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Elektrischer Morpheus kämpft gegen den Weltraumschrott

Die Visualisierung zeigt Satellit Uwe 4 von der Uni Würzburg mit gezündeten Morpheus-Triebwerken. Visualisierung: Uni Würzburg

Die Visualisierung zeigt Satellit Uwe 4 von der Uni Würzburg mit gezündeten Morpheus-Triebwerken. Visualisierung: Uni Würzburg

Dresdner TU-Ingenieure machen mit weltweit kleinstem Ionenantrieb die Nanosatelliten manövrierfähig

Dresden, 14. März 2019. Der junge Raumfahrt-Zulieferer „Morpheus“ will in Dresden eine Produktionsstätte für innovative Satelliten-Antriebe einrichten. Das hat Morpheus-Chef Daniel Bock  angekündigt. Herstellen will die Ausgründung der Technischen Universität Dresden (TUD) dort das laut eigenen Angaben weltweit kleinste elektrische Ionen-Triebwerk.

Denn im Kampf gegen Weltraumschrott ist den Dresdner Ingenieuren ein wichtiger technologischer Fortschritt gelungen: Die „Morpheus“-Experten haben an Bord des Nanosatelliten „Uwe 4“ der Uni Würzburg neuartige elektrische Miniatur-Ionenantriebe erfolgreich im All gezündet. Dabei handelt es sich um Triebwerke von der Größe eines Näh-Fingerhutes, die mit wenigen Gramm Flüssigmetall betankt werden und damit bis zu zehn Jahre aktionsfähig bleiben sollen. „Das ist ein Weltrekord“, erklärte Morpheus-Chef Bock. „Damit sind wir der Konkurrenz Jahre voraus.“

Nanosats bisher nicht steuerbar

Denn diese Triebwerke machen bisher antriebslose Kleinst-Satelliten endlich steuerbar. Dadurch kann der jeweilige Betreiber die künstlichen Erdtrabanten nach Missionsende kontrolliert dazu bringen, in der Erdatmosphäre zu verglühen – um zu vermeiden, dass sie noch jahrzehntelang als toter Schrott die Umlaufbahnen vermüllen.

Daniel Bock von Morpheus Dresden zeigt die - ursprünglich an der TU Dresden - entwickelten elektrischen Ionen-Triebwerke für nanosatelliten. Links die etwas größere und stärkere Variante, rechts der Mikroantrieb für besonders kleine Satelliten. Foto: Heiko Weckbrodt

Daniel Bock von Morpheus Dresden zeigt die – ursprünglich an der TU Dresden – entwickelten elektrischen Ionen-Triebwerke für nanosatelliten. Links die etwas größere und stärkere Variante, rechts der Mikroantrieb für besonders kleine Satelliten. Foto: Heiko Weckbrodt

Tausende neue Starts zu erwarten

Den Bedarf für solch eine Technologie schätzt Bock als erheblich ein. „Im vergangenen Jahr wurden fast 300 Nanosatelliten in den Orbit geschossen. Und wenn man sich die bisherigen Ankündigungen so ansieht, werden in den nächsten Jahren mehrere Tausend dazukommen.“

Eigene Raketenwirtschaft rund um Nanosats entstanden

Die Nanosatelliten sind eine noch junge Klasse künstlicher Erdtrabanten, die vor etwa 20 Jahren entstand. Und das kam so: Ähnlich wie Autoräder ausgewuchtet werden, um schön rund zu laufen, müssen Raumschiffe, Satelliten und andere kosmische Nutzlasten möglichst gleichmäßig an der Spitze einer Rakete verteilt werden, um die Taumelgefahr zu mindern. Ursprünglich hatten Roskosmos, Nasa, Esa und anderen Raumfahrtagenturen dafür Blei verwendet. Irgendwann erkannten sie aber die zusätzliche Einnahmequelle: Statt sinnlos Blei ins All zu schießen, boten sie diesen Platz für Unis und junge Firmen an, die nur kleine Aggregate in den Orbit bringen wollten. Oft handelt es sich dabei um sogenannte Cubesats: Würfel mit etwa zehn Zentimetern Kantenlänge und ein bis zwei Kilogramm Masse.

Inzwischen mehr als nur ein Beigewicht

Inzwischen hat sich daraus ein florierendes Geschäft entwickelt. Und längst sind die Nanosatelliten keine reine Nebenlast für Großraketen mehr: Immer mehr Institute und Unternehmen entwickeln Kleinraketen, die ausreichend stark genug sind, um nur solche Kleinstsatelliten in einen niedrigen Orbit zu bringen.

Das Gründerteam von Morpheus. Foto: Morpheus

Das Gründerteam von Morpheus. Von links nach rechts: Christian Boy, Christian Schunk, István Lőrincz, Daniel Bock und Phlipp Laufer. Foto: Morpheus Space GmbH

Nicht genug Platz und Saft für klassische Ionenantriebe

Und an diesem Punkt beginnt das Problem: Anders als in die tonnenschweren Satelliten von TV-Netzen, Geheimdiensten & Co. passt in solche Würfel kein herkömmlicher Kaltgas- oder Ionenantrieb: Die Mini-Satelliten sind dafür zu klein und zu energiearm. Durch ihre Solarzellen gewinnen sie nur ein paar Watt, um ihre Instrumente zu versorgen. Für einen Antrieb würde nur soviel Energie bleiben, wie eine kleine LED-Lampe schluckt. Daher haben Nano-Sats in aller Regel keine eigenen Triebwerke. Einmal von einer Rakete ausgeworfen, kreisen sie stur in ihrer Umlaufbahn, bis die natürliche Schwerkraft sie Jahrzehnte später in die Erdatmosphäre zerrt.

Schrottmantel droht Erde abzuschirmen

„Das wird zu einem Riesenproblem“, betonte Morpheus-Geschäftsführer Bock: Schon bald könnten die niedrigen Umlaufbahnen durch Tausende aufgegebener Nano-Satelliten unbrauchbar werden. Im schlimmsten Falle werden deren Trümmer einen Schrottmantel um die Erde legen, durch den Raketen dann auch nicht mehr in höhere Orbits durchdringen können. Dies würde die gesamte Raumfahrt gefährden – mit gravierenden Folgen für Navi-Systeme, Satelliten-Telefonie, Fernsehen, Umweltbeobachtung und Wetterprognosen.

Komplexe Software-Pakete geplant

Daher wollen die „Morpheus“-Ingenieure neben ihren innovativen Kleinstantrieben auch besondere kosmische Dienstleistungen ihre Kunden anbieten. Dazu gehören Computerprogramme, die Zusammenstöße der Nanosatelliten mit Weltraumtrümmern vermeiden, indem sie automatisch die Triebwerke zünden. Ein weiterer Dienst soll später auch „Agil Constellations“ ermöglichen: Eine Software, die dank komplizierter Berechnungen ganze Satelliten-Schwärme im All neu ausrichten kann, um ihnen zum Beispiel neue Beobachtungs-Aufgaben zuzuweisen.

Morpheus – der Träumer und Gestaltwandler

Aus dieser Idee heraus ist übrigens auch der Firmenname zu verstehen: Morpheus steht einerseits für einen Traum, ist er doch in der griechischen Mythologie als Gott des Traumes. Anderseits gilt er auch als Gestaltwandler – und da kommen wieder die „agilen Konstellationen“ der Schwarmsatelliten ins Spiel.

Tüftelei seit 7 Jahren

Mit diesem ganzen Themenkomplex beschäftigt sich Bock bereits seit sieben Jahren, seit seinem Studium am Lehrstuhl für Raumfahrtsysteme von Professor Martin Tajmar an der Technischen Universität Dresden (TUD). Besonders die elektrischen Feldemissions-Ionenantriebe, englisch „FEEP“ abgekürzt, hatten es ihm angetan. Immer weiter verfeinerte und miniaturisierte er sein Konzept und entwickelte schließlich den weltweit kleinsten Ionenstrahlantrieb.

Wenige Gramm Metall-Treibstoff reichen für 10 Jahre

Diese Triebwerke bestehen aus einem Verbund verschiedener Metalle. Herzstück ist eine Nadel, die mit wenigen Gramm Gallium beschichtet ist. Dieses Metall schmilzt bereits bei Raumtemperatur, bei knapp 30 Grad Celsius. Eingebaut ist auch eine Hochspannungsquelle, die mit mehreren Tausend Volt ein starkes elektrisches Feld erzeugt. Dieses Feld reißt aus den Gallium-Atomen die Elektronen und schleudert die verbleibenden Rumpfatome („Ionen“) mit etwa 360.000 Stundenkilometern ins All.

„Nachhaltigere Raumfahrt“ im Blick

Durch die reaktionsschnelle elektrische Steuerung kann ein solcherart ausgerüsteter Nanosatellit schnell Trümmern in seiner Bahn ausweichen, ja sogar noch einige Hundert Kilometer höher steigen, braucht also nicht ganz so teure und starke Raketen für den Start. Und: Hat der Würfel nach zwei, drei Jahren seine Mission beendet, schickt der Antrieb den Satelliten zur Selbstzerstörung in die Erdatmosphäre. „Unser Triebwerk deckt mit seinen paar Gramm metallischem Treibstoff einen ganzen Satelliten-Lebenszyklus ab – und sorgt für eine nachhaltigere Raumfahrt“, betont Daniel Bock.

„Vorsprung von mehreren Jahren“

Vor einer kopierfreudigen Konkurrenz hat er keine Angst: „Alles ist patentiert und wir haben einen Vorsprung von mehreren Jahren“, schätzt er ein. 2018 gründete er deshalb mit einer Handvoll Gleichgesinnter, die sich von Rückschlägen und langen Durststrecken nicht abschrecken ließen, die Firma „Morpheus“. Wenn die aktuellen Funktionstests im All mit Satelliten der Uni Würzburg und demnächst der TUD abgeschlossen sind, wollen sie eine Produktionsstätte einrichten. Dort möchten sie künftig jedes Jahr Hunderte Ionenantriebe für Nanosatelliten bauen. Der Standort stehe noch nicht fest, aber: „Wir wollen in Dresden bleiben und hier auch Arbeitsplätze schaffen“, sagt Bock. In etwa drei Jahren soll das Unternehmen eine Belegschaft von 20 bis 30 Mitarbeitern kommen. Und hinter dem „Morpheus“-Projekt steht ein noch größerer Traum: „Womöglich gelingt es uns, ein industrielles Raumfahrt-Zentrum in Sachsen zu schaffen.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt