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Größter Lohnraub der DDR

Oben: Der Wartburg, aus dem die makierten Motorradfahrer vor dem Kraftwerks-Tor den Geldkoffer raubten. Unten links: Die Garage mit dem Motorrad. Unten rechts: Der zerschnittene Beutekoffer. Fotos: Archiv Sobierajski, repro: Heiko Weckbrodt

Oben: Der Wartburg, aus dem die maskierten Motorradfahrer vor dem Kraftwerks-Tor den Geldkoffer raubten. Unten links: Die Garage mit dem Motorrad. Unten rechts: Der zerschnittene Beutekoffer. Fotos: Archiv Sobierajski, Repro: Heiko Weckbrodt

1977 erbeuteten Maskierte 400.000 Mark vor dem Kraftwerk Nossener Brücke – ein Teil der Beute ist bis heute verschollen

Dresden, 15. Juni 1977/2016. 8:25 Uhr: Der Morgen ist noch jung an diesem 15. Juni, als ein Wartburg vor der Pforte zum Heizkraftwerk Nossener Brücke im Dresdner Westen hält. Zwei Buchhalterinnen sind im Auto, ein Fahrer, ein weiterer Mann und ein Koffer. Alles sieht nach Routine aus: Wie jeden Monat haben die Damen eben bei der Bank die Lohngelder abgeholt, die den Kraftwerkern zur Monatsmitte bar ausgezahlt werden sollen. Der Pförtner will die Schranke öffnen – und dann geht alles ganz schnell: Zwei Maskierte brausen mit einem Motorrad heran, sprühen dem Mann am Lenkrad eine augenreizende Flüssigkeit ins Gesicht, reißen den Koffer aus dem Wartburg und rasen so schnell davon, wie sie gekommen sind… Genau 39 Jahre ist es nun her, dass zwei Banditen beim größten Lohnraub in der DDR-Geschichte rund 400.000 Mark erbeuteten. Ein Teil der Beute ist bis heute verschollen, der Fall insofern immer noch nicht vollständig aufgeklärt.

Hund und Hubschrauber versagten

„Die Dresdner Polizei hat damals Hunde eingesetzt, Straßensperren errichtet, mit Rasterfahndung gearbeitet, sogar mit einem Hubschrauber den Plauenschen Grund abgesucht – aber alles blieb zunächst erfolglos“, erinnert sich der pensionierte Hauptkommissar Karl-Heinz Sobierajski. Damals, 1977, war er 39 Jahre alt und galt als begabter Phantomzeichner. „Ich wurde erst im Nachhinein hinzugezogen“, sagt er. „Ich sollte Phantombilder der beiden Räuber anfertigen. Ein Kollege und ich haben dafür die vier Insassen des Wartburgs noch mal ausführlich befragt.“ Von daher bekam Karl-Heinz Sobierajski rasch Einblick in viele Details dieses spektakulären Raubes, Kollegen erzählten ihm später auch über die weiteren Ermittlungen.

Karl-Heinz Sobierajski fertigte damals die Phantom-Zeichnungen an. Foto: Heiko Weckbrodt

Karl-Heinz Sobierajski fertigte damals die Phantom-Zeichnungen an. Foto: Heiko Weckbrodt

Sonderkommission mit 200 Polizisten gebildet

Die verliefen aber zunächst sehr schleppend – trotz des enormen Personalaufwandes, den die Staatsmacht in den Fall investierte: Die Polizei gründete eine Sonderkommission mit über 200 Kriminalisten. Zeitweise waren über 1000 Polizisten in die Suche nach den verschwundenen Lohngeldern involviert. Auch die Stasi und die SED-Bezirksleitung schalteten sich ein. Die Stasi-Leute seien allerdings eher „faule Hunde“ gewesen, meint Hauptkommissar Wolfgang Schütze, der in der Polizeidirektion Dresden heute die kriminalpolizeilichen Sammlungen betreut: „Die haben unsere Ermittlungen ausgewertet, selbst aber kaum etwas unternommen.“

