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Stromkrise: „Viele Unternehmer haben Angst, dass nun alles kaputtgeht“

Stromkabel und Energie. Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Versorger kündigen in Sachsen Verträge: Nun gibt’s Strom zum zehnfachen Preis – oder gar nicht mehr

Dresden, 28. Oktober 2022. Geschäftsführer Roland Giesen ärgert sich – und das hat mit der Energiekrise zu tun: Der regionale Versorger „Sachsenenergie“ hat dem renommierten Dresdner Automatisierungs-Unternehmen „Fabmatics“ nämlich die Stromverträge gekündigt. Und lange Zeit musste der Fabmatics-Chef fürchten, dass er künftig gar keinen Industriestrom mehr für die Fabrik bekommen würde. Nach langer Warterei kam zwar dann doch noch ein Angebot von Sachenenergie – aber mit einem von 16 auf 42 Netto-Cent pro Kilowattstunde fast verdreifachten Preis. „Von einem kommunalen Energieversorger hätte ich mir etwas mehr Rücksicht auf die regionale Wirtschaft gewünscht“, kritisiert Roland Giesen.

Roland Giesen und Andreas Purath leiten ab Herbst 2020 den sächsischen Automatisierungsspezialisten Fabmatics. Foto: Sven Claus für Fabmatics

Roland Giesen und Andreas Purath leiten den sächsischen Automatisierungsspezialisten Fabmatics. Foto: Sven Claus für Fabmatics

Neues Angebot mit Verzögerung

Sachsenenergie selbst wiegelt auf Anfrage ab: Die vertraglich vereinbarten Energiepreiskonditionen und damit Preisbindungen seien hier zum Ende des Jahres „fristgerecht“ ausgelaufen, betonte Sachsenenergie-Sprecherin Nora Weinhold. Die Vertragskündigung sei eher eine Formalie gewesen, um einen neuen Vertrag anbieten zu können. „Es ist richtig, dass das Angebot zeitverzögert kam“, räumte sie ein. „Grund dafür war leider eine längere Erkrankung des Mitarbeiters. Es war jedoch von vornherein ein neues Angebot vorgesehen.“

Lars Fiehler. Foto: IHK Dresden

Lars Fiehler. Foto: IHK Dresden

Volle Wucht der Energiekrise trifft Sachsens Industrie erst zum Jahresende

Fabmatics steht indes mit derartigen Problemen nicht allein da: Dutzende Unternehmen in Ostsachsen haben ähnliche Post von ihren Anbietern bekommen: Manche stehen nun ganz ohne Anschlussvertrag da – vor allem jene, die bei besonders billigen Klein-Versorgern gebucht hatten – oder müssen plötzlich zehnmal so viel für ihren Strom zahlen. „Bei uns häufen sich diese Meldungen“, berichtet Kammersprecher Lars Fiehler von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden. „Die ersten Beschwerden kamen von Unternehmen aus dem ostsächsischen Raum, aus dem Raum Löbau und Zittau, danach hat sich das Problem weiter bis nach Dresden vorgearbeitet. Teilweise bekommen die Firmen eine Kündigung ohne Anschlussvertrag, teilweise werden nun Preise über 70 Cent je Kilowattstunde gefordert.“ Oft treten die neuen Preise Anfang 2023 in Kraft.

Gas lässt sich durch Kohle ersetzen – Strom nicht

Jetzt zeigt sich umso deutlicher, wie sehr Strom eben vor allem für die Industrie wie ein essenzieller Lebenssaft ist: „Viele Unternehmer haben Angst, dass nun alles kaputtgeht, was sie in den vergangenen 30 Jahren seit der Wende mühsam aufgebaut haben“, erzählt Fiehler. Und anders als beim Engpass-Energieträger Gas könne ein Industrieunternehmen seinen Strom nicht beispielsweise durch verfügbare Braunkohle ersetzen. Und Solaranlagen seien auf die Schnelle auch keine Lösung: Einerseits sind die Module und vor allem Solarteure für die Installation derzeit sehr rar, anderseits können selbst komplette Solardächer auf Fabrikhallen in vielen Industriebetrieben allenfalls fünf bis zehn Prozent des Strombedarfs decken.

Strom-Grundsicherung gefordert

Angesichts der existenziellen Bedrohung, die ein Stromstopp für nahezu jeden Industriebetrieb haben kann, fordert die für Ostsachsen zuständige IHK Dresden nun eine Strom-Grundsicherung für Gewerbetreibende ähnlich wie es sie schon für Privatkunden gibt. Über diesen Punkt sei die Kammer unter anderem auch mit „Sachsenenergie“ im Kontakt, betonte Fiehler.

Um Strom über große Entfernungen zu transportieren, wird Wechselstrom auf hohe Spannungen transformiert und dann in der Nähe der Verbraucher wieder umgespannt - wie hier im Umspannwerk im Technopark Dresden-Nord. Da manche Anlagen, Geräte und Leuchten aber Gleichstrom brauchen, sind oft vor Ort noch weitere Transformationen durch Gleich- und Wechselrichter nötig. In DC-Fabriken sollen viele dieser Umwandlungen wegfallen. Foto: Heiko Weckbrodt

Umspannwerk im Technopark Dresden-Nord. Foto: Heiko Weckbrodt

Sachsenenergie: Niederspannungs-Kunden ohne Vertrag fallen automatisch in die Ersatzversorgung

Die betont wiederum: Solange die Betriebe nur Niederspannung – also Wechselspannungen bis 1000 Volt und Gleichspannungen bis 1500 Volt – brauchen und keinen neuen Vertrag abschließen, „fallen sie als Kunden der Niederspannung automatisch in die dreimonatige Ersatzversorgung des zuständigen Grundversorgers“, betont die Sachsenenergie – die in Ostsachsen und Dresden als eben solch ein Grundversorger auftritt. Für Industriebetriebe hingegen, die höhere Spannungen von mehreren Tausend Volt brauchen, also die sogenannte Mittelspannung, gibt es solch einen Grundversorgung nicht.

IHK plädiert für Bürgschaftsmodell

Hinzu kommt: Auch die Versorger selbst müssen überhaupt erst mal genug Strom einkaufen können. Das ist in normalen Zeiten kein Problem, wird für kleinere Akteure derzeit aber gelegentlich nun zum Liquiditätsproblem. Für kleinere Stadtwerke könne da womöglich auch ein Bürgschaftsmodell helfen, meint die IHK Dresden. Wenn nämlich zum Beispiel die Kommune, der Freistaat oder ein anderer Akteur gegen einen Zahlungsausfall bürgen würde, könnten sich auch kleinere Energieversorger mit kleiner Liquiditätsdecke weiter an den Börsen mit Strom eindecken. Dies könnte dann auch die Versorgungslage für die Industriekunden entspannen. Um jenseits der bloßen Stromversorgung auch die Kosten in den Griff zu bekommen, bedürfe es zudem einer Bundes-Strompreisbremse ergänzt der Dresdner IHK-Sprecher. „Wenn diese Bremse spätestens im Januar kommt, müssten wir die Kuh auch vom Eis kriegen“, meint er. Andernfalls drohe das Aus für viele Industriebetriebe, aber auch für chemische Reinigungen, viele Restaurants und andere Gewerbebetriebe.

Hoffnung auf die Strompreisbremse aus Berlin

Eine rein regionale Lösung für das Strompreis-Problem ist kaum wahrscheinlich. „Die Markt- und damit Beschaffungspreise an den Energiemärkten sind im Vergleich zu den Jahren enorm gestiegen“, heißt es dazu von „Sachsenenergie“. „Somit haben sich auch die Preiskonditionen für unsere Industriekunden im Vergleich zu den Vorjahren erhöht. Diese Gesamtsituation können wir nicht beeinflussen. Auch wir schauen erwartungsvoll Richtung Bundesregierung, ob mögliche Kostendämpfungen aus der von der Bundesregierung angekündigten Gas- und Strompreisbremse zusätzlich berücksichtigt werden können.“

Ein Mitarbeiter kontrolliert in der Fabmatics-Fabrik in Dresden einen schienengebundenen Roboter, der künftig in einer Chipfabrik die Anlagen mit Wafer-Boxen bestücken soll. Foto: Heiko Weckbrodt

Ein Mitarbeiter kontrolliert in der Fabmatics-Fabrik in Dresden einen schienengebundenen Roboter. Foto: Heiko Weckbrodt

Und ob und wie bloßes Energiesparen in dieser Lage helfen kann, ohne dass gleich die Produktion heruntergefahren wird, ist auch fraglich: Am Energieverbrauch von Fertigungsmaschinen lässt sich nicht so leicht drehen. „Wir haben unser Firmen-Logo ausgeschaltet und sparen auch sonst an allen Ecken Strom“, betont Fabmatics-Chef Gießen. „Aber damit lösen wir die Probleme nicht mal annähernd.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Auskünfte IHK Dresden, Sachsenenergie, Fabmatics, Wikipedia, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt