Technologie soll bei Mars- und Kometenerkundungen helfen
Dresden, 12. April 2017. Um den Mars und andere ferne Planeten zu erkunden, können Astronomen möglicherweise schon bald nicht nur auffaltbare, sondern auch aufblasbare Riesenantennen im Weltall nutzen. An solch einer Technologie arbeiten derzeit Nachwuchs-Ingenieure der TU Dresden. Sie wollen später ein Unternehmen gründen, das diese Aufblas-Antennen an ESA, Roskosmos, NASA und andere Raumfahrtagenturen verkauft oder lizenziert. Dass ihr Konzept im Grundsatz funktioniert, haben sie nun mit einem Raketenstart im kalten schwedischen Norden bewiesen: Die 7,5 Meter lange Dipol-Antenne entfaltete sich rund 86 Kilometer Kilometer über der Erde und begann zu funken. „Wir waren sehr glücklich, als wir festgestellt haben, dass unser Experiment funktioniert“, berichtet Doktorand Evgeniy Zakutin.
Ein Jahr Vorbereitung bis zum Start
Bis dahin legte das Uni-Team indes nicht nur einen mit rund 2500 Kilometern ziemlich weiten Weg von Dresden zum schwedischen Weltraumbahnhof Esrange zurück, sondern auch einen im übertragenen Sinne recht langwierigen Pfad. „Ein Jahr lang haben wir nur auf diesen Start hingearbeitet“, sagt Ulrich Nordmeyer vom Projektteam „DIANE“. Sie suchten nach robusten Ventilen, die den starken Vibrationen eines Raketenstarts standhalten, entwickelten ein Gasdruck-System und die Elektronik für ihre Antenne. „Das war schon eine Herausforderung, so lange und gewissenhaft zu arbeiten, um erst nach so langer Zeit das Ergebnis zu bekommen“, sagt Nordmeyer. Andererseits sei es ein tolles Gefühl gewesen zu sehen, dass sich all die Sorgfalt und Tüftelei gelohnt habe.
Video vom Aufblastest im Labor (TUD):
Hülle mit TPU-Kunststoff abgedichtet
Der Projektname DIANE ist eine Abkürzung von „Dipole Inflatable ANtenna Experiment“ und soll ein neues Kapitel der satellitengestützten Erderkundung und Weltraumforschung aufschlagen. Das Grundkonzept: Astronomen und Raumfahrer brauchen möglichst große Radar-Antennen, um die Oberfläche ferner Himmelskörper so präzise wie möglich untersuchen zu können, bevor Menschen dort landen. Statt nun aber immer größere und schwerere Antennen mit immer teureren und stärkeren Raketen ins All zu schießen, konstruieren die Dresdner ihre Antennen aus biegsamen Materialien – aus Nylon oder anderen Textilien, die sie mit dem Kunststoff Tetrapolyurethan (TPU) abdichten und teils mit Epoxidharz bestreichen.
UV-Strahlen der Sonne machen die Form hart
Zusammengelegt sind diese Antennen klein und leicht und können dadurch mit vergleichsweise geringem Aufwand ins All gebracht werden. Erst dort strömt Stickstoff in die Hülle. Die Antenne nimmt dann ihre endgültige Form an und das Epoxidharz härtet im ultravioletten Strahlenbeschuss durch die Sonne rasch aus. Ist die Hülle einmal hart, macht es auch nichts mehr aus, wenn einer der vielen Mikrometeoriten im All die Antenne trifft: Der Stickstoff kann dann zwar entweichen, die Form aber bleibt stabil.
Vom Ballon zur Rakete
In einem ersten Experiment namens „InTex“ hatten die jungen Ingenieure nur diesen Aushärt-Prozess getestet: Zunächst mit einer einfachen Antenne, die sie mit einem Wetterballon in die oberen Schichten der Erdatmosphäre brachten, entfalteten und aushärteten. Das zweite Experiment war schwieriger, weil diesmal eine größere Antenne aufzublasen war: Um eine 7,5 Meter lange Dipolantenne bis ins All zu bringen, benötigten die Dresdner eine Rakete.
Weltraumbahnhof im hohen Norden
Dafür brachen Mitte März die fünf jungen Dresdner gen Schweden auf. Zusammen mit Initiator Evgeniy Zakutin stiegen die Elektrotechnik-Studenten Thilo Zirnstein, Timo Fuckner und Ulrich Nordmeyer sowie Physikstudentin Nadin Rößler ins Flugzeug. Erst nach Stockholm, dann per Binnenflug weiter zur nördlichsten Stadt Schwedens, nach Kiruna. Von dort aus ging es mit dem Mietwagen weiter, zum schwedischen Weltraumbahnhof Esrange, rund 200 Kilometer nördlich vom Polarkreis.
Countdown wegen Schnee und Nebel gestoppt
„Die ersten Tage war es richtig kalt, rund minus 25 Grad“, erinnert sich Timo Fuckner. An ungünstigem Wetter scheiterte dann auch der erste Starttermin am 14. März. „Im Zielgebiet, wo der Helikopter die Nutzlast nach dem Flug bergen sollte, hatten sich Schnee und Nebel geballt, deshalb haben die Kollegen den Countdown gestoppt und den Raketenstart verschoben“, erzählt Ulrich Nordmeyer. Am 15. März war es dann soweit: moderate 8 Grad minus, aber kein Nebel mehr. Zwei aus dem Team verschanzten sich auf einem Beobachtungshügel zwei Kilometer vom Startplatz, die anderen überwachten die Mission vom Kontrollzentrum Esrange aus. Und dann wurde es richtig aufregend.
Das Raketenprogramm im hohen Norden (Video: Rexus-Bexus):
Aus Flugabwehr-System wurde Forschungsrakete
Ein Hauch von Cape Canaveral und Baikonur kam auf, als die Sirenen dröhnten und die Motoren der „Improved Orion“-Rakete zündeten. „Der Raketenmotor stammt von einem amerikanischen Flugabwehrsystem aus den sechziger Jahren“ erzählt Student Fuckner. „Die Schweden haben davon mehrere nach dem Kalten Krieg gekauft, die nun friedlichen Forschungszwecken dienen.“
Startplattform für Studenten
Dafür haben sich drei Raumfahrtagenturen zusammen getan: das schwedische SNSB, das deutsche DLR und die europäische ESA. Gemeinsam haben sie das Programm mit dem Namen „Rexus-Bexus“ („Rocket/Balloon Experiments for University Students“) aufgelegt, das ehrgeizigen Studenten die Möglichkeit bietet, mit Raketen und Höhenballons eigene Raumfahrtprojekte zu testen.
Ausgründung nicht ausgeschlossen
Und diese Chance hat auch das DIANE-Team aus Sachsen genutzt: Ihre Antenne blies sich wie geplant im All auf und sendete Signale, die von Funkamateuren empfangen wurden. Nun wollen Evgeniy Zakutin und seine Mitstreiter die gewonnenen Daten auswerten und mathematische Modelle für den Antennentransfer entwickeln. Und wenn sie das Geld dafür auftreiben können, möchten sie in einem dritten Experiment die beiden vorangegangenen Tests kombinieren und im All eine Großantenne aufblasen und dort gleichzeitig auch aushärten. Den nächsten Schritt hat der gebürtige Russe Zakutin schon vor Augen: Er will nach seiner Promotion in der Raumfahrtbranche weitermachen und seine aufblasbaren Antennen vermarkten – und dafür am liebsten hier ein eigenes Unternehmen gründen.
Autor: Heiko Weckbrodt
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