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Stimmung in der Wirtschaft „massiv verschlechtert“

Die neue BIP-Prognose für Deutschland und den Euro-Raum. Grafik: Sachverständigenrat

Die neue BIP-Prognose für Deutschland und den Euro-Raum. Grafik: Sachverständigenrat

Russischer Krieg und Rubelstreit, Ökonomen korrigieren Wachstumspronose auf 1,8 % herunter

Berlin/Dresden, 30. März 2022. Führende Ökonomen haben die Wachstumsprognosen für Deutschland und Europa herunterkorrigiert – der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und dessen indirekte Folgen bremsen die Corona-Erholung der Wirtschaft stark aus. Der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ rechnet für die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr nur noch mit 1,8 Prozent Zuwachs. Derweil meldet das Ifo-Institut in Dresden, dass auch das ostdeutsche Geschäftsklima drastisch eingebrochen sei.

Sehen die ostdeutschen Chancen, den Westen einzuholen, inzwischen sehr skeptisch: Prof. Joachim Ragnitz (links) und Prof. Marcel Thum vom ifo-Institutsteil in Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Prof. Joachim Ragnitz (links) und Prof. Marcel Thum vom ifo-Institutsteil in Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Ifo-Geschäftsklimaindex stark eingebrochen

„Seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine hat sich die Stimmung der ostdeutschen Unternehmen massiv verschlechtert“, berichten die Ifo-Dresden-Chefs Joachim Ragnitz und Marcel Thum. „Der ifo-Geschäftsklimaindex für die gesamte regionale Wirtschaft ist von 99,9 auf 9 3,2 Punkte stark eingebrochen. Ausschlaggebend für den Rückgang war die drastische Reduktion der Geschäftserwartungen in allen Wirtschaftsbereichen.“ In der Konjunkturumfrage äußerten sich ostdeutsche Unternehmen aus allen Wirtschaftsbereichen pessimistisch, auch aus der Industrie: „Der zu Jahresbeginn vorherrschende Optimismus ist passé, die Unternehmen blickten überwiegend pessimistisch in die Zukunft.“

Störung der Wertschöpfungsketten könnte sich verschärfen

Weiter ins Detail geht der Sachverständigenrat in ihrer Einschätzung für die Bundesregierung. Mit Blick auf die russische Invasion rechnen sie mit „anhaltend hohen Preisen für Energie und Rohstoffe sowie einem Ausfall von Nahrungsmittel- und Düngemittelexporten aus der Ukraine und Russland“. Der Krieg und die westlichen Gegen–Sanktionen verschärfen nach der Experteneinschätzung „die Störungen weltweiter Wertschöpfungsketten und erhöhen den inflationären Druck“. Für den Euroraum rechnet das Gremium nun nur noch mit jeweils 2,9 Prozent Wirtschaftswachstum in den Jahren 2022 und 2023. Für Deutschland gehen die Ökonomen von 1,8 beziehungsweise 3,6 % Zuwachs aus. Erst kürzlich hatte bereits der Ifo-Mutterinstitut in München die deutschen Wachstumsprognosen auf 2,2 bis 3,1 Prozent für 2022 herunterkorrigiert.

Experten: Abschwung statt Corona-Erholung möglich

Und die Bundesrepublik könnte sogar in einen Abschwung hineinschlittern, warnt derweil der Sachverständigenrat: „Die große Abhängigkeit von russischen Energielieferungen birgt das erhebliche Risiko einer geringeren Wirtschaftsleistung bis hin zu einer Rezession bei gleichzeitig deutlich höheren Inflationsraten.“ Diese Befürchtungen werden durch die jüngste Eskalation im „Rubel-Streit“ zwischen Russland und dem Westen nun noch einmal stark befeuert: Um seine abstürzende Währung zu stützen, hat Präsident Wladimir Putin über seine Gefolgsleute verlangt, dass Deutschland und andere Abnehmer von russischem Gas und Öl fortan mit Rubel statt mit Dollar oder Euro dafür bezahlen, wie eigentlich in den Verträgen verankert. Das haben die G7-Staaten abgelehnt, worauf der Kreml damit drohen ließ, den Gashahn zuzudrehen – was besonders Deutschland hart treffen würde.

Robert Habeck. Foto: Susanne Eriksson für das BMWi

Robert Habeck. Foto: Susanne Eriksson für das BMWi

Habeck ruft Frühwarnstufe aus

Als Reaktion darauf hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnisgrüne) heute die „Frühwarnstufe“ nach dem „Notfallplan Gas“ ausgerufen. „Die Versorgungssicherheit ist weiter gewährleistet. Es gibt aktuell keine Versorgungsengpässe“, erklärte der Minister zwar, betonte aber auch: „Dennoch müssen wir die Vorsorgemaßnahmen erhöhen, um für den Fall einer Eskalation seitens Russlands gewappnet zu sein. Mit Ausrufung der Frühwarnstufe ist ein Krisenteam zusammengetreten. Das Krisenteam analysiert und bewertet die Versorgungslage, so dass – wenn nötig – weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Versorgungssicherheit ergriffen werden können. Die Bundesregierung tut alles, um die Versorgungssicherheit in Deutschland weiter zu gewährleisten.“

Wirtschaftsminister ruft Sachsen zum Energiesparen auf

Die Börse in Frankfurt hat daraufhin den DAX weiter auf Talfahrt geschickt. In Sachsen bemüht sich die Landesregierung derweil, den Ball flach zu halten: „Wir haben viele besorgte Anrufe von Unternehmerinnen und Unternehmen aus der sächsischen Wirtschaft erhalten, was dies nun für sie bedeutet“, berichtete der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD). Die Lage sei ernst: „Es ist nicht mehr ausgeschlossen, dass Russlands Präsident Wladimir Putin in den kommenden Tagen die Gasversorgung nach Deutschland oder Europa unterbrechen könnte. Darauf bereiten wir uns in Deutschland vor.“ Zugleich appellierte er an die Sachsen, Energie zu sparen: „Um im kommenden Winter die Versorgung zu gewährleisten, müssen nun weitere Maßnahmen ergriffen werden. Daher ist jeder Gasverbraucher, egal ob Privathaushalt oder Unternehmen, gehalten, so viel Energie wie möglich einzusparen.“

Umweltminister: Aktuell kein Engpass

Zugleich betonte der sächsische Umweltminister Wolfram Günther (Bündnisgrüne): „Wir haben aktuell keinen Engpass. Die Versorgung mit Gas ist gewährleistet“, betonte er, berichtete aber auch: „Mein Ministerium und ich sind im Austausch mit den Versorgern, dem Bund und anderen Ländern. Wir haben die bestehenden Krisenstrukturen im Haus kurzfristig verstärkt, um auf Veränderungen der Lage schnell und adäquat reagieren zu können.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: BMWU, SMWA, SMUL, Ifo Dresden, Oiger-Archiv, Sachverständigenrat

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt