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Antimaterie aus dem gespannten „Nichts“

Am europäischen Beschleuniger XFEL betreibt Helmholtz Dresden die Hibef-Anlage. Vielfach verstärkt könnte solch eine Anlage womöglich auch Teilchen aus Energie entstehen lassen. Foto: HZDR/Science Communication Lab

Am europäischen Beschleuniger XFEL betreibt Helmholtz Dresden die Hibef-Anlage. Vielfach verstärkt könnte solch eine Anlage womöglich auch Teilchen aus Energie entstehen lassen. Foto: HZDR/Science Communication Lab

Helmholtz Dresden: Bei über 1000 Billiarden Volt pro Meter können im Vakuum Teilchen entstehen – nach einer kurzen Tunnelpassage

Dresden/Schenefeld, 17. August 2023. Wenn sich im Weltall oder anderswo im Vakuum elektrische Spannungen von rund 1000 Billiarden Volt pro Meter aufbauen, dann können sich dort mit einer kleinen Zeitverzögerung Paare aus Elektronen und Positronen wie aus dem „Nichts“ materialisieren. Die kleine Verzögerung lasse sich dadurch erklären, dass die Paare aus Materie und Antimaterie einige Zeptosekunden (Billionstel Milliardstel Sekunden) in einer Art virtuellen Tunnel zwischen Möglichkeit und Materialisierung passieren. Das hat der theoretische Physiker Dr. Christian Kohlfürst vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) gemeinsam mit Matthias Diez und Prof. Reinhard Alkofer von der Universität Graz durch Simulationen herausgefunden.

Tunnellänge zwischen Möglichkeit und Materialisierung noch unklar

„Nach der Verweildauer eines Elektrons im Tunnel wollen wir nun versuchen, auch die Länge dieses Tunnels zu bestimmen“, kündigte Kohlfürst an. Letztlich steht zudem auf der Agenda der Physiker, auf diesem Wege experimentell im Labor aus Energie tatsächlich auch Materie zu erzeugen. Vorstellbar seien solche Versuche beispielsweise an der „Helmholtz International Beamline for Extreme Fields“ (HIBEF), die das HZDR am europäischen Bescheluniger „XFEL“ in Schenefeld in Schleswig-Holstein betreibt. „Bisher sind aber selbst die leistungsfähigsten Laser nicht stark genug, um die nötigen elektrischen Felder aufzubauen“, erklärt Kohlfürst.

Rezept à la Einstein

Hintergrund: Dass sich Materie und Energie prinzipiell nach der Formel E=MC2 ineinander umwandeln lassen, ist spätestens seit Albert Einstein bekannt. Diesen Effekt nutzt die Menschheit schon lange, beispielsweise in Kernkraftwerken und Fusionsbomben. Bisher allerdings funktioniert das allerdings in der Praxis eben nur in eine Richtung: von Materie zu Energie. Dass aber im Weltall immer wieder mal Teilchen wie aus dem Nichts in die Welt treten – wenn auch meist nur für kurze Zeit – gilt als gesichert.

Prof. Metin Tolan wird auf der DPG-Frühjahrstagung in Dresden über die Physik der Enterprise aus den Startrek-Filmen referieren. Foto: Paramount

Das Raumschiff „Enterprise“ aus den Startrek-Filmen. Foto: Paramount

Replikatoren auf dem „Raumschiff Enterprise“ bereiten so Festmahle zu (leider nur im Film)

Prinzipiell müsste sich das also auch durch Menschenhand machen lassen. Genauso arbeiten beispielsweise die „Replikatoren“ auf dem Raumschiff „Enterprise“: Captain Picard fordert beim Computer in der Wand einen „Earl Grey“ an und ein Energie-Materie-Wandler materialisiert den Tee dann binnen Sekunden in einem Ausgabefach. Der Haken dabei: Das funktioniert leider nur in Science-Fiction-Filmen. In der Praxis ist der Energieaufwand für solch einen Energie-Materie-Koch – abgesehen von vielen anderen Schwierigkeiten – viel zu hoch.

Effekt seit fast 100 Jahren beschrieben

Den Materialisierungs-Effekt dahinter hatte der österreichische Physiker Fritz Sauter bereits 1931 vorhergesagt. Die Theorie dazu lieferte 20 Jahre später der Physik-Nobelpreisträger Julian Seymour Schwinger. Vollends geklärt ist das Phänomen aber bis heute nicht. Und das Spannungs-Szenario, das Kohlfürst nun simuliert hat, ist nur eine Möglichkeit für die Entstehung von Teilchenpaaren aus Materie und Antimaterie – in Beschleunigern kommt das auch schon vor.

Berge und Tunnel der Möglichkeiten – durch Tunnel verbunden

Vorstellen könne man sich diese Genese wie aus dem Nichts wie eine unsichtbare Landschaft aus Bergen und Tälern aus Potenzialen, erklären die HZDR-Forscher. „Elektronen und Positronen können durch einen Tunnel diese Berge passieren und am Tunnelausgang quasi in der Realität ankommen.“

Quelle: HZDR

Wissenschaftliche Publikation:

„Identifying time scales in particle production from fields“ von M. Diez, R. Alkofer und C. Kohlfürst, in: „Physics Letters B“, 2023, DOI: 10.1016/j.physletb.2023.138063, Fundstelle im Netz hier

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt