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Keine Dan-Brown-Bomben am Cern

Der weltweit größte Ringbeschleuniger LHC am CERN ist nun wieder online und soll durch verstärkte Magneten und andere Aufrüstungen doppelt soviel Energie liefern. Foto: Daniel Dominguez und Maximilien Brice, Montage: CERN

Der weltweit größte Ringbeschleuniger LHC am CERN. Foto: Daniel Dominguez und Maximilien Brice, Montage: CERN

Großforschungszentrum produziert nur 200 Mikrogramm Antimaterie pro Jahr

Genf, 14. Februar 2023. Wer den Illuminaten-Thriller von Dan Brown gelesen hat, mag leicht zur Meinung kommen, dass das europäische Teilchenphysik-Zentrum „Cern“ bei Genf eine ganz üble Antimaterie-Bombenschmiede ist. Aber auch in diesem Falle sollte man Herrn Brown nicht zu ernst nehmen: Selbst das Cern würde mit seinen derzeitigen Beschleunigern rund 1500 Jahre brauchen, um genug Antimaterie auch nur für eine Bombe von der Kraft der Hiroshima-Atombombe zu produzieren. Genaue Zähler gibt es dafür zwar nicht. Aber schätzungsweise entstehen bei den Experimenten am weltweit größten Beschleuniger-Ring, dem unterirdischen „Large Hadron Collider“ des Cern, gerade einmal rund 200 Mikrogramm Antimaterie pro Jahr. Das hat Physikprofessor und Cern-Forscher Lutz Feld von der RWTH Aachen auf Oiger-Anfrage überschlagen.

Keine Computerkunst, sondern Spuren von Antimaterie-Zerstörungen, bei denen das CERN nun Laien um PC-Rechenzeit bittet. Abb.: AEGIS

Keine Computerkunst, sondern Spuren von Antimaterie-Zerstörungen am CERN. Abb.: AEGIS

Forscher arbeiten ab mobiler Antimaterie-Falle

Das wiederum käme nach Einsteins Formel E=mc2 noch nicht mal annähernd an den Energiegehalt einer klassischen Atombombe heran. Hinzu kommt, dass zwar bei 40 Millionen Teilchen-Zusammenstößen, die pro Betriebssekunde im LHC stattfinden, zwar immer wieder mal Anti-Protonen, Positronen oder andere Antimaterie-Teilchen entstehen. Doch die reagieren sofort mit der Materie ringsum und zerstrahlen dabei gleich wieder. Mittlerweile gebe es allerdings tatsächlich Versuche, mobile Antiteilchen-Fallen zu bauen, um ein paar davon von einer Experimentierstation zur nächsten transportieren zu können, informiert Prof. Feld. Aber dabei handelt es sich um noch winzigere Mengen.

Blick durch die noch geöffneten Riesenmagnet-Tore des „Alice“-Aggregats. Im Innern werden schon bald Bleiatome mit Fast-Lichtgeschwindigkeit aufeinanderprallen und eine „Ursuppe“ kochen: Ein „Quark-Gluon-Plasma“ wie zu Zeiten des Urknalls. Heutzutage treten Quarks und Gluon-Kraftteilchen – außer in Neutronensternen – nur noch vereinigt auf, in der Ursuppe hingegen koexistierten sie. Alice ist 16 Meter hoch und 26 Meter lang.

Blick durch die Riesenmagnet-Tore des „Alice“-Aggregats, das am unterirdischen Cern-Ringbeschleuniger LHC hängt. Im Innern prallen Bleiatome mit Fast-Lichtgeschwindigkeit aufeinander und erzeugen ein „Quark-Gluon-Plasma“ wie zu Zeiten des Urknalls. Abb.: CERN

Materie-Überschuss nach Urknall hat unser Universum gerettet – aber warum eigentlich?

Antiteilchen, die elektrisch genau umgedreht gepolt sind wie „normale“ Teilchen, sind für die meisten Cern-Experimente zwar eher ein „Abfallprodukt“. Dennoch beschäftigen sich auch dort viele Physiker mit der Frage, warum es eigentlich soviel mehr Materie als Antimaterie im Kosmos gibt. Woran sich unmittelbar die Frage anschließt, warum unser Universum in dieser Form überhaupt existiert. Denn rein theoretisch hätte beim Urknall eigentlich genauso viel Antimaterie wie Materie entstehen sollen. Die hätten dann sofort miteinander reagiert und aus dem gerade erst wachsenden All eine materiefreie Strahlenwüste machen müssen. Die Praxis zeigt, dass da irgendwas anders gelaufen sein muss, dass es da wohl einen Symmetriebruch gab. Wie das kam, ist eben eine der bisher unbeantworteten großen Fragen der Physik, an deren Antworten das Cern bis heute tüftelt.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quelle: Auskunft Prof. Feld, Cern, chemie.de, 

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt