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Antanzen gegen das Vergessen

Albert Einstein spielte Geige. Fotograf unbekannt

Dresdner Hirnforscher und Instrumentalisten loten Konnex von Musik und Wissenschaft aus

Dresden, 15. März 2017. Musik hält nicht nur die Synapsen fit, sondern kann womöglich sogar die Bildung neuer Neuronen selbst im erwachsenen Hirn anstoßen. Wer tanzt und musiziert, hat jedenfalls gute Chancen, dem großen Vergessen im Alter zu entfliehen, ist der Regenerations-Forscher Prof. Gerd Kempermann vom Forschungszentrum für Regenerative Therapien der TU Dresden (CRTD) überzeugt. „Menschen, die körperlich und geistig aktiv sind, haben ein geringeres Risiko, an Demenz zu erkranken“, argumentiert er. „Man könnte sich zumindest überlegen, ob und wie sich Musik und Tanz in die Demenz-Prophylaxe einbauen lässt.“

Die Neuronen-Netze im Gehirn geben der Wissenschaft immer noch unzählige Rätsel auf: Von einem Gesamtverständnis der komplexen Prozesse im menschlichen Gehirn sind die Forscher noch weit entfernt. Abb.: DARPA

Die Neuronen-Netze im Gehirn geben der Wissenschaft immer noch unzählige Rätsel auf: Von einem Gesamtverständnis der komplexen Prozesse im menschlichen Gehirn sind die Forscher noch weit entfernt. Abb.: DARPA

Und dieser Zusammenhang zwischen Musik und Lernfähigkeit zeichnet sich auch in Untersuchungen an ganz jungen Menschen ab: Demnach kommen Kinder, die ein Instrument spielen, auch in der Schule besser zurecht. „,Musik macht schlau’ gilt nicht ganz pauschal, aber sie ist ein sehr wichtiger Baustein von Bildung, der weit ausstrahlt über die Musik selbst“, sagt Professor Kempermann. „Wer klavierspielen lernt, lernt buchstäblich fürs Leben. Deshalb ist es sinnvoll, gerade in schwierigem sozialen Umfeld, in Schulen mit Kindern aus bildungsfernen Familien, Musikunterricht zu fördern: Dies kann zu besseren Schulnoten und weniger Schulabbrüchen führen, sagen Studien aus den USA.“

Prof. Gerd Kempermann untersucht im Forschungszentrum für Regenerative Therapien der TU Dresden (CRTD). die Zusammenhänge zwischen Musik, Neuronenwachstum im menschlichen Gehirn und "erfoilgreichem Altern". Foto: Heiko Weckbrodt

Prof. Gerd Kempermann untersucht im Forschungszentrum für Regenerative Therapien der TU Dresden (CRTD). die Zusammenhänge zwischen Musik, Neuronenwachstum im menschlichen Gehirn und „erfoilgreichem Altern“. Foto: Heiko Weckbrodt

Musik stößt womöglich Neuronen-Bildung im Hirn an

Die Zusammenhänge dahinter geben den Regenerationsforschern indes noch viele Rätsel auf. Sie vermuten zwar, dass Musik irgendwie die Nervenzellen-Bildung (Neuronen-Genese) im menschlichen Gehirn anregt. Aber Tier-Experimente führten zu keinen eindeutigen Befunden: „Wir haben Mäusen Mozart vorgespielt und geschaut, ob neue Nervenzellen entstehen. Dazu mussten wir das Klavierstück in sehr hohen Frequenzen abspielen, damit die Mäuse es überhaupt hören konnten“, berichtet Hirnforscher Kempermann, der auch Sprecher des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Dresden ist. „Der Mozart hatte durchaus einen kleinen Effekt. Aber es hat sich gezeigt, dass Stille das beste war, um im Mäusehirn die Neurogenese anzustoßen.“ Insofern kann er nur vermuten, dass die Prozesse im menschlichen Gehirn, das Musik anders interpretiert als das Mäusehirn, eben doch etwas komplizierter ablaufen als gedacht.

Bei den Arnholds gingen führende Wissenschaftler und Künstler jener Zeit ein und aus. Auch mit Albert Einstein war die Familie bekannt. Repro: Heiko Weckbrodt, aus: A Letter Without Words

Repro: Heiko Weckbrodt, aus: A Letter Without Words

Was passiert, wenn Einstein geigt?

Auf jeden Fall fällt auf, dass viele hochbegabte Wissenschaftler musizieren, teilweise auch recht gut. „Wenn ich an Wissenschaft und Musik denke, sehe ich sofort das Foto des geigenden Albert Einstein vor mir“, erzählt Jan Vogler, der Intendant der Dresdner Musikfestspiele. „Verwandt sind die beiden so verschiedenen Disziplinen erst auf den zweiten Blick“, meint Cellist Vogler. „Aber sie üben eine starke Anziehungskraft aufeinander aus: Emotion und Rationalität, Intelligenz und Intuition, Struktur und Auflösung derselben – die Magie des Klanges hat oft auch mehr mit Entdeckung zu tun als mit abstrakter Fantasie. Die Gegensätze Musik und Wissenschaft ziehen sich an – oder treffen sich im menschlichen Gehirn, dem Laboratorium der Reflexion des Universums und der Unendlichkeit der musikalischen Möglichkeiten.“

Jan Vogler. Foto: Felix Broede, Musikfestspiele

TU und Musikfestspiele schlagen Brücken

Aber was passiert eigentlich in unserem Hirn, wenn wir Musik hören, selbst musizieren oder tanzen? Entlädt sich ein synaptisches Feuerwerk oder chillen unsere Neuronen dann im musischen Ausruh-Modus? Die Technische Universität Dresden (TUD) und die Dresdner Musikfestspiele wollen eben diese und verwandte Fragen in ihrer gemeinsamen Serie „Sound and Science“ interdisziplinär ausloten. Am 7. Juni versuchen der Schweizer Neurologe und Cellist Jürg Kesselring, der Hirnforscher und Querflötist Gerd Kempermann sowie der Pianist Christoph Reuter einen Brückenschlag: Sie diskutieren über die Zusammenhänge von „Musik und Gehirn“ – und musizieren dazu. Eine schöne und wissenschaftlich inzwischen belegte Botschaft für alle Selbstzweifler im Publikum verrät Professor Kempermann schon jetzt: „Man kann über die ganze Lebensspanne hinweg noch Musizieren lernen – selbst Menschen, die sich für unmusikalisch halten. Egal, ob die neuen Nervenzellen da nun eine Rolle spielen.“

Autor: Heiko Weckbrodt

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Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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