Doku-Reihe beleuchtet Monnumental-Architektur im Ostblock
Schon zu Stalins Lebzeiten wurde dessen Vorliebe für gigantomanische Spitztürmchen-Komplexe als Zuckerbäckerarchitektur belächelt und als minderwertig abgetan. Ähnlich abfällig waren vor allem im Westen die Urteile über die pompösen Bauwerke anderer realsozialistischer Gottkönige – von Ceaușescus persönlichem Volkspalast in Bukarest bis zu Honeckers „Lampenladen“ in Ostberlin. Mit der Doku-Reihe „Paläste des Volkes“, die nun auf DVD erschienen ist, haben Boris Missirkov und Georgi Bogdanov die Genese, die Ideen und das postsozialistische Nachleben von vier dieser steinernen Zeitzeugnisse unter die filmische Lupe genommen: Stalins Neubau für die Lomonossow-Uni in Moskau, Titos jugoslawischen Regierungspalast in Belgrad, Todor Schiwkows „Nationaler Kulturpalast“ in Sofia und Nikolae Ceaușescus „Haus der Volkes“ in Bukarest.
Das Volk war im Volkspalast zumeist nicht erwünscht
Dabei waren all diese Monumentalgebäude versteinerte Ideologie – ähnlich wie es die Reichshauptstadt „Germania“ von Hitler und Speer werden sollte. Deklariert waren sie als Stätten des Volkes, doch tatsächlich durften zumeist nur Privilegierte oder zumindest Menschen mit Passagierscheinen diese angeblichen Volkspaläste betreten – sieht man vielleicht von der Moskauer Uni einmal ab. Das „Haus des Volkes“ in Bukarest beispielsweise, für das 28 Kirchen plattgemacht oder versetzt wurden, war eher als die persönliche Wohnstube der Ceaușescus gedacht. Dem Regierungspalast in Belgrad durfte man sich gar nicht nähern. Und selbst der Kulturpalast in Sofia war nur selten für gewöhnliche Bulgaren zugänglich.
Prunkbauten waren für sozialistische Volkswirtschaften enorme Belastung
Umso mehr durfte das Volk für diese steingewordenen Allmachts-Phantasien schwitzen: Der Ressourcen-Einsatz war immens, für die Nachkriegs-Sowjetunion ebenso wie für die anderen sozialistischen Staaten. Während beispielsweise in Bukarest der milliardenteure und erdbebensicher ausgelegte Diktatoren-Palast wuchs, litt Rumänien unter einen tiefen Schulden- und Wirtschaftskrise, ließ die KP gar Lebensmittel rationieren. Auch die Betriebskosten waren enorm. Der Kulturpalast in Sofia zum Beispiel beschäftigte vor der Revolution rund 1000 Menschen und eine ganze unterirdische Stadt unter der Stadt.
Ambivalenter Blick zwischen Spott und Stolz
Gleichzeitig zeigen die Dokus aber auch, wie sehr diese Großbauten bis heute gleichermaßen Zielscheibe von Spott wie auch von Nationalstolz geworden sind: Ehepaare lassen sich davor ablichten, urbane Legenden ranken sich um die Riesenkomplexe. Über das Labyrinth unter der Lomonossow-Uni auf den Sperlingsbergen raunt man in Moskau, es beherberge einen unterirdischen Atomreaktor, eine geheime zweite Metrostation und eine goldene Stalin-Statue…
Fazit: Kommunisten-Monumentalismus als Teil europäischer Geschichte akzeptieren
Mit der wachsenden Distanz zur Ära der kommunistischen Partei-Diktaturen mag es nun vielleicht aber Zeit sein, einen Schritt zurückzutreten und den kulturhistorischen Wert dieser Protzbauten neu zu durchdenken, sind sie doch Zeugnisse eines Zeitgeistes, eines Formwillens, den wir heute vielleicht ablehnen, aber der doch Teil europäischer Geschichte geworden ist. Und so eklektisch und aus vielen Stil-Epochen zusammengestückelt die Architektur der realsozialistischen Paläste auch oft gewesen sein mag: Sie entwickeln gerade daraus– und aus ihrer schieren Größe – eine ganz eigene Formsprache mit faszinierenden Details.
Auch ein Plädoyer für eine Neubewertung
Insofern ist die Dokureihe „Paläste des Volkes“ auch ein Plädoyer für die politikgeschichtliche und kulturhistorische Neubewertung der Protzbauten von Stalin & Co. – und wirft einen faszinierenden Blick auf diese überdimensionierten Komplexe mit all ihrer ganz eigenen Kunst am Bau. Ärgerlich ist nur, dass auf der DVD zwar viele historische Filmaufnahmen mit originalen Tonspuren eingespielt, gerade diese besonders interessanten Passagen aber nicht untertitelt werden. Und es dürfte wohl nur wenige Zuschauer geben, die Russisch, Serbisch, Rumänisch und Bulgarisch gleichermaßen perfekt beherrschen…
Kurzinfos:
- Titel: „Paläste des Volkes“
- Genre: Wissenschafts-Doku
- Regisseure: Boris Missirkov und Georgi Bogdanov
- Enthält 4 Dokus: „Staatliche Universität Moskau“, „Palast der Förderation in Belgrad“, „Nationaler Kulturpalast Sofia“ und „Parlamentspalast Bukarest“
- Produktionsland und -Jahr: Deutschland, Bulgarien, Rumänien 2017
- Laufzeit: 104 Minuten
- Preis: 15 Euro
- DVD-Verlag: Absolut Medien
- Alterseinstufung: Info
Autor der Rezension: Heiko Weckbrodt
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