fraunhofer-Institutsleiter Lakner sieht gute Marktchancen künstlicher Nervenzellen für mobile KI-Lösungen

Dresden, 8. November 2019. Der Mikroelektronik- und Wissenschaftsstandort Dresden sollte einen weiteren Forschungsschwerpunkt aufbauen, der sich mit Computern der nächsten Generation beschäftigt. Das hat Prof. Hubert Lakner vom Fraunhofer-Photonikinstitut IPMS Dresden empfohlen. „Vor allem neuromorphe Computer oder Quantencomputer kommen da in Frage“, sagte er. Nutzen könnte man dafür die EU-Sonderförderprogramme für digitale Schlüsseltechnologien.

Quantencomputer machen schon andere

Dabei ist Lakner durchaus klar, dass bereits einige große Akteure das Trendthema „Quantencomputer“ bearbeiten: Die US-Konzerne IBM und Google sowie das kanadische Unternehmen D-Wave haben schon Rechenmaschinen gebaut, die Quanteneffekte nutzen, um bestimmte Aufgaben mit extrem hoher Geschwindigkeit zu lösen.

IPMS-Direktor Hubert Lakner. Abb.: FHG

IPMS-Direktor Hubert Lakner. Abb.: FHG

Bald auch neuromorphe Smartphones?

Mit künstlichen Neuronen, die sich ähnlich flexibel wie die Nervenzellen im menschlichen Gehirn vernetzen, könnten sich die Forscher und Ingenieure in der sächsischen Landeshauptstadt dagegen durchaus eine internationale Spitzenposition erarbeiten. Eine Spezialisierung auf neuromorphe Computersysteme würde einerseits helfen, Dresdens Position als ein führender europäischer Mikroelektronik-Standort auch in Zukunft zu behaupten. Andererseits sind in wenigen Jahren marktfähige und international einzigartige Produkte auf Basis künstlicher Neuronen zu erwarten.

Dezentrale Intelligenz durch Neuronen am Sensor

„Vor allem für mobile ,Künstliche Intelligenzen’, zum Beispiel an Bord autonomer Fahrzeuge, sind solche Lösungen sinnvoll“, schätzte Lakner ein. Dafür werden bisher noch klassische Bordcomputer oder Nvida-KI-Rechenmonster installiert, die die Autobatterien leersaugen und teils schon hart an der Leistungsgrenze arbeiten. Würden die Konstrukteure dagegen bereits an den Augen und Ohren der Autos ein bisschen dezentrale Intelligenz in form künstlicher Nervenzellen platzieren, könnten moderne Autos die auf sie einprassenlden Datenfluten schneller und stromsparender verarbeiten. Daher meint Lakner: „Überall dort, wo es auf geringen Energieverbrauch ankommt, und Künstliche Intelligenz beziehungsweise Maschinelles Lernen gebraucht werden, lassen sich neuromorphe Chips gut einsetzen – bis hin zu Smartphones.“

Tempo für neuromorphe Chips jenseits von „Von Neumann“

Dresden kann bereits auf einige Erfahrungen mit künstlichen Neuronen, gehirnähnlich konstruierten Rechnern und neuromorpher Software verweisen: Im europäischen Forschungsprojekt „Technology & hardware for nEuromorphic coMPuting“ (TEMPO) arbeiten das IPMS, Globalfoundries Dresden, Infineon und weitere Partner bereits an neuromorphen Chips, in denen jede Zelle – anders als in klassischen Computern – gleichermaßen Rechenwerk wie Speicher ist. Zur Debatte steht hier, die Von-Neumann-Architektur, die seit über 70 Jahren den Computerbau dominiert, womöglich aufzugeben.

Professor Christian Mayr, Leiter der Professur für Hochparallele VLSI-Systeme und Neuromikroelektronik an der TU Dresden, mit einer Platine, auf die Spinnaker2-Prototypenchips aufgelötet sind. Foto: Heiko Weckbrodt

Professor Christian Mayr, Leiter der Professur für Hochparallele VLSI-Systeme und Neuromikroelektronik an der TU Dresden, mit einer Platine, auf die Spinnaker2-Prototypenchips aufgelötet sind. Foto: Heiko Weckbrodt

Exa-Supercomputer aus künstlichen Neuronen an TU Dresden in Arbeit

Derweil haben an der TU Dresden Prof. Christian Mayr und sein Team gemeinsam mit britischen Kollegen die „Spinnaker“-Architektur im Zuge der „Human Brain Projects“ weiterentwickelt. Sie simulieren mit Smartphone-Prozessoren und einer speziellen Software die Neuronen im menschlichen Gehirn, um Computern so etwas wie menschliche Bilderkennung und Intuition beizubringen. Erst kürzlich bekam Prof. Mayr von der sächsischen Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) rund acht Millionen Euro versprochen, damit er nun einen „Spinnaker“ der Supercomputer-Klasse bauen kann. Erste Praxiseinsätze der dahinter steckenden Technologien bahnen sich jetzt für Radarsysteme in Autos an.

Jens Drews. Foto: Silicon Saxony

Jens Drews. Foto: Silicon Saxony

Künstliche Superhirne aus der Chipschmiede

Hergestellt werden die Spinnaker-Chips übrigens mit der speziellen Stromspar-Technologie „FDX“ in der Dresdner Globalfoundries-Fabrik. Auch dort kann man sich ein Cluster für neuromorphes Computing gut vorstellen: „Wir sehen das als europäisches Thema: Tragbare ,Künstliche Intelligenz’ wird künftig für viele Endgeräte gebraucht, muss aber sehr energieeffizient sein. Und gerade da hat unsere FDX-Technologie klare Vorteile“, betonte Sprecher Jens Drews. Sollte sich die Nachfrage gut entwickeln, könne man auch über eine Aufrüstung der Fabrik reden. Konkret geht es dabei um Anlagen, die Chips mit nur noch zwölf statt bisher 22 Nanometer (Millionstel Millimeter) Strukturbreite herstellen können.

Ecsel, KDT, IPCEI & Co.: Forscher wollen EU-Programme anzapfen

Um solche Vorhaben zu finanzieren, hat Prof. Lakner auch Ideen parat: Wenn Dresden einen neuen Schwerpunkt für Computersysteme der nächsten Generation aufbaue, dann könnten dafür EU-Sonderförderungen für die Mikroelektronik genutzt werden. So will die EU-Kommission ab 2021 rund 9,2 Milliarden Euro in ein Programm für digitale Schlüsseltechnologien („Key Digital Technologien“ = KDT) stecken, wobei davon rund 5,2 Milliarden für neue Supercomputer- und KI-Technologien reserviert sein sollen. KDT gilt als Nachfolger der „Ecsel“-Programme, durch die auch in Sachsen bereits einige Halbleiter-Pilotprojekte finanziert wurden und werden – darunter übrigens auch TEMPO.

Und: Eine Aufrüstung der Globalfoundries-Fabrik Dresden für die Produktion besonders effizienter und schneller künstlicher Neuronen könnten Bund und Land womöglich als „Wichtiges Projekt von gemeinsamem europäischen Interesse“ (IPCEI) einstufen. Dann wäre eine Erlaubnis der EU möglich, dieses Projekt mit bis zu 30 Prozent der Investitionssumme zu subventionieren. Derartige IPCEI-Sonderzuschüsse hatten zuletzt unter anderem Bosch die Entscheidung versüßt, eine neue milliardenteure Chipfabrik in Dresden zu bauen.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Vor-Ort-Recherchen, IPMS, Glofo, Infineon, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt