Vom Haudrauf zum Selbstzweifler – neuer 3D-Shooter aus der Wolfenstein-Reihe veröffentlicht
Wenn US-Elitesoldat Blazkowicz irgendwo auftaucht, dann kracht es ganz gewaltig und bald liegt die halbe Stadt in Trümmern. Dieser Tradition ist das nun veröffentlichte Computerspiel „Wolfenstein II – The New Colossus“ treu geblieben. Ansonsten aber hat die 3D-Actionspielserie „Wolfenstein“ in den vergangenen 25 Jahren eine ganz erstaunliche Metamorphose durchgemacht, die archetypisch für das gesamte Genre steht.
1. Wolfenstein 3D begründete Egoshooter-Genre mit
Wir erinnern uns: Das grobpixelige Haudrauf-Spiel „Wolfenstein 3D“ war 1992 eines der allerersten 3D-Actionspiele. Noch auf Diskette ausgeliefert und auf MS-DOS lauffähig, war das erste „Wolfenstein“ bereits enorm erfolgreich, obwohl – oder gerade weil – in Deutschland verboten war: „id Software“ („Doom“, „Quake“) malte damals überall Hakenkreuze ins Spielelabyrinth und drückte dem Spieler das virtuelle Trommel-MG in die Hand, um brutal-fröhlich deutsche Schergen und Herrn Hitler persönlich zu massakrieren. An eine Story-Entwicklung verschwendeten die Genre-Pioniere damals keine Mühe – schließlich ging es darum, reuelos Nazis zu töten.
Werbevideo (Bethesda):
Alternative Zeitlinie: Die Nazis haben den Krieg gewonnen
Ganz anders im neuesten Teil dieser Reihe, der die alternative Menschheitsgeschichte aus dem Vorgänger „The New Order“ weiterspinnt: Deutschland hat in dieser Zeitlinie den II. Weltkrieg mit Nuklearbomben gewonnen und beherrscht Anfang der 60er Jahre fast die ganze Welt. An Agent Blazkowicz ist es nun, Hitlers atomare V-Waffen unter Kontrolle zu bringen und eine Rebellion gegen die Nazis in den USA anzuzetteln.
Klaustrophobisch, todessehnsüchtig, Steampunkig
Doch dieser Blazkowicz ist kein Haudrauf mehr, eher ein fragiler Golem, der jeden Moment auseinanderzubrechen droht. Ohne die stützenden Exo-Skelette des Kreisauer Kreises könnte er nur noch kriechen oder den eigenen Rollstuhl schieben. Wenn er sich den Weg durch die klaustrophobischen Gänge deutscher Atom-U-Boote und fliegender Nazi-Festungen freiballert, dann zerfressen ihn Selbstzweifel und Todessehnsucht. Und wenn er in Schlafkojen zwischen den Stahlwänden sehnende Ansichtskarten deutscher U-Boot-Fahrer an Angehörige findet, hilft das nicht unbedingt beim reuelosen Töten.
Exzesse einer entmenschlichten Welt
Um Missverständnisse zu vermeiden: Auch im neuen Wolfenstein darf sich der Spieler mit allerlei exotischen Wummen austoben, mit Beilen werfen, mit Flammwerfern und Lasern ein mittleres Inferno entfesseln. Auch hier geht es brutal und manchmal hart am Rande der Indizierung zu, wenn wir etwa mit ansehen müssen wie eine Widerstandskämpferin erst geköpft und ihr Schädel dann mit einem Stahltritt zerschmettert wird. Doch all diese expliziten Darstellungen wirken nur gelegentlich so, als ab die Spieledesigner allein die blutigen Erwartungen der Fan-Gemeinde bedienen wollten: Diese Brutalismen sind Teil einer entmenschlichten Steampunk-Welt, in der alle Hoffnung verloren scheint. Um einem Verbot zu entgehen, sind übrigens in der deutschen Spiel-Version alle direkten Nazi-Bezüge und -Symbole entfernt.
Fazit: faszinierend
Wesentliche spielerische oder grafiktechnische Innovationen fallen im neuen „Wolfenstein“ nicht auf. Dennoch gehört es zu den faszinierenderen Ego-Shootern der letzten Jahre: Durch seine Steampunk-Optik, die originellen Szenerien und die starke Story-Entwicklung steht es eher in der Tradition von „Bioshock“ als von „Wolfenstein 3D“. Der Preis ist allerdings knackig.
- Titel: „Wolfenstein II – The New Colossus“
- Genre: Ego-Shooter
- Plattformen: PC (Steam), XBox One, PS4
- Entwickler: MachineGames Schweden
- Verlag: Bethesda Softworks
- Grafik-Engine: id Tech 6
- Erschienen: Oktober 2017
- Altersfreigabe: USK 18
- Preis: ca. 60 Euro
Rezension: Heiko Weckbrodt
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