Kinder fanden den Beute-Koffer

Dann aber half der legendäre „Kommissar Zufall“ und das gleich mehrfach: Nach einem Zeugenaufruf meldete ein Anwohner, dass an einer Garage in Dresden-Niedersedlitz ein herrenloses Motorrad stehe, und das entpuppte sich bald als das Tatfahrzeug. Wenig später entdeckten spielende Kinder einen aufgeschnittenen Koffer – es war genau das Gepäckstück, in dem sich die Lohngelder befunden hatten. Doch von dem Geld selbst fehlte zunächst weiter jede Spur.

Einer der verurteilten Räuber. Vermutlich gab es noch einen dritten Beteiligten. Repro: hw

Einer der verurteilten Räuber. Vermutlich gab es noch einen dritten Beteiligten. Repro: hw

Verdächtige hatten Alibi

Nach über 1000 Hinweisen aus der Bevölkerung nahm die Sonderkommission doch zwei Verdächtige fest, musste sie bald aber wieder laufen lassen: Mit ihren Stempelkarten konnten die beiden nachweisen, dass sie zur Tatzeit arbeiten waren.

Voyeurismus und Zufall helfen der Polizei

Ein halbes Jahr später war es ein Mix aus Voyeurismus und Zufall, der den Ermittlungen zum Durchbruch verhalf. Nahe Glashütte im Erzgebirge gibt es nämlich ein Wäldchen, das unter Anliegern damals als Treff für Liebespaare bekannt war. Als dort eines Tages ein Mann aus einem Auto stieg und im Wald verschwand, schlichen ihm heimlich ein paar Mitarbeiter einer Auspuff-Firma hinterher, in der Hoffnung, bald auch eine nackte Frau zu sehen. Statt Sex sahen die Voyeure aber den Unbekannten, wie er im Waldboden grub. Das meldeten sie der Polizei. Die durchsuchte den Wald und fand dort Münzen und Geldbanderolen vom Lohnraub.

Oben: Die Phantombilder und späteren Verdächtigen-Fotos. Mitte: Das Waldstück bei Glashütte und ein vergrabener Geldbehälter. Unten: Volkspolizisten zählen die sichergestellte Beute. Abb.: Polizeiliche Sammlungen der PD Dresden, Repro: hw

Oben: Die Phantombilder und späteren Verdächtigen-Fotos. Mitte: Das Waldstück bei Glashütte und ein vergrabener Geldbehälter. Unten: Volkspolizisten zählen die sichergestellte Beute. Abb.: Polizeiliche Sammlungen der PD Dresden, Repro: hw

Seelenruhig durch Polizeisperren gegondelt

Die Spur führte nun zurück zu den bereits früher ermittelten Verdächtigen. Die legten unter der Last der Beweise schließlich Geständnisse ab. Sie hatten demnach den Coup langfristig geplant, aber auch mit viel mehr Beute gerechnet als „nur“ 400.000 DDR-Mark. Die Straßensperren, die die Dresdner Polizei schon kurz nach dem Raub einrichtete, waren laut den Aussagen der beiden Briganten erfolglos geblieben, weil die Polizisten nur auf Motorräder geachtet hatten. Die Räuber waren da aber schon längst in ein Auto umgestiegen – und konnten so seelenruhig die Kontrollen passieren. Ihr falsches Alibi hatten sich die beiden Freunde besorgt, indem sie Kollegen gebeten hatten, für sie die Stechkarten im Betrieb zu stempeln. Die Räuber wurden wenig später zu langen Haftstrafen verurteilt.

Wer war der dritte Mann?

Und aus den Vernehmungen ging auch hervor, dass es vermutlich noch einen dritten Beteiligten gab, der aber nie ermittelt wurde. Und die Polizei konnte auch einen Teil der Lohngelder nicht wieder aufspüren: Rund 120.000 blieben bis heute verschwunden.

Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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