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DDR und Wende? Weit, weit weg

Gehört zur ostdeutschen Millennium-Generation: Julia Buchwitz aus Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Gehört zur ostdeutschen Millennium-Generation: Julia Buchwitz aus Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Julia Buchwitz wurde eine Dekade nach der Wende geboren – als Ostdeutsche empfindet sich die Geschichtsstudentin nicht.

Dresden, 8. November 2019. Für Julia Buchwitz ist „die Wende“ eine jener alten Storys, von denen man vage in der Schule hört oder mit denen immer wieder die Großeltern anfangen. Als sie kurz nach einer lautknallenden Millennium-Silvesternacht schreiend zur Welt kam, war die DDR längst passé. Da bewegten längst Telekom-Aktien und geplatzte Börsenblasen die Dresdner, die Benzinpreise und Harry Potters Feuerkelch, die Infineon-Investitionen in Klotzsche und das neue Großkino am Schillerplatz, die Rinderwahn-Wurst und andere Alltagsaufreger. Der Kampf gegen SED-Schergen war abgehakt.

„Ich glaub nicht, dass mich meine Tochter mal fragt: Wie ist das in der DDR gewesen?“

Schon als Baby war Julia das erste Mal in die Zeitung, auf einem Foto in den Armen ihrer Mutter: Die Dresdner Neuesten Nachrichten (DNN) hatten damals ihre Mutter Jana interviewt, wie die Wende deren Leben verändert habe. Zuletzt gefragt, was vom DDR-Teil ihres Lebens wohl bleibe, antwortete Mutter Jana damals: „Wahrscheinlich überhaupt nichts. Ich glaub nicht, dass mich meine Tochter mal fragt: Wie ist das in der DDR gewesen?“

Positives Bild im Geschichtsunterricht: Das Volk brach zur Demokratie auf

Nun, es ist etwas anders gekommen: Seitdem sind knapp zwei Jahrzehnte vergangen und Julia ist inzwischen selbst erwachsen. „Das Thema interessiert mich sehr – auch wenn ich keinen persönlichen Bezug zu DDR und Wende habe“, sagt die TU-Studentin, die sich auf eine Zukunft als Geschichtslehrerin vorbereitet. „In der Schule kam die Wende bei uns nur ganz kurz dran“, erzählt die 19-Jährige. „Da wurde ein recht positives Bild gezeichnet: Das Volk brach zur Demokratie auf. Von meinem Vater habe ich aber gehört, dass das nur ein Teil der Geschichte war: Die Leute wollten einfach die bunte Westwelt haben, hat er gemeint.“

Wenn Opa über das Damals erzählt, wird viel gelacht

Vieles über DDR und Wende habe sie krümelweise bei Familientreffen mitbekommen, wenn Gespräche unweigerlich um das „Damals“ zu kreisen begannen. „Wenn Opa darüber erzählt hat, wurde immer viel gelacht“, erinnert sich Julia. Vielleicht sei gerade das Lächerliche im und am SED-Staat das gewesen, was haften bleibe, mutmaßt sie.

Was wäre wenn…?

Manchmal habe sie schon darüber nachgedacht, sagt sie, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn alles anders gekommen wäre: Wenn die Leute damals nicht auf die Straße gegangen und die kommunistische Staatsmacht das Feld nicht geräumt hätte. „Ich denke, ich hätte trotzdem studiert“, überlegt Julia. „Aber hätte ich damals Lehrerin werden wollen? Lehrer in der DDR war ja doch was anderes als heute.“ Auch ans Reisen und an ihre digitale Lebenswelt denkt sie dabei: „Klassenausflug nach Frankreich oder mit der Familie nach Italien? Wohl eher nicht. Und ein Smartphone hätte es wahrscheinlich auch nicht gegeben…“

. „An der Uni bin ich jeden Tag mit Menschen aus ganz Deutschland zusammen“

Bleibt die selbe Frage wie die an die Mutter: Was bleibt? Gibt es überhaupt noch einen Nährboden für eine spezifisch ostdeutsche Identität, wenn die gemeinsame Klammer der DDR-Sozialisierung nur noch eine ferne Erzählung ist? „Ich empfinde mich als Deutsche, nicht speziell als Ostdeutsche oder als Sächsin“, sagt Julia nach kurzem Zögern sehr bestimmt. „An der Uni bin ich jeden Tag mit Menschen aus ganz Deutschland zusammen. Die Dozenten sprechen hochdeutsch. Wenn ich mich mit Kommilitonen unterhalte, die aus dem Westen hergekommen sind, sehe und höre ich keine Unterschiede zwischen Ost und West.“ Soziale Kontakte sind ihr wichtig im Leben, betont die Studentin, auch Einfühlungsvermögen und die Chance, die Welt mit eigenen Augen zu sehen, zu reisen. Da ist mehr Verbindendes als Trennendes zu jungen Menschen, die aus Bayern, aus dem Ruhrpott oder Schwaben oder von der Küste kommen.

Im Unterricht mehr über das Leben in der DDR erzählen

Doch sie habe auch schon anderes gehört: „Ich habe Freunde, die sind in den Westen gegangen, um zu studieren. Die müssen sich dort schon Kommentare anhören wie: Was, Du kommst aus Dresden? Das sind doch alles Rassisten und Pegida-Leute…“ Irgendwann werden sich all die Ossi-Wessi-Stereotypen aber überlebt haben, ist die Lehrerin in spe überzeugt – und hat da eine eigene Mission entdeckt: „Man sollte schon in der Schule ansetzen“, sagt sie. „Den Tenor bei uns im Geschichtsunterricht habe ich so empfunden: Der Osten war schlecht, der Westen war toll. Vielleicht würde es schon helfen, wenn über das Leben in der DDR ein bisschen mehr in der Schule erzählt würde als nur, dass es da Stasi und Scheindemokratie gab.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt