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Dresdner Forscher bauen künstliche Zellen

Die synthetischen Zellen der Planck-Forscher sind hier mit ihren lila gefärbten Fett-Membranen zu sehen, darin in Hellblau die spezialisierten Molekül-Einheiten (Kompartimente). Abb.: Love u. a. / MPI-CBG

Die synthetischen Zellen der Planck-Forscher sind hier mit ihren lila gefärbten Fett-Membranen zu sehen, darin in Hellblau die spezialisierten Molekül-Einheiten (Kompartimente). Abb.: Love u. a. / MPI-CBG

Auf einfachste Bausteine und Funktionen reduziert, soll die Synthie-Zelle aus Sachsen helfen, die molekularen Geheimnisse des Lebens zu entschlüsseln.

Dresden, 22. Januar 2020. Soviel Wissenschaftler in den vergangenen Jahrtausenden auch über darüber nachgedacht und herausgefunden haben – das Leben bleibt für sie weiter ein großes Rätsel. Selbst die winzigen Zellen, aus denen der Mensch besteht, sind so komplex, dass es den Biologen bis heute schwerfällt, alle chemischen und informationstechnologischen Prozesse darin voll zu verstehen. Um den tiefsten Geheimnissen des Lebens doch noch auf die Spur zu kommen, haben Forscher aus Dresden und Potsdam nun vereinfachte künstliche Zellen gebaut, die auf ihre Umwelt reagieren. Das hat das Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in Dresden mitgeteilt, das die Kunstzellen gemeinsam mit Kollegen vom Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung (MPIKG) in Potsdam konstruiert haben.

Natürliche Zellen zu komplex für Analyse

Natürliche Gewebezellen sind zwar winzig, je nach Typ messen sie ein Fünftel Millimeter bis ein Zehntel Mikrometer im Durchmesser. Dennoch sind sie hochkomplexe Gebilde: Sie enthalten meist einen steuernden Zellkern mit Erbgut-Molekülen, Fett-Wände (Lipid-Membranen), Mini-Kraftwerke („Mitochondrien“), Zellmotoren, spezialisierte Proteine, Zucker-Moleküle und dergleichen mehr. Und all diese Moleküle und Bauteile beeinflussen sich auch noch ständig gegenseitig. All das macht es Wissenschaftlern schwer, klare Ursache-Folge-Ketten zu analysieren.

Synthie-Zelle hat nur Fettwand und einen Funktionsbaustein

Um den Überblick über das Geschehen in und um die Zelle zu behalten, haben die ostdeutschen Forscher daher nun sehr simple synthetischen Zellen entwickelt, die nur aus wenigen Basis-Bauteilen bestehen: Fettmenbranen, die die Zelle zusammenhalten und abgrenzen, und darin eine spezialisierte Molekül-Einheit (Kompartiment), die auf Umweltveränderungen reagieren kann. Mit diesen vereinfachten Zellen soll es nun möglich werden, wichtige biochemische Reaktionen und Signalwege in biologischen Zellen zu analysieren und deren Reaktionen auf Umweltreize auszutesten.

Kunstzelle reagiert auf Saures

„So wie wir mit unseren Geschmacksnerven salzig oder sauer schmecken können, so können auch Komponenten im Inneren einer Zelle auf den Säuregehalt, also den pH-Wert einer Umgebung reagieren“, erklärte Celina Love, die Erstautorin der Studie. „Wir haben herausgefunden, dass wir durch die Veränderung des pH-Wertes der Umgebung das Verhalten der aufeinandertreffenden Moleküle und ihre Fähigkeit, membranfreie Kompartimente zu bilden, beeinflussen können. Es war besonders spannend zu beobachten, wie chemische Reaktionen durch Veränderung des Säuregrades innerhalb der synthetischen Zelle an- und ausgeschaltet werden können.“

In Zukunft komplexere Kunstzellen geplant

Die Forscher sehen ihre künstliche Protozelle als ersten Schritt hin zu immer komplexeren synthetischen Zellen, die sich von Menschenhand genau kontrollieren lassen. „Unsere Arbeit ist ein großer Schritt nach vorn, um komplexere synthetische Zellen zu bauen, die biologisches Verhalten imitieren können“, betonte Studienleiterin Dora Tang vom MPI-CBG. „Dieses regulierbare synthetische System eröffnet spannende Möglichkeiten, um grundlegende Fragen der Biologie zu beantworten: wie zum Beispiel Zellen viele und verschiedene Signalen aus der Umwelt aufnehmen können, um grundlegende zelluläre Funktionen wie den Stoffwechsel in Gang zu setzen und zu regulieren.“

Autor: Oiger

Quelle: MPI-CBG

Wissenschaftliche Publikation dazu:

Celina Love, Jan Steinkühler, David T. Gonzales, Naresh Yandrapalli, Tom Robinson, Rumiana Dimova, T.-Y. Dora Tang: “Reversible pH responsive coacervate formation in lipid vesicles activates dormant enzymatic reactions”, in der Fachzeitschrift der Gesellschaft Deutscher Chemiker‚ „Angewandte Chemie“, International Edition, 14. Januar, 2020. doi.org/10.1002/anie.201914893

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt