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Das verschwundene Johanngeorgenstadt

Grubenhunt mit Erzbrocken in Altenberg. Foto: Christian Ruf

Grubenhunt. Foto: Christian Ruf

Wie die Neustädter damit umgehen, dass die Wismut ihre Altstadt ausradierte, erforschen die Unis Chemnitz und Jena

Chemnitz, 3. Oktober 2023. Dem Braunkohle-Tagebau und dem Uran-Bergbau mussten zu DDR-Zeiten zahlreiche Dörfer komplett weichen, andere haben dadurch ihre Wurzeln verloren. Dr. Manuel Schramm von der TU Chemnitz und Prof. Simon Runkel von der Uni Jena wollen nun solch ein Beispiel vertieft untersuchen – auch mit Blick auf die Langzeitfolgen. In ihrem gemeinsamen Forschungsprojekt „Johanngeorgenstadt als verschwindende Stadt“ analysieren sie, wie die sowjetisch-deutsche Tarn-Aktiengesellschaft „Wismut“ eine ganze Altstadt im Erzgebirge ausradierte und die Bewohner in eine Neustadt verpflanzte.

Uran für russische Atombomben

Laut TU Chemnitz mussten von 1950 bis 1970 in Sachsen und Thüringen mehrere Orte der Wismut weichen, die Uran für das sowjetische Atombomben-Programm förderte. „Neben einigen Orten in Thüringen wurden beispielsweise in Oberschlema im Erzgebirge zwischen 1952 und 1957 circa 1.700 Einwohner wegen Bergschäden umgesiedelt“, heißt es in einem Exposé der Uni. „Besonders hart traf es jedoch die sächsische Kleinstadt Johanngeorgenstadt. Kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg von Glaubensflüchtlingen nahe der böhmischen Grenze gegründet, wurde die Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg für kurze Zeit zu einem Zentrum des sowjetischen Uranbergbaus.“

In Neustadt umgesiedelt

Unter der Maxime „Erz für den Frieden“ habe die Wismut dort im großen Stil Uranerz für Atomwaffen gefördert. „Die Einwohnerzahl stieg zunächst von circa 7.000 im Jahr 1946 auf über 40.000 Mitte der 1950er Jahre. Zwischen 1951 und 1957 wurden 4.000 Einwohner aus der Altstadt in die neu errichtete Neustadt umgesiedelt – offiziell wegen Bergschäden. Die Stadt verlor damit ihren historischen Stadtkern und trat nicht zuletzt mit dem Ende des Wismut-Bergbaus im Jahr 1958 in eine lange Zeit des demographischen Niedergangs ein. Im Jahr 1976 lebten dort noch etwa 10.000 Menschen, im Jahr 2000 waren es 6300 und heute nur noch rund 3800.“

Aus für Textil- und Möbelindustrie nach der Wende blutete die Stadt demografisch aus

Der Niedergang der Kommune habe vor allem wirtschaftliche Ursachen gehabt: „Neben dem Rückgang des Bergbaus gerieten im Zuge der Vereinigung mit der Bundesrepublik auch andere Branchen wie die Textil- und Möbelindustrie in die Krise.“ Versuche, dies ein Stück weit durch Tourismus wettzumachen, kranken auch am durch den Bergbau zerstörten Stadtbild, sind die Forscher überzeugt: „Der Abriss der Altstadt lastet als Hypothek auf der Stadt.“

Chemnitzer Historiker und Jenaer Sozialgeographen wollen in ihrem Forschungsprojekt unter anderem der Frage nachgehen, welchen Effekt der Abriss der Altstadt für die kulturelle und soziale Identität der Stadt bis heute hat, wie die Johanngeorgenstädter damit klarkommen und welche Rolle das in ihrem Alltag heute spielt. Auch direkte Diskussionsveranstaltungen mit den Bürgern der Stadt sind geplant.

Die „Gerda-Henkel“-Stiftung“ fördert das Projekt im Zuge des Schwerpunktes „Verlorene Städte“. Entstehen sollen daraus eine „Mikrologie des Verlusts“ für „lost cities“ wie eben Johanngeorgenstadt – und womöglich auch Ansätze, wie sich dieser Verlust verarbeiten, vielleicht sogar produktiv nutzen lässt.

Autor: hw

Quelle: TUC

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt