TU-Professor Wagenführ: Um die Bioökonomie auszubauen, müssen wir uns auch auf naturnahe Werkstoffe rückbesinnen
Dresden, 22. April 2021. Die weltweit neu entflammte Diskussion um eine neue Wirtschaftsweise, die umweltfreundlicher, weniger invasiv und effizienter funktioniert als die heutige, führt auch zu einer Rückbesinnung auf naturnahe Werkstoffe, die viele Industriezweige wie etwa Automobilbau oder Luftfahrt eigentlich längst abgeschrieben hatten. „Wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen, nachhaltiger wirtschaften und in die Bioökonomie einsteigen will, brauchen wir Holz und Papier“, ist Prof. André Wagenführ überzeugt, der an der Technischen Universität Dresden (TUD) den Lehrstuhl für Holztechnik und Faserwerkstofftechnik leitet. Und er sieht in einer „holzbasierten Bioökonomie“ viele Entwicklungsperspektiven: „Diese Branche ist durch ganz bemerkenswerte Innovationen getrieben“, betont er.
Bionische Türme wachsen in den Himmel
Dazu gehören internationale Beispiele wie bionische Türme, die wie Bäume gen Himmel wachsen, hybride Holzbrücken, Kirchenbauten aus Papierwickelhülsen oder leichte Hightech-Holzelemente, die in Elektroautos einen Teil des Akku-Gewichts ausgleichen.
Viele Forscher im Raum Dresden konzentriert
Auch Forschungseinrichtungen und Unternehmen im Großraum Dresden haben wichtige Neuerungen in diesem Sektor hervorgebracht. Zu denken ist da zum Beispiel an die Papiertechnische Stiftung Heidenau (PTS), deren Ingenieure unter anderem daran arbeiten, Plasteverpackungen durch Papierlösungen zu ersetzen. Oder an das Zuse-Institut für Holztechnologie Dresden (IHD), das deutschlandweit als ein Vorreiter der außeruniversitären Holzforschung gilt.
Holzfahrräder und Pappbetten
Und eben auch an das TUD-Institut für Naturstofftechnik, das laut Wagenführ in deutschlandweit einzigartiger Weise den Maschinenbau und die Verfahrenstechnik im Holz- und Papiersektor verbindet. Diese besondere Expertise hat zu faszinierenden Erfolgen geführt. Dazu gehört die Ausgründung „Aidbords“, die Feldbetten und andere Möbel aus speziell präparierter Wellpappe baut. Der Ableger „Linnotube“ wiederum hat mit Fahrrädern aus Holzrohren von sich reden gemacht. Und kürzlich erst stellte die Naturstoff-Ideenschmiede der TUD Kühlboxen vor, die auf Papier statt Styropor basieren. Derweil arbeiten Doktoranden am Institut schon an den nächsten Innovationen: an Holzschutzmitteln aus Salbei statt Chemie, an dekorativer Holzveredelung durch absichtlich erzeugte „Mamorfäule“ oder an Naturfarben aus Pilzen.
„Lignosax“ vernetzt Holzakteure
Um all diese Innovationskraft künftig besser in Jobs und Wertschöpfung in Sachsen umzumünzen, haben einige dieser Forscher das Netzwerk „Lignosax“ gegründet. „Wir decken bereits alles entlang der Holz-Wertschöpfungskette ab“, schätzt Prof. Wagenführ ein. In Summe beschäftige der Sektor Forst und Holz in Sachsen rund 50.000 Menschen, umfasse über 5800 Unternehmen, die zusammen auf rund 3,4 Milliarden Euro Umsatz kommen. Dazu gehören international bekannte Betriebe wie die Deutschen Werkstätten Hellerau, die Luxusjachten für die „Schönen und Reichen“ ausstatten, aber auch außerhalb der Branche wenig bekannte „Hidden Champions“ wie Kronspan und Kronochem Lampertswalde, die zu den weltweit führenden Anbietern von Holzwerkstoffen und Holzklebstoffen gehören, aber auch Tüftler aus dem Handwerk, die beispielsweise CNC-Fräsen aus Holz statt Stahl gebaut haben.
Viel Potenzial für Sachsen
Uni-Professor Wagenführ sieht noch viel mehr wissenschaftliches und ökonomisches Potenzial in Sachsen schlummern. „Man kann hier ganz klar von einer Renaissance des Werkstoffs Holz sprechen“, sagt er. „Das lässt sich in der Autoindustrie beobachten, im Schienenfahrzeugbau, in den Baugewerken und geht bis hin zum Maschinenbau.“
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Interview Prof. Wagenführ, TUD, Lignosax, Thünen-Bericht: Clusterstatistik Forst und Holz
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