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Südafrika „fest im Griff von Mafia-Syndikaten“

Prof. Dr. Ulf Engel ist Professor für „Politik in Afrika“ am Institut für Afrikastudien an der Universität Leipzig, außerdem Professor extraordinary im Department of Political Science an der Stellenbosch University Südafrika. Foto: Uni Leipzig

Prof. Dr. Ulf Engel ist Professor für „Politik in Afrika“ am Institut für Afrikastudien an der Universität Leipzig, außerdem Professor extraordinary im Department of Political Science an der Stellenbosch University Südafrika. Foto: Uni Leipzig

Politologe Engel von der Uni Leipzig sieht ständige Stromausfälle am Kap als Symptome von professioneller Plünderung des Staates

Leipzig/Kapstadt, 31. Juli 2023. Südafrika rutscht vom Hoffnungsträger immer mehr zum Sorgenkind im südlichen Teil des Kontinents ab. Stromausfälle werden zum Regelfall, dies wiederum schädigt die Wirtschaft immer mehr und vernichtet im nächsten Schritt Arbeitsplätze. Schuld sind vor allem ausufernde Korruption, Misswirtschaft und Mafiabanden, die den Staat systematisch ausplündern, meint der Afrika-Experte Prof. Ulf Engel von der Uni Leipzig. Er warnt davor, dass darüber auch der gesellschaftliche Zusammenhalt in Südafrika zerbricht.

Stromausfälle seit 2019 ein „Dauerzustand“

Schon seit 2007 komme es regelmäßig zu Stromausfällen, die von der Regierung euphemistisch als „load shedding“ (also in etwa „Lastenverteilung“) bezeichnet werden, erzählt der Afrika-Politologe in einem Interview der Uni-Pressestelle. Nach der ersten Stromkrise 2007/2008 sei es 2014/2015 zu weiteren Stromabschaltungen gekommen „Seit 2019 hat sich dies als Dauerzustand etabliert.“

Aktuell gebe es, je nach Landesregion und verteilt über mehrere Zeitabschnitte, täglich zwischen siebeneinhalb und zehn Stunden keinen Strom für Privathaushalte, aber auch für Firmen und beispielsweise die Gastronomie sowie 80 Prozent des öffentlichen Gesundheitswesens. „Ländliche Gebiete und Townships sind meist stärker betroffen als die Vororte der Mittel- und Oberklasse. Im letzten Jahr gab es an 200 Tagen keine stabile Stromversorgung, 2021 waren es 48 Tage. Im Übrigen haben auch fast 30 Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen von 1994 gut 15 Prozent der Menschen in Südafrika überhaupt keinen Zugang zur Stromversorgung.“

Seit der Wende verlottern die Kraftwerke

Engel nennt zwei Hauptursachen für die sich häufenden Stromausfälle: „Erstens ist die Energie-Infrastruktur überaltert und die notwendigen Reinvestitionen sind über Jahrzehnte verschleppt worden: 14 der 17 Kraftwerke sind vor dem Ende der Apartheid 1994 gebaut worden. Einzelne Kraftwerke sind mittlerweile kollabiert und schlicht ausgefallen. Gleichzeitig schiebt Eskom eine Schuldenlast von mehr als 21 Milliarden Euro vor sich her. Und Südafrika ist immer noch zu mehr als 94 Prozent von fossilen Energieträgern abhängig.“

Gekaperter Staat: Banden haben sich mit ANC verfilzt

„Zweitens, und mindestens genauso gewichtig, ist der Zusammenbruch der Stromversorgung Teil eines größeren Komplexes aus Korruption, Diebstahl und teils aktiver Sabotage. Hier sind oder waren Fraktionen des regierenden African National Congress (ANC), die indisch-stämmigen Gupta-Brüder (die sich mittlerweile ins Ausland abgesetzt haben), mafiöse Syndikate sowie ausländische Firmen verwickelt. Unter Präsident Jacob Zuma, der das Land zwischen 2009 und 2018 regiert hat, haben sich diese Akteure die staatseigenen Betriebe (Eisenbahn, die nationale Fluggesellschaft SAA, die Transportgesellschaft Transnet, die Stromerzeugung und so weiter) angeeignet, um sie systematisch ausplündern zu können – dies wird allgemein unter dem Schlagwort ,state capture’ diskutiert.“

Auch ABB hat zum Ausbluten beigetragen

Auch ABB habe sich an dieser Plünderung beteiligt: Der der Schweizer Anlagenbauer habe „massiv bestochen, um an Aufträge in Südafrika zu gelangen – vor allem den Bau des Kusile-Kohlekraftwerks in der Provinz Mpumalanga – und später mit Hilfe von gewaltig überhöhten Rechnungen zum Ausbluten des Staats beigetragen“.

Kaskadeneffekte: Ohne Strom bricht auch Wasseraufbereitung zusammen

Zwar habe eine Untersuchungskommission unter dem damaligen stellvertretenden Obersten Richter Raymond Zondo diese Missstände aufgedeckt. Doch grundlegend geändert hat sich eben noch nicht allzuviel. Hoch sind weiter die Folgeschäden für Wirtschaft und Gesellschaften: „Sie reichen von Produktionseinbußen und sinkenden Einnahmen in der Privatwirtschaft zum Verlust von Arbeitsplätzen (2021: minus 350.000), aber auch zu erhöhten Diebstahls- und Einbruchsraten, weil zum Beispiel die allgegenwärtigen Überwachungskameras und andere elektronischen Sicherheitssysteme zeitweilig nicht funktionieren. Außerdem drohen andere Grundversorgungssysteme Schaden zu nehmen: Im Frühjahr 2023 kollabierten mancherorts Wasseraufbereitungs- und Filteranlagen; die Wasserversorgung des zentralen Hochplateaus des Landes mit dem Industriegürtel um Johannesburg ist davon abhängig, dass große, elektrisch betriebene Pumpsysteme funktionieren. Im Juli 2023 musste die Wasserversorgung in weiten Teilen dieser Provinz für mehrere Tage wegen Wartungs- und Reparaturarbeiten stark reduziert beziehungsweise sogar ganz eingestellt werden.“

Wirtschaftlich habe Südafrika mittlerweile fast allen Kredit verspielt: Im März 2023 zog mit Standard & Poor’s auch die dritte der großen Kreditrating-Agenturen nach und stufte die Bonität des Landes, ähnlich wie Fitch bereits im Dezember 2021, nur noch mit BB- ein: Südafrika gilt damit für ausländische Investoren als Risikostandort.

Die meisten Beschuldigten sind immer noch frei

Südafrika sei „fest im Griff einer überschaubaren Anzahl von Mafia-Syndikaten, die eng mit der Lokal- und Landespolitik verflochten sind“, zitiert Engel aus dem „Africa Organized Crime Index“. „Die meisten der in den Berichten der Zondo-Kommission beschuldigten Politiker und Manager sind noch immer auf freiem Fuße.“

Politisch drohe Südafrika „ein weiterer Verfall des bereits heute arg strapazierten gesellschaftlichen Zusammenhalts“, warnt der Leipziger Experte. „Angesichts multipler Krisen gelingt es den diversen (sich meist links gerierenden) politischen Populisten immer häufiger, destruktive und auch xenophobe Stimmungen zu mobilisieren. Zudem stehen im Frühjahr 2024 Wahlen an, bei denen der ANC erstmals seit 1994 seine absolute Mehrheit einbüßen könnte.“

Quelle: Uni Leipzig

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt