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Echosensor für Kampf gegen den Ohrenschmerz

"Menschen hören das, was sie zu hören erwarten", hat eine Studie der TU Dresden ergeben. Das fängt schon bei der Verbindung zwischen Ohr und Gehirn an. Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Bakterien oder Viren? Photonikinstitut IPMS Dresden und US-Firma Otonexus verdoppeln mit neuen Ultraschall-Otoskopen die Trefferquote

Dresden, 23. Juni 2023. Pochende Ohrenschmerzen lassen sich dank einer Erfindung aus Sachsen womöglich schon ab dem kommenden Jahr rascher heilen: Das Fraunhofer-Photonikinstitut IPMS in Dresden hat einen winzigen Ultraschall-Sensor gebaut, der anhand von Ohr-Sekreten erkennen kann, ob eine Mittelohrentzündung durch Bakterien oder durch Viren ausgelöst wurde. Bereits 2024 könnte damit aufgerüstete Otoskope eine Zulassung erhalten und auf den Markt kommen, schätzt IPMS-Direktor Prof. Harald Schenk auf Oiger-Anfrage.

HNO-Ärzte sparen künftig sinnlose Antiobiotika-Rezepte „auf Verdacht“

Einerseits sollen die neuen Otoskope vor allem ohrenkranken Kinder schneller zu eine Linderung helfen. Anderseits könnten sie zu doppelt so treffsicheren Diagnosen wie heute führen und viele unnötigen Antibiotika-Verschreibungen vermeiden, wenn der Arzt irrtümlich auf eine bakterielle Mittelohr-Entzündung tippt, betont Schenk. „Bisher werden leider noch oft Antibiotika verschwendet.“ Und dies sollte angesichts zunehmender Stämme von multiresistenten Keimen verhindert werden.

Die Ultraschall-Sensoren und -Empfänger unterm Mikroskop. Abb.: Fraunhofer-IPMS

Die Ultraschall-Sensoren und -Empfänger unterm Mikroskop. Abb.: Fraunhofer-IPMS

Minikondensator sendet und empfängt Ultraschall

Die neuen Sensoren bestehen aus zwei kleinen Elektroden mit einem Luftspalt dazwischen. De facto ähnelt der Aufbau einem kleinen Kondensator. Eine Elektrode kann hier schwingen und dadurch Ultraschall aussenden. Diese für Menschen unhörbaren Signale wirft das Trommelfell dann zurück, wobei das Sekret im Gehörgang dieses Echo verzerrt – je nachdem, wie dicht der Schleim ist. Der Sensor, der eben zugleich Empfänger ist, fängt den zurückgeworfenen Ultraschall schließlich mit einer Membran wieder auf und wandelt ihn wieder in elektrische Signale um. Wegen dieser Doppelfunktion nennt sich das winzig kleine Bauteil auf Englisch „Capacitive micromachined ultrasonic transducer“ (CMUT), also Kapazitiver mikrobearbeiteter Ultraschallwandler.

Sekretdichte verrät, ob Bakterien oder Viren wüten

Eine spezielle Software wertet das Echo schließlich aus. Aus der per Echo gemessenen Sekret-Dichte kann das Programm dann diagnostizieren, ob Bakterien im Ohr am Werk sind oder Viren.

Trefferquote von 50 auf 99 erhöht

Die US-Medizintechnikfirma „Otonexus“ arbeitet bereits seit 2018 in dieser Frage mit dem IPMS Dresden zusammen und hat den Sekret-Sensor aus „Silicon Saxony“ mittlerweile in die Spitzen von Otoskopen eingebaut. Bei Tests mit Tieren und schließlich mit Menschen kamen die Amerikaner auf sehr hohe Trefferquoten erzielt: Liegen die meisten HNO-Ärzte statistisch gesehen etwa in jedem zweiten Fall bei der Frage „Baterien oder Viren?“ daneben, kommt der aufgerüstete Ohrenbetrachter auf über 99 Prozent.

Nach FDA-Zulassung soll Sensor-Serienproduktion im Dresdner Reinraum rasch starten

Otonexus wartet nun noch auf die Zulassung der neuen Otoskope durch die „Food and Drug Administration“ (FDA). Kommt nicht dazwischen, würde die Produktion rasch beginnen und dann könnten die Geräte bereits 2024 in den USA in die klinische Praxis kommen, prognostiziert Prof. Schenk. „Wir würden die Ultraschall-Sensoren dafür bei uns im Reinraum in Kleinserien produzieren“, kündigte er an.

Fast jedes Kind macht mindestens eine Mittelohrentzündung durch – und die tut weh

Hintergrund: Die akute Mittelohrentzündung ist laut dem „Deutschen Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte“ eine der häufigsten Erkrankungen im Kindesalter. „Statistisch gesehen erkrankt jedes zweite europäische Kind im 1. Lebensjahr mindestens einmal“, erklären die „HNO-Ärzte im Netz“. „Bis zu seinem 7. Lebensjahr hat hochgerechnet sogar jedes Kind mindestens eine akute Mittelohrentzündung durchgemacht.“ Diese Erkrankung kann sehr schmerzhaft verlaufen und sorgt regelmäßig für durchwachte Nächte von Kleinkindern und deren Eltern. HNO-Ärzte können in solchen Fällen die Gehörgänge reinigen und entzündungshemmende Mittel verschreiben. Bei bakteriellen Erregern greifen die Mediziner dann oft auch zu Breitband-Antibiotika.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: IPMS, Deutscher Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt