Laut neuer Datenanalyse hat Treuhand die DDR-Wirtschaft nicht verschleudert, sondern Erfolgschancen richtig eingeschätzt
Dresden/München, 20. Oktober 2021. Wenn man ihren Auftrag zugrunde legt, die DDR-Wirtschaft möglichst schnell zu privatisieren, dann hat die Treuhandanstalt in der Nachwendezeit nur wenig falsch gemacht und recht effektiv gearbeitet. Das hat Dr. Lukas Mergele vom Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo in München nach einer Datenanalyse und Simulationen mit Elementen „Künstlicher Intelligenz“ (KI) in einem Vortrag für das Ifo Dresden eingeschätzt.
„Ergebnis war nicht anders zu erwarten“
„Die Treuhand hat ihr Mandat sehr gut erfüllt. Das Ergebnis, das wir kennen, war unter diesen Bedingungen kaum anders zu erwarten“, sagte Dr. Mergele. Allerdings tue er sich angesichts des enormen Schrumpfungsprozesses der ostdeutschen Wirtschaft schwer damit, „hier von einem Erfolg zu sprechen.“
Firmenumfragen, Treuhand- und Arbeitsagenturdaten quantitativ ausgewertet
Der Ökonom hatte für seine Analyse „Die Privatisierungen der Treuhandanstalt: Neues Wissen aus alten Daten“ unter anderem Treuhand-Firmenbefragungen, Arbeitsagentur-Daten, Betriebsregister des Treuhand-Nachfolgers „Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben“ (BVS), frühere Simulationen über die Wettbewerbsfähigkeit diverser DDR-Kombinate und weitere Datenquellen quantitativ ausgewertet. Dabei hatte er unter anderem die Arbeitsproduktivität der einzelnen ostdeutschen Betriebe unmittelbar nach der Wende mit deren späteren Überlebensquoten, ihrem Marktwert und anderen messbaren Folgen von Privatisierung oder Liquidierung ins Verhältnis gestellt. Auch setzte er KI-Methoden wie das „maschinelle Lernen“ ein, um nach dem Muster „Was wäre wenn…?“ auszuloten, wie sich alternative Treuhand-Entscheidungen ausgewirkt hätten.
Betriebe mit westdeutschen Käufern erreichten bessere Überlebensquoten
Dabei kam der Wirtschaftsforscher zu dem Ergebnis, dass die Treuhand weder die DDR-Betriebe billig verschleudert habe, sie leichtfertig abgewickelt habe noch dass die Westunternehmen die ostdeutschen Betriebe lediglich gekauft hätten, um eine lästige Konkurrenz loszuwerden. So zeigten seine Analysen beispielsweise, dass die von Westdeutschen gekauften Betriebe nach zehn Jahren höhere Überlebensquoten hatten als diejenigen, die von Ostdeutschen übernommen worden waren.
KI-Prognosen: Treuhand-Entscheidungen bewegten sich nahe am Optimum
Auch alle Simulationen führten bei Mergele immer wieder zu ähnlichen Abwicklungsquoten, Privatisierungserfolgen und Arbeitsmarkt-Effekten. Laut seinen Datenstand wurden letztlich rund 60 Prozent der DDR-Betriebe privatisiert, etwa ein Drittel liquidiert, 15 Prozent an Alteigentümer zurückgegeben und eine kleine Minderheit kommunalisiert. Unterm Strich wurden dabei 933.000 Arbeitsstellen erhalten.
Treuhand-Mandat war nicht selbstverständlich
Allerdings ist bei den Analysen von Lukas Mergele der selbstgesteckte Rahmen zu beachten: Sein Kern-Messwert ist der Umsatz pro Beschäftigten, den der jeweilige ostdeutsche Betrieb nach dem Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft in D-Mark realisierte. Und er legte das Mandat der Treuhand zu Grunde, die DDR-Wirtschaft möglichst schnell aus dem Staatseigentum zu privatisieren. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Treuhand durchaus auch andere Mandate hätte bekommen könnte, etwa Sanierung und Erhalt großer Teile der ostdeutschen Wirtschaft. Das hätte zwar wahrscheinlich hohe und auch langfristige Verlust-Subventionen durch den Steuerzahler zur Folge gehabt. Hohe Belastungen entstanden indes auch durch die langfristigen Sozialtransfers für das wachsende Arbeitslosenheer in Ostdeutschland.
Niedrige Bewertung der DDR-Betriebe war nach Super-GAU Währungsunion vorprogrammiert
Zudem ist es womöglich etwas unfair, den Wert der ostdeutschen Wirtschaft kurz nach ihrem Super-GAU zu bewerten – etwa so, als ob man heute den Wert eines Unternehmens kurz nach dem Corona-Ruin berechnen würde: Für die DDR-Betriebe hatten sich durch die Währungsunion eben erst über Nacht die Lohnkosten verdreifacht bis verfünffacht. Hohe Tarifforderungen der Gewerkschaften taten ihr Übriges. Zudem hatte sie sich jahrzehntelang primär auf die Nachfrage und Mechanismen der Zentralverwaltungswirtschaften in der DDR und im RGW-Raum ausgerichtet. Diese Mechanismen galten nun nicht mehr und die Ostmärkte brachen ebenfalls nahezu schlagartig zusammen. Viele Branchen wie etwa die Textilindustrie versuchten binnen Monaten einen Transformationsprozess nachzuvollziehen, den die westdeutsche Textilindustrie in Jahrzehnten durchgemacht hatte – und in vielen Fällen der globalen Konkurrenz erlegen war. Mit der Umstellung auf die D-Mark am 1. Juli 1990 hatte sich Ostdeutschland von einem Tag auf den anderen von einem Billiglohnland in ein Hochlohnland verwandelt – und das entzog vielen Geschäftsmodellen schlagartig die Basis.
Hinzu kommt, dass in der Tat ein Großteil der DDR-Betriebe technologisch dem internationalen Stand hinterher hinkte. Zudem schoben viele Fabriken enorme Investitionsstaus vor sich her.
„Sozialismus ist an Bildungsmangel zugrunde gegangen“
„Sicher ist der Sozialismus nicht an Bildungsmangel zugrunde gegangen“, schätzt auch Lukas Mergele ein. Insofern sei das Humankapital sicher noch das Wertvollste an der DDR-Wirtschaft gewesen. „Der Kapitalstock war aber stark veraltet.“
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Ifo, Online-Vortrag Dr. Lukas Mergele, Oiger-Archiv
Wissenschaftliche Publikation:
Lukas Mergele, Moritz Hennicke, Moritz Lubczyk: “The Big Sell: Privatizing East Germany’s Economy”, Ifo-Arbeitspapiere 8566 2020
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