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Die Zukunft von Bibliothek und Museum im Netz-Zeitalter

Ein SLUB-Mitarbeiter erschließt mit der Software Goobi ein digitalisiertes Buch. Foto: SLUB

Ein SLUB-Mitarbeiter erschließt mit der Software Goobi ein digitalisiertes Buch. Foto: SLUB

Annika-Valeska Walzel von der SLUB Dresden über die Chancen der Digitalisierung für Bibliotheken, Museen und Archive

Dresden, 25. Mai 2016. Die Digitalisierung eröffnet Bibliotheken, Archiven und Museen neue Möglichkeiten, ihre Exponate und bibliophilen Schätze weltweit bekannt und zugänglich zu machen – darüber sind sich eigentlich alle seit Jahren einig. Aber frühe Versuche wie das Web-Museum der Staatlichen Kunstsammlungen in der Internet-Parallelwelt „Second Life“ (der eine oder andere wird sich noch an den Hype erinnern) fanden nie so ganz die erhoffte Resonanz. Die eher grobgrafischen Galerien degenerierten bald zu Höhlen voll untätiger Zombies. Doch inzwischen sind die Kunst-Scans detaillierter, die Internetzugänge schneller und die Erwartungen der Kuratoren und Bibliothekare an die digitalen Präsenzen realistischer geworden. Wir haben uns darüber mit Annika-Valeska Walzel unterhalten. Die Kunsthistorikern betreut in der Sächsischen Landes- und Unibibliothek (SLUB) Dresden das Landesdigitalisierungsprogramm und arthistoricum.net, den Fachinformationsdienst für Kunst, Fotografie und Design, mit.

Die Second-Life-Galerie der Kunstsammlungen hat sich ja nie so richtig als Kunsttreffpunkt im Internet etablieren können. Bringt es überhaupt etwas, wenn Bibliotheken oder Museen solche Web-Ausstellungen aufbauen?

Annika-Valeska Walzel: Ich denke schon. Ein sehr gutes Beispiel ist das Rijks-Museum in Amsterdam. Während einer zehnjährigen Umbau- und Schließzeit haben die Kollegen dort zunächst zirka 125.000 Objekte aus ihrem Bestand digitalisiert und daraus eine Ausstellung im Internet gemacht, während das „echte“ Museum saniert wurde. In dem „Internetmuseum“ können sich angemeldete Nutzer zum Beispiel eine eigene Rembrandt-Ausstellung zusammenstellen.

Besonders bemerkenswert ist, dass sich die Werke hochauflösend herunterladen lassen, sofern sie der public domain angehören, also gemeinfrei sind. Das heißt: Jeder kann sich dort „seinen“ Rembrandt aussuchen und sich daraus zum Beispiel einen Rembrandt-Abzug drucken, weil die Reproduktionen so hohe Qualität haben. Solche Möglichkeiten gab es früher nicht, als die Internetleitungen noch langsam waren und es digitale Kopien nur in niedriger Qualität gab.

Zum Weiterlesen:

Das Reichsmuseum digital

Annika-Valeska Walzel. Foto: SLUB

Annika-Valeska Walzel. Foto: SLUB

Aber graben sich damit die Museen und Bibliotheken nicht das Wasser selbst ab, wenn sie es Forschern wie Laien immer leichter machen, jedes Kunstwerk, jedes Dokument von daheim aus in höchster Qualität anzuschauen? Bleiben dann nicht die Besucher in den echten Häusern weg?

Annika-Valeska Walzel: Die Angst besteht in vielen Häusern, das weiß ich. Aber dass das so kommt, scheint mir für Museen in überschaubarer Zukunft nicht eher nicht wahrscheinlich. Auch im Rijks-Museum sind die Besucherzahlen durch das inzwischen ausgebaute digitale Angebot nicht eingebrochen. Es ist und bleibt ein Unterschied, ob ich mir ein Digitalisat oder das Original anschaue. Speziell bei Kunstobjekten aus Museen kommt noch hinzu, dass digitale Sammlungen in aller Regel nicht richtig zeigen können, wie das Bild oder die Skulptur in der Galerie hängt beziehungsweise aufgestellt ist, in welchem Gesamtzusammenhang es am originalen Ort steht, wie die Größenverhältnisse sind, welchen plastischen Farbauftrag der Maler verwendet hat und so weiter. Für Bibliotheken ist mit erhöhtem digitalen Angebot schon ein leichter Rückgang der physischen Nutzung zu verzeichnen, dafür nehmen aber digitale Zugriffe und Besuche mindestens in gleichem Maße zu.

 

Die SLUB gilt in Deutschland zu den Pionieren der Digitalisierung und hat schon Millionen Buchseiten, Karten, Fotos und andere Dokumente in eigen digitalen Sammlungen ins Internet gestellt. Einige Stücke wie der Maya-Kodex sind derart hochaufgelöst abrufbar, dass ich mich frage, ob der Maya-Forscher mit der digitalen Kopie aus dem Netz nicht sogar besser bedient ist als mit dem Original. Denn den originalen Kodex könnte er in Dresden eh nur hinter Glas und bei schummriger Beleuchtung im Buchmuseum sehen…

Annika-Valeska Walzel: Für manche Fragenstellungen braucht ein Wissenschaftler das Original, für andere kann die digitale hochaufgelöste Kopie nützlicher sein: So nahe heranzoomen zu können wie in der digitalen Version des Maya-Kodex’ ist sicher ein Vorteil, da mag man manches Extra-Detail zu entdecken. Auch kann die Digitalisierung die Forschung beschleunigen: Bedenken Sie nur den Zeitvorteil, wenn ein Theologe zum Beispiel für eine Untersuchung über Bibel-Exegese Hunderte oder Tausende Dokumente im Volltext nach bestimmten Begriffen durchsuchen kann. Auch ganz neue Forschungsansätze werden möglich, wenn plötzlich riesige Datenmengen auswertbar sind.

Und gerade unser Maya-Kodex ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass Digitalisierung eben solche Unikate auch für Forscher zugänglich macht, die weit von Dresden entfernt wohnen. Einmal ganz abgesehen davon, dass es dem Kodex nicht gut tun würde, wenn er ständig aus der Vitrine genommen werden müsste.

 

Und ich könnte mir vorstellen, dass dieses Argument nicht bei „Promi“-Beispielen wie dem Maya-Kodex aufhört…

Annika-Valeska Walzel: Im Zuge des Landesdigitalisierungsprogramms koordinieren wir auch die Digitalisierung von Dokumenten, Büchern, Karten, Fotos und anderen Objekten mit besonderem historischen oder kulturellen Wert aus regionalen Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen. Diese Reproduktionen werden über unsere Digitalen Sammlungen und teilweise durch die Webauftritte der teilnehmenden Institutionen selbst online verfügbar gemacht. Über die Weitergabe der Metadaten an überregionale Datenbanken wie die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB) und die Europeana werden so ganz einzigartige regionale und lokale Bestände auch international sichtbar.

Was denken Sie, wohin wird die Digitalisierung die Bibliotheken, Archive und Museen führen? Vielleicht zu neuen Präsentationsformen, die in der „analogen“, echten Welt gar nicht möglich wären?

Daran arbeiten wir heute schon. Eine interessante Frage dabei ist, wie wir Zusammenhänge zwischen verschiedenen Dokumenten und Quellen visualisieren können. Wir entwickeln jetzt beispielsweise für arthistoricum.net, den „Fachinformationsdienst Kunst, Fotografie und Design“, den die SLUB gemeinsam mit der Unibibliothek Heidelberg betreibt, ein neuartiges Personenverzeichnis. Das soll Forscher mit ihren verschiedenen Forschungsschwerpunkten und Publikationen so verknüpfen, dass diese Zusammenhänge für einen Suchenden intuitiv erkennbar werden.

Wozu soll das gut sein?

Ein Nachwuchsforscher kann so Schwerpunkte erkennen, die in seiner wissenschaftlichen Community aktuell von besonderem Interesse sind. Er kann so sein eigenes Thema besser abgrenzen und sehen, wer auf welchem Gebiet als Experte gilt. Ein junger Kunsthistoriker könnte damit beispielsweise die entscheidenden Dürer-Experten identifizieren. Dieses Projekt wollen wir noch in diesem Jahr online schalten.

Interview: Heiko Weckbrodt

Hinweis: Dieses Interview ist ursprünglich im Uni-Journal der TU Dresden erschienen. Der Beitrag ist hier im Internet zu finden.

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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